Scheinbar ist es nur eine wichtige Biografie, die die Evangelische Verlagsanstalt hier mit dem Untertitel „Zweifler, Christ, Märtyrer“ veröffentlicht hat. Doch was Paul Schneider, der „Prediger von Buchenwald“, erlebte, erzählt eben auch davon, was aufrechten Menschen in einer Gesellschaft passiert, in der die Gnadenlosen, Bornierten und Selbstgerechten regieren. Sie halten Widerspruch nicht aus. Ein eigentlich hochaktuelles Buch.
Denn die Gnadenlosen haben sich ja wieder zusammengetan und drohen Landeswahlen in Deutschland zu gewinnen. Und ihre Drohungen sind längst auch wieder in Parlamenten und Ratsversammlungen zu hören, mal verbrämt, mal unverhohlen. Ihre Taktik ist dieselbe wie damals, als Paul Schneider nach dem Studium der Theologie seinen Weg als Pfarrer suchte, in „Glaube & Zweifeln“, wie Jochen Wagner ein ganz zentrales Kapitel überschreibt.
Denn wer nicht zweifelt an sich selbst und seiner Berufung, der wird auch nie so deutlich sagen, was wahr ist. Und sich nicht biegen und kleinkriegen lassen, wie es die Autokraten, Gauleiter und kleinen und großen Inhaber der Macht immer wollen. Bei der Erforschung des Nationalsozialismus steht zwar meist die gnadenlose Vernichtungsmaschinerie der Nazis im Fokus, mit der sie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und all die anderen Menschen, die sie für wertlos erklärten, verfolgten und töteten.
Aber diese Maschinerie wäre nicht denkbar gewesen, hätten mehr Menschen klar und deutlich „Nein“ gesagt. So wie der 1897 geborene Paul Schneider, der im Ersten Weltkrieg noch als Soldat und Offizier gedient hatte und 1925 nach langen Wanderjahren, in denen er seinen Lebensunterhalt auch als Industriearbeiter verdiente, 1926 eine Pfarrstelle in Hessen bekam. Da konnte er endlich auch seine Verlobte Margarete Dietrich heiraten.
Zweifel und Konsequenz
Und wie viele andere war der durchaus konservativ gesinnte junge Pfarrer anfangs sogar begeistert von Hitler. Eine Begeisterung, die aber schnell erlosch, als die neuen Machthaber begannen, sich auch in Kirchenangelegenheiten einzumischen. Ein kurzes Gastspiel bei den Deutschen Christen endete schnell. Und doch war der Weg Paul Schneiders zur Bekennenden Kirche nicht vorgezeichnet. Und dennoch konsequent.
Erstaunlich konsequent, wenn man erfährt, dass Schneider schon 1933 mit den neuen NSDAP-Beamten aneinander geriet und einer sogar schrieb: „Dieser Mann gehört in ein Konzentrationslager und nicht auf die Kanzel.“ Paul Schneider hatte es gewagt, öffentlich SA-Chef Röhm zu kritisieren. Hinfort sollte er sich nicht mehr politisch äußern, wurde von ihm verlangt. Doch er konnte nicht anders.
Gerade dann, wenn es um die zunehmende Einvernahme der Kirche für die Politik der Nazis ging. Was 1934 dann schon die Versetzung in ein neues Pfarramt im Hunsrück zur Folge hatte. Die Trennung von seiner alten Gemeinde fiel ihm schwer.
Doch auch auf der neuen Pfarrstelle eroberte er sich schnell die Herzen der Gläubigen – und erzürnte wieder die Nazi-Obrigkeit. Folge: Seine ersten Gefängnisaufenthalte.
So funktionieren Diktaturen. Und genau das kommt dabei heraus, wenn man eine chauvinistische Partei an die Macht lässt. Dann kommen all die kleinen Möchtegern-Schinder in Positionen der Macht, wo sie alle Mittel in die Hand bekommen, aufrechte und anständige Menschen zu brechen. Erst mit Erpressung und Drohung, was oft genug schon genügte, auch mutige Menschen zum Wegducken und Schweigen zu bringen. Was auch vielen Pfarrerkollegen von Schneider so ging. Diktaturen leben vom Erzeugen von Angst.
Autokratien funktionieren immer nach demselben Muster
Doch dieser Paul Schneider ließ sich den Mund nicht verbieten, obwohl er zagte und zweifelte und wusste, dass wieder die Gestapo vor seiner Tür stehen würde, wenn er nicht den Mund hielt. Und dass sie es bei Verhör und Gefängnis nicht belassen würden, wenn er nicht vor ihnen kuschte. Doch 1937 verhafteten sie ihn endgültig und verfrachteten ihn ins KZ Buchenwald.
Es ist kein Zufall, dass einen Schneiders Geschichte auch an höchst gegenwärtige Schicksale wie die eines Alexej Nawalny erinnert. Die russische Autokratie funktioniert nach denselben Mechanismen, wie es auch die Hitler-Diktatur tat. Solche Systeme halten Widerspruch nicht aus. Deswegen versuchen sie jedes menschliche „Nicht mit mir“ zu zerbrechen und auszulöschen, die Widerständigen wegzusperren und in Lagern zu zermahlen, bis das ganze Land schweigt. Und weil sie auch dort nicht schweigen, werden sie umgebracht. Ohne Verhandlung, ohne Urteil.
So wie Nawalny.
So wie Paul Schneider 1939, der seinen Mithäftlingen im KZ Buchenwald zur Stütze und zum Mutmacher geworden war. Auch dort ließ er sich seine Berufung zum Predigen nicht nehmen, gab anderen die Kraft zum Überleben und brüllte selbst noch aus der Isolationszelle seine Bibelsprüche, bis ihn die Wächter wieder einmal zusammenschlugen.
Und am Ende brachten sie ihn mit einer Giftspritze um.
Der Mut der Aufrechten
So ging Paul Schneider als „Prediger von Buchenwald“ in die Erinnerung ein. Auch Dietrich Bonhoeffer, den die Nazis fünf Jahre später ebenfalls umbringen würden, bewunderte Schneider und setzte ihn als Vorbild. Selbst wissend, wie mutig man sein muss, um so ein Vorbild zu sein und sich nicht beirren zu lassen in seiner Menschlichkeit, wenn die regierenden Schergen Menschlichkeit mit Mord und Totschlag beantworten.
Meist ahnen die Menschen in friedfertigen Zeiten nicht einmal, was für ein Geschenk dieser Frieden ist, wenn die Gnadenlosen nicht regieren. Wenn auf ein freies und mutiges Wort kein Zuchthaus droht und einem Beamte nicht mit der Lagerhaft drohen können, wenn man ihre Politik kritisiert. Denn die Wenigsten halten das aus.
Auch davon erzählt ja Paul Schneiders Geschichte, der sich durchaus auch vom nationalen Taumel der Nazis anstecken ließ, bis er begriff, dass diese Leute auch vor den Kirchen nicht Halt machen, den Glauben zu okkupieren versuchen und widerständige Gläubige genauso schikanieren würden wie alle anderen Menschen, die sich der Unmenschlichkeit widersetzten.
Dass er dabei auch den höchsten zu zahlenden Preis in Kauf nahm, frappiert. Hatte er doch nicht nur seine geliebte Gretel, sondern auch fünf Kinder, die nun ohne Vater aufwachsen würden. Auf einmal steckt man genau in denselben verwirrenden Fragen, die sich auch Bonhoeffer stellte: Wie weit darf und kann man gehen mit seiner Standhaftigkeit? Was ist man bereit zu ertragen und auszuhalten?
Und eben auch: Wer gibt den Menschen ringsum eigentlich Halt, wenn es keine Aufrechten wie Schneider und Bonhoeffer mehr gibt? Wer gibt ihnen die Zuversicht, dass sich die Menschlichkeit in Diktaturen nicht zertreten lässt, sondern überdauern kann?
Alles Fragen, die anklingen in Wagners Biografie des „Predigers von Buchenwald“, alles hochaktuelle Fragen. Denn längst geht es wieder genau um solche Haltungen, die man sich zutrauen muss, wenn die Gnadenlosen wieder ihre unmenschlichen Lieder singen und ihre Drohungen verbreiten.
Eine Lehre aus der deutschen Geschichte ist ja, dass man nicht warten darf, bis sie wieder die Macht in Händen halten. Dass man vorher widersprechen muss.
Jochen Wagner „Paul Schneider“ Evangelische Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2024, 15 Euro.
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