Dass er für Black Metal eine Menge übrig hat, das hat Abo Alsleben schon in einigen anderen Büchern deutlich gemacht. In diesem hier aber macht er etwas, was eigentlich nahe liegt, wenn man die Texte des ursprünglichen Black Metal übersetzt. Es geht darin eben nicht um Militarismus und NS-affinen Germanen-Kult. Aber es geht auch nicht ganz harmlos zu, wie die 16-jährige Hella erleben muss, die sich in dem Kaff, in das sie mit ihren Eltern ziehen musste, gewaltig langweilt.
Und vieles, was junge Leute anstellen, hat natürlich auch mit Langeweile zu tun. Der Bus fährt nur zweimal am Tag. Echte Angebote für junge Leute gibt es nicht. Der Kontrast zur Stadt ist für die 16-Jährige riesengroß. Und mit 16 ist man auch als Mädchen sowieso in dem Alter, in dem man auch gegen die eigenen Eltern rebelliert, oft viel aggressiver reagiert, als man das eigentlich vorhatte. Aber der Frust muss raus. Das Gefühl, nicht wirklich am Leben teilzuhaben, braucht ein Ventil.
Und so hat sich Hella nicht nur ihr Zimmer mit den Plakaten ihrer Lieblings-Band zugeklebt und sich die Haare schwarz gefärbt, sie dreht auch die Musik laut, die für sie zur letzten Verbindung zum richtigen Leben da geworden ist. Aber die Teenagerin ist auch neugierig, will sich nicht nur beschallen lassen, sondern nutzt die Übersetzungsfunktion ihres Handys dafür, einen Song der schwedischen Black-Metal-Band „Bathory“ zu übersetzen. Und das geht schief. Aber gewaltig.
Hellas Albtraum
Auch weil ein möglicherweise ziemlich starker Joint eine Rolle bei all dem spielt, was Hella nun auf den folgenden 150 Seiten erlebt. Und das ist ein doppelter und dreifacher Albtraum, in dem erst ihre Eltern sterben, ein brutaler Bauer es auf sie abgesehen hat und Fernfahrer, mit denen sie flieht, die Hände nicht von ihr lassen können. Aber die scheinbar geglückte Rückkehr mündet in einen Wechsel in eine andere Welt – just die Welt, die die Band „Bathory“ besingt: die Welt der „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory (1560–1614)
Oder wohl besser: Es ist ein Wechsel in jene Welt, die Legendenerzähler, Romanschriftsteller und Metal-Bands daraus gemacht haben. Eine finstere Welt mit einer blutgierigen Gräfin, die rings um die unheildrohende Burg Schächtitz die jungen Mädchen einfangen lässt, um sie auf ihrer Burg zu foltern und in ihrem Blut zu baden.
Dass die Songtexte und diversen literarischen Erzählungen den tatsächlichen Fall Báthory heillos übertrieben haben, darf man vermuten. Und ob die Gerichtsakten, die zur Verurteilung der Gräfin führten, überhaupt im heutigen Sinne belastbar sind, mag man auch bezweifeln. Viele heutige Hexen- und Teufel-Geschichten beruhen auf solchen alten Gerichtsprotokollen, bei denen die Geständnisse, aber auch Zeugenaussagen unter Folter erzwungen wurden.
Es ist nicht die reale Welt, von der dieser Metal-Song handelt, sondern die ins Mystische und vollkommen Grausame gesteigerte Legende um die „Blutgräfin“. Und natürlich hat das gewisse Wirkungen auf die Hörer dieser Texte. Gerade dann, wenn sie auch den Inhalt verstehen. So wie Hella, die am Höhepunkt der Erzählung (Kurt Vonnegut würde vom dramatischen Tiefpunkt der Erzählung sprechen) selbst in der Fänge der Gräfin gerät und ganze Tage der völligen Erniedrigung erleben und erleiden muss.
Eine Situation, die mancher auch in seinen schlimmsten Albträumen erlebt. Und es wird immer schlimmer. Das Böse ist übermächtig. Man kann sich nicht wehren, ist hilflos den schlimmsten Torturen ausgesetzt.
Nicht grundlos hat Abo Alsleben gleich ein Warnschild auf dem Buchumschlag platziert: „Trigger Warnung!“
Die wilde Faszination des Bösen
Die Welt des Black Metal ist keine heile und schon gar keine kuschelige Welt. In ihr spiegelt sich aber eben auch das Böse, Blutrünstige und Grausame, das in den Menschen steckt und das auch immerfort nach der Macht über andere, schwächere Menschen giert. Black Metal hat durchaus eine Mission. Aber die ist nicht in netten Kuschelsongs versteckt, sondern in den grausamen Bildern einer heillosen Welt, die das Menschlichste zu zermalmen und auszulöschen droht.
Dass sich Nazis den Black Metal inzwischen angeeignet haben und ihn zur Verherrlichung ausgerechnet dieser Denkweisen und Machtphantasien missbrauchen, findet Abo Alsleben logischerweise inakzeptabel. Mit den Nazis und anderen rechten Extremisten wird der Horror der nackten, rücksichtslosen Gewalt wieder Teil unserer Realität.
Dabei lebt auch Black Metal ursprünglich von der Hoffnung, dass das Böse zu überwinden ist. Dass es also doch irgendwie so zugeht wie in dieser Geschichte von Abo Alsleben, dass Hella mächtige Verbündete findet, die den Spuk beenden und ihr die Rückkehr in die Wirklichkeit ermöglichen.
Eine Wirklichkeit, in der all diese schrecklichen Dinge nicht passiert sind, aber trotzdem die Fage bleibt, ob man eben nicht doch mit dem Feuer spielt, wenn man sich auf alte Mystik und Legenden einlässt und in die Welt der Elisabeth Báthory eintaucht ohne Rückversicherung. So wie man sich in jungen Jahren eben oft genug auf Dinge einlässt, die man faszinierend findet – ohne Sicherheitsnetz. Und mit dem unbedingten Willen, alles anders zu machen als die eigenen, ach so langweiligen Eltern.
Die es eigentlich nur gut meinen, wie selbst Hella merkt, als sie allein im Wald unterwegs ist. Es ist ein heikler und oft sehr langer Lernprozess, in dem man einen Weg findet, auch mit dein eigenen, explosiven Gefühlen umzugehen. Und einen Umgang mit dem Bösen in der Welt findet und der Sehnsucht danach, sich selbst am Leben zu fühlen. Auch das thematisiert Abo Alsleben. Eine Geschichte, die viele Jugendliche erleben, die geradezu verzweifeln daran, dass sie das Gefühl nicht loswerden, sich selbst in ihrem Leben nicht fühlen zu können.
Eine nicht ganz einfache Geschichte. Und schon gar keine Schönwettergeschichte aus einer heilen Jugendwelt. Aber eine Geschichte, die versucht, diese Einsamkeit des Jungseins einzufangen, die uns für so Vieles empfänglich macht, was uns – wenn wir nicht aufpassen – auch verschlingen kann.
Abo Alsleben „Hella im Black-Metal-Land“, DIY 04277 BOOKS, Leipzig 2024, 12 Euro.
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