Manchmal tauchen Schlösser wie verwunschene Orte aus dem Nebel der Geschichte auf – so wie das Schloss Hartenfels in Torgau, das um 1485 nach der Leipziger Teilung, als das Haus Wettin in eine Albertinische und eine Ernestinische Linie zerfiel, auf einmal im Mittelpunkt sächsischer Geschichte erschien. Und zu einer der Residenzen für die Ernestiner ausgebaut wurde, die den heute thüringischen und sachsen-anhaltinischen Teil Sachsens übernommen hatten.

Hauptstädte im heutigen Sinne gab es damals noch nicht. Dafür mehrere prachtvoll ausgebaute Residenzen, zwischen denen der Hofstaat wechselte, je nach Anlass. Neben Torgau waren das für die Ernestiner auch noch Wittenberg, Coburg und Weimar. Die Albertiner hatten ja die repräsentative Albrechtsburg in Meißen behalten und zu einem der ersten deutschen Renaissance-Schlösser umgebaut. Da wollten natürlich auch die Ernestiner mithalten.src=”https://vg01.met.vgwort.de/na/9a473184f49e4d118e1eaa0f5004d006″ width=”1″ height=”1″ alt=””>

Und so taucht Schloss Hartenfels genau an der Stelle aus dem Nebel der Geschichte auf, als das Schloss Stück für Stück zu einem der eindrucksvollsten Schlösser in Mitteldeutschland ausgebaut wurde.

Auch wenn Gerd Tiedke in diesem Büchlein voller Geschichten auch ganz tief hinabsteigt – bis in die Keller der Burg, wo über dem Porphyrfelsen, auf dem auch Torgau erbaut wurde, die im Erdreich steckenden Scherben der frühen slawischen Besiedlung des Platzes gefunden wurden.

Jahrhundertelang natürlich verborgen. Denn ab 1485 muss das Schloss einer großen Dauerbaustelle geglichen haben.

Von der Residenz zum Amtssitz

Die Ernestiner scheuten kein Geld und keine Mühe, das Schloss zu ihrer repräsentablen Hauptresidenz auszubauen, mit der sie bei allen europäischen Fürstenhäusern Eindruck schinden konnten. Ein ganzes Kapitel widmet Tiedke all den fürstlichen Hochzeiten, die hier stattfanden.

Auch noch in der Zeit nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes im Jahr 1547, als der ernestinische Kurfürst Johann Friedrich I. auf Seiten der protestantischen Verbündeten kämpfte und Herzog Moritz, der Albertiner, auf Seiten des Kaisers. Die Kaiserlichen gewannen bekanntlich und Moritz bekam nicht nur die Kurwürde, sondern auch Torgau mitsamt dem prächtigen Schloss.

Ein Schloss, dessen Bedeutung in den folgenden Jahrhunderten fortwährend dahinschmolz. Mal wurde es als Zucht- und Arbeitshaus genutzt, dann wieder als Lehrerinnenseminar, Amtsgericht und Justizverwaltung. In DDR-Zeiten war es Sitz des Rates des Kreises Torgau. Heute sitzt hier der Landrat des Kreises Nordsachsen.

Aber gerade die Zeit nach 2000 nutzte der Freistaat Sachsen, um das Schloss Stück für Stück wieder in seiner Renaissance-Schönheit zu restaurieren und es zum Schauplatz beeindruckender Ausstellungen zu machen, was 2017 mit der großen Ausstellung zur Reformation seinen Höhepunkt fand. Denn wenn man die Reformation in Mitteldeutschland hautnah erleben möchte, gibt es dafür zwei ganz besondere Orte – die beiden wettinischen Residenzstädte Wittenberg und Torgau.

Und stimmungsvoll schildert Tiedke schon im Vorwort, wie die Reisenden vom Elbradweg in Torgau abbiegen und sich zu den Sehenswürdigkeiten – wie dem Grab von Katharina von Bora – durchfragen. Nur nach dem Schloss fragen sie nicht, denn es steht ja unübersehbar über der Elbe.

Luther, Leibniz, Thielmann

Was manchem Reisenden seit 1994 fehlt, ist die legendäre Elbbrücke, auf der 1945 die historischen Fotos zur Begegnung der sowjetischen und US-amerikanischen Truppen entstanden. Auch das thematisiert Tiedke natürlich, der die Leser immer wieder auch einlädt, die Türme des Schlosdes zu besteigen – am Ende den 53 Meter hohen Hausmannsturm, mit dem man bei Sonnenschein die ganze flache, aber beeindruckende Elblandschaft unter sich liegen sieht, in der Torgau liegt.

Ein Blick, mit dem man auch die einstige Rolle Torgaus als Festung am Elbübergang nachvollziehen kann. Geschichte ist hier überall greifbar, auch wenn man mit Tiedke die sprechenden Skulpturen und Friese im Schlosshof bewundert oder an die berühmten Gäste im Schloss erinnert wird.

Und das waren eben nicht nur Fürsten und Fürstinnen oder ein Zar Peter I., der hier mit dem großen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz fachsimpelte, sondern auch der Maler Lucas Cranach, der auch einige der grandiosesten Schlossansichten malte, der dann aber auch nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg seinem Fürsten nach Weimar folgte, wo er 1553 starb. Den Hofkapellmeister Johan Walther nicht zu vergessen, der auch Luthers „Eine feste Burg ist unser Gott“ vertonte.

Natürlich war auch Luther hier, der mit der Schlosskapelle 1544 auch die erste protestantische Kirche weihte.

Und mit dem sächsischen General Thielmann erlebt man auch die Zeit der Napoleonischen Kriege, als die Zeit Torgaus als Festung begann, aber wechselnde Truppenbelegungen die Torgauer auch belasteten.

Ein Knotenpunkt der Geschichte

Es lohnt sich, die Geschichten rund um das Schloss zu kennen, bevor man durch das wappengeschmückte Burgtor schreitet. Man weiß dann mehr über Entstehung und Ausstrahlung dieses Schlosses mit seinem beeindruckenden Wendelstein und den Bären im Zwinger, die hier seit 70 Jahren wieder zu Hause sind und geradezu Torgauer Maskottchen geworden sind.

Und man spürt stärker, dass auch das hier immer wieder ein Knotenpunkt der Geschichte war und Feldherren wie der preußische König Friedrich II. nur zu gern als Schlachtensieger im Burghof standen und gern den ganzen Wendelstein eingepackt hätten.

Aber zuletzt möchte man tatsächlich nur noch mit Tiedke auf den Turm klettern und sich die ganze Pracht von oben beschauen, auch ein bisschen stolz darauf, was hier an alter Herrlichkeit und Schönheit liebevoll saniert worden ist. Das Büchlein animiert genau dazu und wird so manchen Radreisenden in nächster Zeit noch extra zu Abbiegen animieren, wenn er auf dem Elbradweg die schöne Stadt Torgau passiert.

Gerd Tiedke „Wahre Geschichten um Schloss Hartenfels in Torgau“ Tauchaer Verlag, Leipzig 2024, 12 Euro.

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