Das Buch musste noch raus. Denn nichts zeigt deutlicher, dass die Wähler Politik vor allem als Show und Showdown genießen, wie der meistgelesene Artikel des Katapult-Magazins. Der stammt von Benjamin Fredrich, weil das auch das Gebiet ist, das er studiert hat: Politikwissenschaft. Und da lag es nur nahe, daraus ein ganzes Buch zu machen, in dem wenigstens 97 mit Quellennachweis auffindbare Parlaments-Schlägereien versammelt sind.
Die meisten aus jüngerer Zeit, weil sie schlicht im Internet relativ gut auffindbar sind und in der Regel auch für schöne knallige Überschriften gesorgt haben. Mit dem Blick in die Geschichte der Demokratie(n) wird es dann schon schwieriger, obwohl auch in den ältesten Demokratien bekannt ist, dass hitzige Diskussionen im Parlament auch schon mal in handfeste Auseinandersetzungen eskalieren können.
Weshalb im britischen Unterhaus die Regierungspartei und die Opposition durch einen definierten Abstand von zwei Schwertlängen voneinander getrennt sind. Bis heute, auch wenn heute kein Abgeordneter mehr sein Schwert mit in die Parlamentssitzung bringen darf.
Gezähmte Parlamentarier?
Und im einleitenden Text geht Fredrich natürlich auch auf die nur zu berechtigte Frage ein, warum es in einigen Parlamenten immer wieder zu Prügeleien kommt, in anderen überhaupt nicht. Auch der Bundestag fällt ja nicht durch solche Boxeinlagen auf. Die am häufigsten kolportierte Szene dieser Art liegt inzwischen 74 Jahre zurück und war wohl – anders als meist erzählt, eben doch keine Handgreiflichkeit, die dem SPD-Abgeordneten Herbert Wehner bis heute nachgesagt wird.
Wer also Prügelszenen aus einem deutschen Parlament will, der muss schon in die Zeit der Weimarer Republik zurückgehen, als vor allem die Nazis und die Kommunisten auch im Reichstag aufeinander losgingen. Was die Frage natürlich umso aktueller macht: Warum wird in manchen Parlamenten geprügelt und in anderen nicht? Dass es etwas mit dem Alter einer Demokratie zu tun haben könnte, steht als Verdacht im Raum.
Die politische Auseinandersetzung zivilisiert sich also irgendwie im Lauf der Zeit, die Parlamentarier geben sich Regeln, damit die politischen Debatten nicht ausarten. Und am Ende wird dann nur noch verbal dazwischen agiert, was dann im Bundestag in der Regel einen Ordnungsruf nach sich zieht.
Ein anderer Erklärungsansatz ist natürlich auch die Machtfrage. In Parlamenten, die sowieso nichts zu sagen und zu entscheiden haben und wo die Abgeordneten nur als brave Gefolgsleute des großen Präsidenten sitzen, ergeben Prügeleien keinen Sinn. Man denke an China, Nordkorea, Russland und ähnliche Schein-Demokratien.
Dafür wird in Ländern, deren Demokratie noch jung ist, wo es aber auch durch ein ungerechtes Wahlsystem oder durch Korruption zu unübersehbaren Machtungleichgewichten kommt, schon mal zur Wasserflasche, zum Mikrofonständer, zu Schuhen oder Rauchbomben gegriffen, um dem eigenen Gefühl, gedisst und kleingehalten zu werden, ordentlich Ausdruck zu verschaffen.
Und das passiert nicht nur in zumeist als „Entwicklungsländer“ apostrophierten Ländern Afrikas oder Asiens. Das passiert durchaus auch in honorigen Demokratien wie Israel, Taiwan oder Südkorea.
Überschießendes Testosteron
Und auch die Geschichten, die Fredrich dazu erzählen kann, zeigen, dass die gewalttätigen Übergriffe eigentlich davon erzählen, dass die jeweilige Demokratie unter Beschuss steht. Manchmal von innen, weil sich korrupte Politiker die Bedingungen organisieren, mit denen sie an der Macht bleiben und die Opposition kaltstellen. Manchmal – wie in Taiwan – auch von außen. Dort sind es immer wieder Debatten um den großen Nachbarn China, die heftig aus dem Ruder laufen.
Und natürlich zeigen auch die reinen Zahlen, dass Tätlichkeiten in Parlamenten vor allem Männersache sind. Was einerseits mit dem hohen Anteil von Männern in den meisten Parlamenten dieser Welt zu tun hat – und mit ihrem Testosteron, das sich in heftigen Wortgefechten unbedingt auch körperlich entladen will. Es kommt zwar selten etwas dabei heraus, außer Saalverweisen oder gar dem Eingreifen von Sicherheitsleuten und Polizei.
Manchmal geht auch Mobiliar zu Bruch oder gibt es tränende Augen, weil die Herren ihre Meinung mit Tränengas kundtaten. Aber manchmal müssen dann auch die Rettungswagen anrücken, weil es Schwerverletzte gab oder die Physis der betagteren Herren nicht mehr mitmachte.
So betrachtet sind die Parlamente auch ein Bild der Gesellschaft und der etablierten oder eben nicht etablierten Fähigkeit, Konflikte friedlich und im Konsens oder Kompromiss miteinander zu lösen. Und so ist da und dort eben auch sichtbar, wie Männer ihre Macht ausnutzen, um Minderheiten im Parlament auszugrenzen und Machtpositionen zu zementieren. Da kann man schon mal ausrasten, wenn man als Oppositionspolitiker immer wieder abgewimmelt wird und Missstände nicht behoben werden.
Wie man ein Kneipenklima schafft
Aber natürlich denkt man dabei auch an den Bundestag, in dem es zwar in der Vergangenheit auch schon streitlustig zuging. Aber Beleidigungen und Pöbeleien, die zu einem Ordnungsruf führten, haben seit 2017, seit die AfD im Bundestag sitzt, deutlich zugenommen. Drei Viertel der Ordnungsrufe gehen auf das Konto der Rechtsaußen-Partei.
Und dieses verbale Anheizen hat auch die anderen Fraktionen nicht kaltgelassen. Es ist wie in einer Kneipe, wo die Raufbolde anfangen, die anderen Gäste im Saal zu provozieren und die Stimmung irgendwann umschlägt, weil bei ständiger Aggression auch die Angegriffenen nicht länger Zurückhaltung üben.
Man kann es auch so formulieren: Wenn in manchen eher autokratischen Ländern der Erde die Opposition im Handgreiflichkeiten oft das einzige Mittel sieht, sich überhaupt Aufmerksamkeit zu verschaffen, spielen die Provokationen rechter Parteien in westlichen Parlamenten die Rolle der Schmähungen, die es darauf anlegen, die Debatte entgleisen zu lassen und den politischen Konkurrenten aus der sachlichen Debatte zu treiben. Genau so, wie die Wortmeldungen der Rechtspopulisten auch in der sonstigen gesellschaftlichen Debatte funktionieren und das Klima immer hitziger machen.
Entfesselte Gemüter
„Bis einer heult“, um mal das Känguru von Marc-Uwe Kling zu zitieren. Oder alle heulen, weil auf einmal wirklich drauflos geprügelt wird. In jedem Western mit Shoot Down kann man diesen Mechanismus sehen. Da fragt man sich schon, ob Ordnungsrufe und Prüfverfahren eigentlich reichen, wenn eine Fraktion den respektvollen Umgang mit den anderen Fraktionen geradezu torpediert.
Ein anderes Thema?
Wahrscheinlich nicht. Demokratie ist auf den respektvollen Umgang auch politischer Widersacher miteinander angewiesen. Die Regeln, die sich die Parlamente gegeben haben, schützen nicht nur die Debatte, sondern auch die Demokratie selbst. Und die Unversehrtheit der Parlamentarier, wie Fredrich auch feststellen kann. Denn wenn es zu Schlägereien kommt, landen in der Regel etliche der Kontrahenten im Krankenhaus.
Dabei sind nicht einmal die Hälfte der Auseinandersetzungen allein politisch motiviert. Dass mehr als ein Drittel aus rein persönlichen Motiven angezettelt wurden, erzählt nun einmal auch schon von grundsätzlichen Grenzüberschreitungen. Und wenn dann ein Fünftel der Schlägereien gar ohne ersichtlichen Grund angezettelt werden, dann ist schon gewaltig etwas entgleist.
Was eigentlich eher die These untermauert, dass Schlägereien in Parlamenten von dysfunktionalen Demokratien erzählen. Oder – was durchaus zu bedenken ist – von gefährdeten Demokratien, in denen ein fairer Umgang miteinander kaum mehr möglich ist.
Benjamin Fredrich „Schlägereien in Parlamenten“ Katapult Verlag, Greifswald 2024, 22,70 Euro.
Keine Kommentare bisher