Es geht immer um Tod und Leben, die einen verstehen es früher, die anderen zu spät. Das Leben ist ein Geschenk. Aber es ist immer gefährdet. Und es gibt immer genug Mitmenschen, die dafür sorgen, dass das Leben für die anderen zu Mühsal, Sorge und Verdruss wird. Manchmal ganz unbewusst. Und dann steht man da als junger Mensch und weiß nicht mehr weiter. Die Kopfmaschine rattert. Der Sinn des Lebens scheint nicht mehr greifbar.
In vier Heften „Gevatter“ hat sich Schwarwel seit 2019 intensiv mit der Frage nach dem Tod beschäftigt. Fünf Hefte sollten es werden, alle bis 2020 geplant. Aber das Thema hat es nun einmal in sich. Gerade dann, wenn man dabei – wie Schwarwel – in die eigene Kindheit und Jugend hinabtaucht, in die ganz frühen Ängste und Verzweiflungen.
Und natürlich auch in ein anderes Land, das geradezu dazu angelegt war, junge Menschen zu deprimieren, zu entmutigen und mit Beklemmung in die Zukunft schauen zu lassen. Denn das hält man als junger Mensch eigentlich nicht aus, wenn man von Verboten und ständigen Ermahnungen umzingelt ist und die Wut nicht raus darf. In einer Band zum Beispiel.
Aber viele Gefühle gären in einem ja auch, weil sich die Eltern und Großeltern nie mit ihren traumatischen Erfahrungen beschäftigt haben. Als Botschaft sitzt das immer im Kopf. Zur Wut gehört auch immer die schrille Mahnung: Das darfst du nicht sagen. Das darfst du nicht tun.
Wohin mit der Trauer?
Und so geht Schwarwels Held Tim in den vier nach und nach veröffentlichten Heften durch seine eigene Hölle, ist lebenshungrig und niedergeschlagen, hält es eigentlich nicht mehr aus und ist doch auf mürrische Weise hilfsbereit. Denn sein Herz hat er bei all dem nicht verloren. Im Gegenteil: Das Leid und der Tod anderer –Menschen und sei es der des geliebten Hundes – gehen ihm an die Nieren. Wohin also mit der Trauer?
Aber die Serie heißt nicht ohne Grund „Gevatter“, denn es geht auch die ganze Zeit um den Lernprozess, den Tod im Leben zu akzeptieren, das Sterben der geliebten Menschen, die Verzweiflung, wenn das Leben einmal wieder in einer Sackgasse gelandet zu sein scheint. Wenn dann die Kopfmühle mahlt – was tun?
In Gesprächen mit seinem Psychotherapeuten kommt der Held dieser Graphic Novel sich selbst ein wenig näher, den Gefühlen, die ihn niederschlagen, und der Verführung all der Mittel, mit denen er der scheinbar ausweglosen Lage zu entkommen versucht.
Es ist kein leichter Weg. Und so hießen die vier ersten Phasen denn auch: „Verleugnung“, „Zorn“, „Verhandlung“ und „Depression“. Denn abmachen muss das alles am Ende jeder mit sich selbst. In der oft unüberwindbaren Spanne zwischen Liebe und Verlust, Aufbegehren und Verzweifeln.
Was will man vom Leben?
Dieser Band nun enthält nicht nur die vier ersten Teile, sondern bietet auch mit Kapitel Fünf den Abschluss der Reihe, in dem Schwarwel seinem Alter Ego Tim quasi die Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels aufgeladen hat, all diese Berg- und Talfahrten, die ihn selbst seit Kindesbeinen begleiteten.
Dass er für diese Reihe das Fünf-Phasen-Modell des Sterbens von Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) als Titelvorgabe genutzt hat, hat einen simplen Grund: So geht es auch im Leben zu, wenn man sich mit den unaushaltbaren Zuständen des eigenen Seins irgendwie abfinden muss.
„Ich fand diese fünf Phasen – Verleugnung, Zorn, Verhandlung, Depression und Akzeptanz – für mich und mein Erleben absolut zutreffend, weshalb ich sie für ‚Gevatter‘ als einen Zeitstrahl verwendet habe, auf dem sich die Geschichte entlang bewegt“, sagt Schwarwel.
Eine Geschichte, die wahrscheinlich so ähnlich viele Jungen beim Aufwachsen erleben. Samt der Erfahrung, dass die eigenen Gefühle oft genug einfach die Steuerung übernehmen und man in Situationen landet, die man so eigentlich nicht gewollt hat. Ein Vorteil für den Zeichner, denn beim Zeichnen kann er sich ganz seinen Erinnerungen überlassen.
Die Bilder werden von selbst wieder wach und müssen nur noch festgehalten werden. So erzählt Schwarwel intensiv immer von sich selbst und seinen Erfahrungen mit der Welt, „Angst, Unsicherheit und Irritation“, die in der Jugend zu einer regelrechten Schleuderfahrt werden können.
In gewisser Weise ist „Gevatter“ auch das Resultat eines Lebenslaufs, den Schwarwel so nie schreiben konnte. Das Zeichnen ist letztlich die Sprache, die er am besten beherrscht und mit der er auch Dinge „aussprechen“ kann, die sonst kaum greifbar werden. Und da er alle fünf Phasen erzählt, bekommt dieser Lebensabschnitt am Ende Kontur. Und damit auch irgendwie Sinn.
Auch der Grafiker schaut so mit anderen Augen auf das, was ihm selbst geschehen ist, wie er sich beinahe selbst verlor. Und dabei doch etwas lernte, was einem im Leben weiterhilft. Und wenn es nur ein Spruch ist wie „Auch dies wird vorübergehen.“ Gibt es also eine Pointe am Schluss? Ein Happyend?
Meistens geht’s einfach weiter
Natürlich nicht. Manchmal reicht es schon, dass man sein eigenes Handeln ein bisschen besser begreift. Und akzeptiert, dass einen der Tod des treuesten Freundes ganz tief nach unten ziehen kann. In ein schwarzes Loch, aus dem es einem verdammt schwerfällt, wenigstens auf allen Vieren wieder herauszukriechen. A
ber so heftig ist das Leben nun einmal. Für manche sogar noch heftiger. Und es ist dann besonders schwer, das einfach zu akzeptieren. Was kein Widerspruch ist. Denn gerade das, was wir nicht akzeptieren können, macht uns klar, wie sehr wir am Leben hängen. Und an Leuten und Tieren. All dem Zeug, das wir jederzeit verlieren können. Und das wollen wir nicht. Natürlich nicht.
Aber genau das macht unser Leben aus.
Und es sind gerade Schwarwels Zeichnungen, die das zeigen, was Worte nicht sagen können: die ganze Wucht des In-der-Welt-Seins, des Betroffen-Seins und Aushaltens. Das einen nur zu oft an den Rand der Klippe treibt. Und auf einmal merkt man, dass genau das auch dazu gehört – eben weil es nur in den Zeichnungen steckt: das Mitgefühl des Grafikers für sein jüngeres Ich. Es ist ein bisschen Trost dabei, aber auch ein klein wenig Freude darüber, das alles durchgestanden zu haben. Denn danach geht es immer weiter …
Schwarwel „Gevatter. Die fünf Phasen“, Glücklicher Montag, Leipzig 2024, 19,90 Euro.
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