Es ist eine der großen Attraktionen in Dresden, die jedes Jahr Besucher aus aller Welt anlocken: der Fürstenzug auf der Augustusstraße, der die Herrscher aus dem Hause Wettin von Konrad dem Großen bis zu Prinz Georg zeigt, der 1902 in Greisenalter auch noch König wurde. 35 Wettiner ziehen hier auf ihren Pferden vorüber, zwischendurch und am Ende noch ein paar Leute vom Fußvolk, ohne die keine sächsische Geschichte gemacht werden kann. Und auch kein solches Wandbild.
Das der Dresdner Künstler Wilhelm Walther zuerst 1876 als Sgraffito schaffen ließ, bevor es 1906 auf Grundlage von Walthers Musterkartons komplett in Meißner Porzellan ausgeführt wurde. Und so überdauert das Kunstwerk bis heute, hat selbst den großen Brand von Dresden 1945 überstanden. Und zeigt so auch einen zentralen Teil des sächsischen Selbstverständnisses als ein Völkchen, das sich nie so richtig aus seiner Wettiner-Anbetung lösen konnte. Geschichte lebt von Geschichten. Und die Wettiner lieferten eine Menge großer Geschichten.
Was schon lange vor Konrad dem Großen begann, der sich 1123 die Mark Meißen mit Gewalt zurückholte. Denn er war gar nicht der erste Wettiner, der als Markgraf in Meißen regierte. Das war Heinrich I. von Eilenburg, der 1089 mit der Mark vom Kaiser belehnt wurde. Das Geschlecht der Wettiner ist sogar schon im 9. Jahrhundert nachweisbar. Und natürlich erzählen Heidi und Christoph Pötzsch in diesem Buch auch diese Vorgeschichte. Denn die muss erzählt werden, wenn man einordnen will, warum nicht Heinrich den Zug anführt, sondern Konrad.
800 Jahre Wettiner-Herrschaft
Was ja nichts daran ändert, dass dann trotzdem fast 800 Jahre Wettiner-Herschaft mit allen Höhen und Tiefen erzählt werden. Und dieses Buch erzählt jede einzelne Geschichte. Und nicht nur das. Es erzählt auch, warum die Herren im Zug mit ihren Gesten und Positionen so dargestellt sind und welche Schicksale dahinterstecken, ob es glückliche und kluge Herrschaftszeiten waren oder ob mal wieder ein Mann auf Thron oder Pferd saß, dem die Geschicke des Landes nicht wirklich wichtig waren.
Frauen sieht man nicht im Zug (außer ein kleines Mädchen am Ende), worauf Heidi und Christoph Pötzsch auch hinweisen. Denn das widerspricht auch vielem, was über die sächsische Geschichte und die Rolle der Frauen an der Seite der abgebildeten Herren bekannt ist. Oft waren es nämlich sie, die das Land am Laufen hielten, wenn die Herren lieber auf die Jagd gingen oder sich zu Tode soffen. Auch das gibt es. Etliche Wettiner sind jung gestorben – aber nicht alle wie Kurfürst Moritz in der Schlacht. Kriegerisch waren auch nicht alle. Obwohl das Kriegerische lange Zeit zwingende Grundvoraussetzung war für das Gedeihen des Landes.
Denn nicht nur Kaiser waren immer wieder einmal unzufrieden mit ihren Lehensnehmern in Meißen, auch Nachbarn neigten gern zu Raubzügen, Überfällen und Machtspielen – so wie Friedrich II. von Preußen, der im siebenjährigen Krieg das praktisch wehrlose Sachsen im Handstreich besetzte. Denn der damals regierende Friedrich August II. gab das Geld lieber für Gemälde aus (die man heute in der Dresdner Gemäldegalerie bewundern kann), als für Soldaten.
Ein Zwiespalt, den wir heute auch wieder kennen: Man möchte ja so gern Frieden und Wohlstand genießen – aber was hat man davon, wenn der Nachbar mit lärmenden Truppen über einen herfällt? Sachsen war damals wehrlos. Und hörte genau deshalb bald auf, eine wichtige Rolle im Konzert der deutschen Staaten zu spielen.
Und das Erschreckende ist eigentlich, dass manche Staatschefs heute wieder so ticken wir der kriegslüsterne Friedrich von Preußen.
Der Ruhm des starken August
Für die Sachsen ergab das eine geradezu anti-preußische Erinnerungskultur. Nicht die streitbaren Wettiner wurden zur Legende, sondern die prachtvollen und kunstsinnigen – so wie der berühmtere Bruder von Friedrich August II., August der Starke. Beide haben mit ihrer Freude am barocken Bauen das heutige Dresden und die Landschaft der Schlösser in Sachsen geprägt.
Dahinter verblasst die Geschichte geradezu, in der Wettiner sich zu den mächtigsten Fürstengeschlechtern aufmachten, indem sie ihre Markgrafschaft emsig vergrößerten und so ganz nebenbei auch das Kurfürstentum Sachsen-Wittenberg an sich brachten (und damit den Landesnamen Sachsen), womit sie in den Kreis der Fürsten aufstiegen, die den Kaiser wählen durften und die selbst immer wieder auch in die engere Wahl zum Kaiser kamen. Wobei es für die jeweiligen Wettiner wahrscheinlich wirklich das Klügere war, auf diese Wahl lieber zu verzichten und sich stattdessen mit den neu gewählten Kaisern zu verbünden.
Alles Dinge, die man erfährt, wenn man sich durch die Herren des Fürstenzuges in diesem Buch hindurchblättert, unter denen auch drei Ernestiner reiten, die Wilhelm Walther nicht weglassen wollte, weil sie nach der Leipziger Teilung 1485 die Kurwürde weitertrugen, obwohl sie nicht mehr in Meißen residierten, sondern in Wittenberg und Torgau.
Und ohne Reformation und den Krieg der Katholischen Liga gegen den Schmalkaldischen Bund hätten sie die Kurwürde wohl noch länger behalten, während die Albertiner in Dresden bloße Herzöge geblieben wären. Zumindest bis 1806, als ein gewisser Napoleon den sächsischen Kurfürsten zum König machte. Ganz ohne Krone.
Am Ende: die Künstler
Anhand der einzelnen Darstellungen im Fürstenzug wird jede einzelne dieser Männergeschichten erzählt und auch anhand der kleinen Symbole, die Walther unter den Hufen der Pferde platziert hat (zusätzlich zu den meist sehr bildhaften Spitznamen für die Herren hoch zu Ross) – mit Disteln, Eichenblättern, Lorbeer, (Luther-)Rose, Tulpe und Kaiserkrone. Man erfährt auch gleich, wo die Herren alle begraben wurden – ob auf dem Petersberg, im Kloster Altzella, im Dom zu Freiberg oder beigesetzt in der Gruft der Katholischen Hofkirche.
Sodass man auch auf den zweiten Teil des Buches schon vorbereitet ist, in dem Heidi und Christoph Pötzsch die Leser mitnehmen in die Grüfte unter der Hofkirche. Wo dann aber nicht nur die regierenden Herren liegen, sondern auch einige ihrer Mütter, Schwestern und Angetrauten, sodass wenigstens hier auch ein bisschen Platz ist, deren Lebensschicksale zu erzählen, die fast immer auch mit Wohl und Gedeihen des Landes aufs Engste verbunden sind. Das Büchlein mit der Lebensgeschichte von Maria Josepha, der Frau von Friedrich August II., hat der Tauchaer Verlag ja gerade erst wieder aufgelegt.
Was natürlich auch zeigt, wie unvollständig Landes- und Herrschergeschichten meistens sind.
Was ja in der Gruppe, die am Ende des Fürstenzuges folgt, auch noch einmal deutlich wird. Hier hat sich auch Wilhelm Walther selbst verewigt samt einigen sächsischen Soldaten, Studenten und Künstlern. Alle mehr oder weniger stellvertretend für das Volk, das den sächsischen Wohlstand erschuf, wenn nicht gerade wieder irgendwelche wilden Horden durchs Land trampelten.
Und der Bergmann darf natürlich nicht fehlen, der für die Quelle des frühen sächsischen Reichtums steht: die Silberfunde im Erzgebirge. Was dann bis zum preußischen Friedrich II. die Begehrlichkeiten weckte auf dieses Stück Land, von dem sich die Preußen dann 1816 ein großes Stück abschneiden durften.
Sächsische Erinnerungskultur
Und gerade deshalb spielt der Fürstenzug ja bis heute eine so zentrale Rolle in der sächsischen Erinnerungskultur. Man ist stolz auf sein barockes Erbe. Und irgendwie auch immer noch auf seine Fürsten, deren letzter ja bekanntlich mit den Worten abdankte: „Dann macht doch euern Dregg alleene …“ Wobei die Überlieferung hier durchaus diffus ist.
Vielleicht war Friedrich August ja auch ganz froh, das Regieren nun endlich den Zivilisten zu überlassen und nicht mehr für jeden Krempel verantwortlich zu sein. Eigentlich eine still bewunderte Tugend: So einfach auch auf Macht verzichten zu können. „Ohne große Emotionen“, wie Heidi und Christoph Pötzsch schreiben.
Das sähe man von manchen Politikern heute noch gerne. Denn es erzhält ja wirklich von einer Tugend: der Tugend, sich nicht abhängig zu machen von Macht und Medienpräsenz.
Und so stört eigentlich auch nicht weiter, dass die letzten Wettiner im Zug König Albert und Prinz Georg sind. Denn die Interpretation der sächsischen Geschichte war eigentlich zu dieser Zeit schon deutlich verfestigt und fokussierte sich auf die Glanzzeiten Augusts des Starken.
Die ja heute wieder in alter Schönheit in Dresden zu besichtigen sind. Der Fürstenzug ergänzt das nur und erzählt seine Geschichten. Erst recht all jenen, die mit dem Buch in der Hand kenntnisreich auch die versteckten Botschaften entschlüsseln können, die Wilhelm Walther in seinem Riesenbild untergebracht hat.
Christoph Pötzsch, Heidi Pötzsch Der Fürstenzug und die Gruft der Wettiner unter der Katholischen Hofkirche zu Dresden Tauchaer Verlag, Leipzig 2024, 20 Euro.
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