Wie macht man den Bewohnern der Gegenwart eigentlich auf nicht so oberlehrerhafte Weise klar, dass sich unsere Welt ändern muss? Und dass das gut ist und sogar Spaß machen kann? Und dass es sogar ein echter Gewinn ist? Das passiert viel zu selten. Swantje Furtak und Hans Joosten zeigen hier einmal, wie das beim Thema Moore funktionieren kann. Moore, die jahrhundertelang geradezu verteufelt wurden.
Dabei sind sie einer der besten Kohlenstoffspeicher auf der Erde, können viel mehr CO₂ binden als Wälder. Aber nass sind sie. Keine Frage. Das gehört zu ihren Existenzbedingungen und ihrem Charakter. Und wer das Thema im Biologieunterricht nicht hatte, wird von Swantje Furtak und Hans Joosten geradezu spielerisch hineingeführt in die Welt der Moore, ihre Seele und ihre Entstehung.
Was nicht selbstverständlich ist und es auch für Swantje Furtak bis vor zwei Jahren nicht war, als sie für einen Dreh zum Thema Moor tief und dauerhaft von diesem aufregenden Thema in Beschlag genommen wurde. Und wie das so ist mit Themen, die eine nicht mehr loslassen: Man will alles darüber wissen. Wo gibt es überall Moore auf der Welt? Wie tief kann man darin versinken? Woher kommen die ganzen Moorleichen? Was sind eigentlich die geisterhaften Irrlichter, von denen hunderte alte Sagen erzählen?
Na gut: Auf diese Frage gibt es bis heute keine Antwort. Auch weil es viel, viel weniger Moore gibt und nachts kein Mensch allein im Moor spazieren geht. Außerdem ist unsere Welt mit künstlichem Licht geflutet, da haben Irrlichter keine Chance.
Moore als wissenschaftliches Untersuchungsobjekt
Aber es gibt sie, die Irrlichter.Doch die Moorforschung hatte in den vergangenen Jahrzehnten genug damit zu tun, die Arbeitsweise und die Existenzbedingungen von Mooren zu erforschen. Denn längst ist klar, dass wir Moore nicht nur brauchen, um wieder richtige CO₂-Senken zu bekommen, die wirksamer sind als all die Technologien, die einem heute superkluge Politiker andrehen wollen, die von natürlichen Lösungen nichts halten. Wider alle Erkenntnis zur Leistungsfähigkeit natürlicher Systeme. Jeder Bergmann könnte davon erzählen.
Ja, tatsächlich: jeder Kohlekumpel. Denn das, was er als Braun- oder Steinkohle aus dem Boden holt, das waren mal riesige Moore, in denen im Lauf von Jahrmillionen organische Stoffe versanken, die dann durch Erdbewegungen in die Tiefe versanken und dort unter hohen Temperaturen zusammengepresst und so Kohle wurden. Wir verbrennen heute tatsächlich die Moore von vor 200 Millionen Jahren – und blasen damit CO₂ in die Luft, das 200 Millionen Jahre in der Erde gebunden war.
Wir kehren also den Arbeitsprozess der Moore um. Und schaffen damit eine heiße Welt, in der die menschliche Zivilisation nicht überleben kann.
Das, was wir heute an Wetterextremen erleben, ist nur das Vorspiel, das, was bei 1,5 Grad Erderwärmung zu erwarten war. Weshalb die Klimaforscher genau hier eine fiktive Grenze gesetzt haben. Geht die Erwärmung noch weiter, kommen Mechanismen ins Rollen, die riesige Bereiche unseres Planeten unbewohnbar machen werden.
Am Anfang war das Moor
Wir müssen also dringend über CO₂-Senken nachdenken. Und Moore gehören dazu. Wobei sie gar nicht erst dann positiv wirken, wen sie wieder beginnen, organische Materie unter Wasser zu binden. Sie werden sogar klimatisch schon vorher wirksam, denn sie sind zuallererst natürliche Wasserspeicher, helfen also sofort dabei, das Wasser in der Landschaft zu halten. Womit sie auch die ganze Umgebung beeinflussen.
Es entstehen wieder Lebensräume für bedrohte Tierarten. Und selbst ihre Wiederherstellung an alter Stelle hilft, die Klimabilanz ins Positive zu drehen, denn zumeist sind auf trockengelegten Moorflächen minderwertige Äcker entstanden, die mit hohen (künstlichen) Düngergaben fruchtbar gehalten werden, oder riesige Weiden für Rinder, die eine extrem schlechte Klimabilanz aufweisen.
Natürlich macht das Buch seine Leser nicht gleich zu Vegetariern. Aber in locker im Katapult-Stil gestalteten Seiten (mit vielen bunten Karten) erfährt man, was für ein aufregend großes Thema Moore sind (die man von Sümpfen unterscheiden muss). Und natürlich tauchen Furtak und Joosten auch in die Geschichte ein, die Zeit, als Moore einst die einzigen offenen Stellen in einem Kontinent voller Wälder waren. Und damit die beliebtesten Siedlungsorte für die sesshaft werdenden Menschen.
Moore und Sümpfe standen wahrscheinlich auch am Anfang unserer Zivilisation. Davon erzählen auch die frühesten Geschichten vom Paradies. Dass es diese Landschaft noch heute gibt – wenn auch von verrückten Diktatoren und rücksichtslosen Ölfirmen verwüstet, das erfährt man genauso wie so manche andere Geschichte aus der Bibel, die mit Moorlandschaften zu tun hat.
Eine Vergangenheit der Moorzerstörungen
Lenins durchgeknallte Idee, den Sozialismus mit lauter Torfkraftwerken anzuheizen, findet genauso ihren Platz wie die Gier Friedrichs II. von Preußen nach neuem, urban gemachten Land – und damit die weitgehende Zerstörung des Oderbruchs. Natürlich erzählen die beiden auch, warum sich frühere Generationen vor dem Moor fürchteten und warum später so rigoros riesige Moorflächen drainiert und trockengelegt wurden.
Genauso erzählen sie, warum das Methan aus den Mooren bei weitem nicht so klimaschädlich ist wie das freigesetzte CO₂, wenn Torf einfach als Gartendünger abgebaut wird. Und warum Maisfelder zur Biogas-Gewinnung energetisch betrachtet regelrechter Mumpitz sind. Jede Photovoltaikanlage – auch auf renaturierten Mooren – bringt hunderte Male mehr Energie.
Das Buch ist, wie es nicht zu Unrecht verspricht, mit „trockenem Humor“ geschrieben. Aber es hat natürlich seine bitterernsten Stellen, an denen man merkt, wie dumm und dämlich vieles ist, was Menschen in der Vergangenheit mit dem Moor angestellt und wie sie sich aus allen ernsthaften Lösungen für Energiewende und Klimaneutralität herausgeschwindelt haben.
Faule Kompromisse
Gerade das Thema Moor zeigt, dass die Wiederherstellung natürlicher Biotope meist etliche hundertmal sinnvoller und gewinnbringender ist als jede technologische Lösung. Aber das Buch ist auch ein wenig tröstlich, denn mittlerweile gibt es in allen Bundesländern Initiativen, alte Moore zu retten und zu revitalisieren (in Sachsen z.B. MoorReSax, oft genug leider – wie eben auch in Sachsen – mit parallelen Umweltzerstörungen an anderer Stelle).
Da können sich selbst Umweltministerien aufreiben, wie sie wollen: Wenn Wirtschsaftsministerien glauben, sie täten einer radikalen Wirtschaft etwas Gutes, wenn sie Genehmigungen ausreichen, dann ist der Umweltzerstörung Tür und Tor geöffnet – und sämtliche Umweltziele werden verfehlt. Das sind die Kompromisse, die in Deutschland zum Himmel stinken. Schlimmer als Methan-„Fürze“ aus einem Moor.
Dabei wissen wir längst, dass die Zerstörung von Mooren noch viele andere Folgen hat – in den Niederlanden zum Beispiel zu beobachten in der Käse-Stadt Gouda, die auf Moorgrund gebaut wurde und jedes Jahr weiter absackt. Wobei Karten daran erinnern, dass viele Orte in Deutschland nicht nur das Moor im Namen tragen, weil sie am Moor entstanden (und jahrhundertelang davon lebten), sondern auch direkt auf Moor gebaut wurden – nicht nur Berlin und Hamburg. Auch Teile von Leipzig stehen auf uraltem Moorgrund – ganz vorneweg der Hauptbahnhof.
Am Ende jedenfalls weiß man als Leser, wie spannend das Thema Moor ist. Und dass es eine Bereicherung für jede Region bedeutet, wenn ursprüngliche Moore geschützt oder gar wieder mit menschlicher Hilfe revitalisiert werden. Die ganz besondere Artengemeinschaft und die schöne Stille bekommt man als Geschenk noch obendrauf.
Swantje Furtak, Hans Joosten „Moore sind wie Menschen, nur nasser“ Katapult Verlag, Greifswald 2024, 20 Euro.
Keine Kommentare bisher