Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und auch nicht Bronze oder Marmor. Manchmal sind es nur alte Akten, zerschnippelt und zu einem Brei verrührt, aus dem sich alles zaubern ließ, was sich feudale Herren und kunstsinnige Bürger so erträumten, wenn an den Erwerb von Originalen gar nicht zu denken war. Das 18. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kopien. Und der Kopien von Kopien. Und viele Spuren führen nach Ludwigslust.
Ins Schloss der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin, das Herzog Friedrich sich bis 1776 bauen ließ – hübsch weit weg von Schwerin und der alten Burganlage, in der sich der kunstsinnige Herzog nicht wohlfühlte. Schon gar nicht, nachdem er auf seiner Kavalierstour 1737 auch das mondäne und barocke Paris kennengelernt hatte. Und damit auch den Geist einer neuen Zeit, die Status durch Luxus und Prachtentfaltung zelebrierte.
Doch der Herzog ließ sich nicht nur anstecken vom barockem Glanz – er schaute auch genau hin. Denn Paris war längst auch die Hauptstadt der Luxusfabrikation. Und die Fabrikanten ließen sich so einiges einfallen.
Norbert Leithold, der sich auf die Spur der noch in einigen europäischen Museen vorhandenen Prachtstücke aus Papiermaché gemacht hat, verfolgt diese Spur und folgt damit dem neugierigen Fürsten aus Mecklenburg ins galante Paris, von wo er das Wissen um die Herstellung der beeindruckend leichten Papiermaché-Waren mitbrachte.
Es war im Grunde der revolutionäre Werkstoff, der damals eine vor-industrielle Fertigung vieler Luxuswaren überhaupt erst ermöglichte. So vielfältig gestaltbar, wie das später erst wieder durch moderne Kunststoffe möglich sein würde.
Ein vielseitiger Werkstoff
Umso erstaunlicher für den Autor, dass aus dieser einst fast industriellen Fertigung doch sehr wenig in den Museen überdauert hat. Was seinen Grund auch darin hat, dass Museumsleiter lange Zeit überhaupt keinen Wert auf das Sammeln von Stücken aus Papiermaché legten. Was dann auch den Weg der goldglänzenden Skulptur „Die Stärke“ ins Schweriner Museum verhinderte.
Womit Leithold seine Reise im Grunde beginnt. Sogar filmreif, wie ein befreundeter Grafiker „Die Stärke“ bei ihm in der Wohnung abliefert, hoffend, dass sie hier endgültig gerettet wäre.
Was Leithold den Faden in die Hand gab, die Geschichte dieser seltenen Skulptur zu erforschen und sie mit einer ruinösen Skulptur im Park von Ludwigslust in Verbindung zu bringen. Und damit mit einem ganzen Plastikenprogramm, mit dem einst Herzog Friedrich auch den neu angelegten Park, bestückte. Ein Programm, von dem heute nichts mehr erhalten ist, auch wenn die dort aufgestellten Plastiken aus Papiermaché durch eine kluge Beschichtung tatsächlich wetterfest gemacht worden waren und Jahrzehnte lang im Park überdauerten.
Es ist also auch die Geschichte von Park, Schloss und Schlosskirche, die Leithold erzählen kann, wo überall dieser perfektionierte Werkstoff Papiermaché zum Einsatz kam – egal, ob fürs Altarbild, die Kerzenständer, die Bilder- und Spiegelrahmen oder die Ornamente.
Alte Rechnungsbücher erzählen von der Manufaktur, die der Herzog gründete und die für ein halbes Jahrhundert praktisch der führende Lieferant von Pappmaché-Produkten aller Art war – vor allem von Kopien nach antiken Statuen, die seinerseits das höchste Interesse der gebildeten Welt auf sich zogen.
Denn man lebte ja im Zeitalter der neu rezipierten Antike. Winckelmann öffnete den Blick der gelehrten Welt für die Spuren und Überbleibsel der Antike und die Schönheit der antiken Kunst. Da wollte natürlich jeder Fürst seine Kunstsammlung auch mit eindrucksvollen Plastiken aus Rom und Athen bestücken. Nur: So viele Originale gab es nicht. Sodass sich ein reger Handel mit Gipsabgüssen ergab. Und ein ebenso reger Handel mit professionellen Kopien der Kopien nun in Pappmaché.
Alles, was aus Carton machbar ist …
Den Besuchern klassischer Museen ist das oft gar nicht bewusst. Sie dürfen ja die Skulpturen nicht anfassen. Und so entgeht ihnen auch, wenn die scheinbar in Marmor, Bronze oder Gold ausgeführten Ausstellungsstücke in Wirklichkeit Papiermaché-Exponate aus der Ludwigsluster Manufaktur sind.
Wer das Schloss Ludwigslust besucht, wird damit natürlich konfrontiert, denn fast die gesamte Innenausstattung ließ der Herzog ja in seiner Manufaktur aus alten, geschredderten Akten herstellen. Erst der Blick der Restaurateure hinter die Rosetten, Ornamente und Rahmen zeigt dann in der Regel, woraus die edel glänzenden Teile verfertigt wurden.
Logisch, dass Leithold sein Buch im Untertitel „Eine Entdeckungsreise“ genannt hat. Denn indem er die Geschichte dieses besonderen und zu Unrecht vergessenen Werkstoffs erkundet, macht er das Papiermaché überhaupt erst einmal als einen ganz wesentlichen Stoff der Luxusindustrie im 18. Jahrhundert sichtbar. Er zeigt auch, dass die Manufaktur in Ludwigslust gar nicht die einzige war, die den Markt mit ihren papierleichten Produkten belieferte. Aber sie war die beständigste und erfolgreichste Manufaktur dieser Art.
Die Antike im eigenen Haus
Von manchen besonders beliebten Skulpturen wurden über hundert Exemplare verkauft – an Sammler, Fürsten und Prachtliebhaber aller Art. Darunter beliebte Stücke wie der Apoll oder die Venus von Medici. Die Verkaufszahlen erzählen auch davon, welche Figur der Antike gerade en vogue war. Denn damit konnte der Käufer zeigen, in welchem Zeitgeist- und Bildungskanon er sich verortete.
Aber den meisten dieser Plastiken erging es wohl so, wie es der „Stärke“ auch beinah ergangen wäre: Sie wurden entsorgt oder wurden Kriegsverlust. So mancher Besitzer wird sich, wenn er das scheinbar aus Gold oder Marmor gemachte Stück anhob, enttäuscht gesagt haben: Das ist doch nur Kunsthandwerk!
Der Mensch ist so: Er lebt so gern im Anschein, dass er sich lauter Originale leisten kann. Und vorwiegend merkt er gar nicht, dass auch die schweren Originale nur teure Kopien sind.
Aber im Fall der Papiermaché-Figuren öffnet Leithold hier eben auch den Blick auf eine prägende und für ihre Zeit typische Luxusfabrikation, die von der Forschung bislang sträflichst ignoriert wurde. Man weiß zwar eine Menge darüber, wie die barocke Gesellschaft die Feier der Schönheit zelebrierte. A
ber woher all die wenigstens das Auge beeindruckenden Luxuswaren eigentlich kamen, hat eher weniger interessiert. Ganz verschwunden ist die Kunst natürlich nicht, auch wenn sie heute nur noch in Nischen angewendet wird – etwa beim Fertigen von Karnevalsmasken.
Wie man zu einem Hobby kommt
Aber auch ein ganz privates Interesse hat Leithold auf die Spur der Papiermaché-Produktion gebracht – nämlich der Kauf des Palais Bülow in Ludwigslust, das Großherzog Friedrich Franz 1830 für seinen Vertrauten von Bülow bauen ließ (und das später auch als Offizierscasino und Haus der Pioniere zweckentfremdet wurde).
Auch hier bestand ein Großteil der ursprünglichen Inneneinrichtung aus Papiermaché, was dann bei den ersten Restaurierungsschritten sichtbar wurde. Und natürlich die Neugier des Hausherrn weckte, der das Kleinod in seinen ursprünglichen Zustand versetzen wollte. Was ihm auch gelungen ist.
Das neue Hobby ergab sich dann quasi von selbst: das Sammeln und die Präsentation des Ludwigsluster Cartons. Und natürlich die Beschäftigung mit der Geschichte dieses Werkstoffs, aus dem selbst Deckenrosetten, Friese und Zierleisten gemacht wurden. Den Besuchern, die vor 200 Jahren nach Ludwigslust pilgerten, war das sehr wohl bewusst.
Und sie bestaunten es und wären nie auf die Idee gekommen, dass der Herzog hier einen Reichtum vortäuschte, den er nicht besaß. Denn am Geld lag’s nicht, dass der Herzog alles, was aus Papiermaché machbar war, auch machen ließ. Das beeindruckte die Zeitgenossen durchaus. Und es erzählte von einem für die Zeit sehr modernen Denken.
Das kann man mit Norbert Leithold hier entdecken. Samt einem gebildeten Fürsten, der sich in Ludwigslust sein eigenes, prachtvolle Refugium schuf.
Norbert Leithold „Ludwigsluster Papiermaché“ Tauchaer Verlag, Leipzig 2024, 16 Euro.
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