Erich Loest schrieb zwar 170 Jahre später sein Buch „Die Stasi war mein Eckermann oder: mein Leben mit der Wanze“. Aber eigentlich hat Johann Peter Eckermann das nicht verdient. Er hat Goethe nicht heimlich belauscht. Er hat auch nicht einfach aufgeschrieben, was er um den Dichterfürsten in Weimar herum alles aufgeschnappt hat. Gerade deshalb gelten Eckermanns „Gespräche mit Goethe“ bis heute als authentisch und verlässlich. Aber wie kam die Begegnung zustande?
Wie war das Verhältnis des aus armen Verhältnissen stammenden Johann Peter Eckermann (1792–1854) zu Goethe? Immerhin mussten ja auch diverse Gedenktafeln korrigiert werden, die Eckermann einfach zu Goethes Sekretär gemacht hatten, der er nie war. Bewunderer und Vertrauter würden wohl als Bezeichnung besser passen, bevor er später von Goethe zum Herausgeber seiner Werke gemacht wurde.
Doch daran war 1823 noch gar nicht zu denken, als Eckermann nach Weimar kam und seine Besuche beim greisen Goethe begannen. Der in ihm ganz augenscheinlich einen Gesprächspartner fand, wie er ihn dringend brauchte. Es wollte zwar alle Welt in Goethes Haus empfangen werden. Doch Menschen, die ihn tatsächlich anregten und seine Gedankengänge teilten, gab es auch in Goethes Umgebung nicht viele.
Mit seiner Novelle, Skizze, Kurzerzählung versucht Jan Groh, dieses sehr spezielle Verhältnis aus Sicht Eckermanns und eines seiner Freunde nachzuempfinden, seine Bewunderung, seine Anteilnahme, seine Zeugenschaft. Eingestreut sind Briefe von Eckermanns Freund, aus dessen Perspektive erzählt wird, an dessen Verlobte Charlotte.
Der Freund findet in Weimar kein wirkliches Auskommen und wird weggehen. Eckermann wird bleiben. Noch ist dieser Eckermann erfüllt vom Traum, selbst einmal als Dichter Erfolg haben zu können. 1824 würde er mit Goethes Empfehlung seine „Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe“ bei Cotta veröffentlichen können.
Mit Eckermanns Augen
Doch in Erinnerung ist er bis heute durch seine „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“, deren erster und zweiter Teil 1836 bei Brockhaus in Leipzig erscheinen würden. Arg bespottet von so manchem Zeitgenossen, der mit dem bewundernden Verhältnis Eckermanns zu Goethe nicht viel anfangen konnte. Die Nachwelt sieht das anders.
Denn mit dem letztlich freundschaftlichen Blick des über 40 Jahre Jüngeren auf den gealterten Dichter dürfen die Leserinnen und Leser bis heute auch in Goethes Werkstatt schauen, sind direkt dabei, wie der Alte da am Frauenplan seine Gedanken spinnt, seine Ideen entwickelt und auch die Alterswerke so langsam Kontur annehmen.
In seiner tagebuchartigen Annäherung an den jungen Eckermann erwähnt Groh zwar „Die Vögel“. Aber eigentlich war es die Zeit, als Goethe die „Marienbader Elegien“ schrieb, wenn die Novelle tatsächlich im Jahr 1823 handelt und nicht eher im Jahr 1827, das die (dritte) Schwangerschaft von Ottilie von Goethe erwähnt wird. Und ziemlich sicher ist ja, dass Eckermann es wohl war, der Goethe dazu ermutigte, den zweiten Teil der Tragödie „Faust“ fertig zu schreiben.
Und miterlebt hat er auch Goethes Arbeit am vierten Teil seiner Lebenserinnerungen „Dichtung und Wahrheit“. Ganz bestimmt war der alte Dichter froh, dass er im hohen Alter doch noch einmal einen Gesprächspartner gefunden hat, der ihn animierte, auch weiterhin zu schreiben.
Das vergisst man so leicht, wie sehr kreative Köpfe auf gute Gespräche mit anderen kreativen Köpfen angewiesen sind, die ihnen bestätigen, dass ihre Gedanken nicht weltfremd, närrisch oder gar unglaubwürdig geworden sind. Ob das eine solche Bewunderung zur Grundlage hatte, wie sie Groh mit seinem noch sehr jungen Eckermann zu gestalten versucht? Wer weiß das schon?
Biedermeier und Restauration
Denn dazu müsste man tatsächlich eintauchen in dieses Jahr 1823 oder 1827 in einem Deutschland, in dem die Träume einer großen nationalen Befreiung längst geplatzt waren und mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 längst wieder der Geist der Restauration eingezogen war in deutschen Landen. Da wirkte selbst dieser Goethe wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, in der man noch groß und mutig denken durfte.
Schiller war schon lange tot. Das Biedermeier zog ein. Und die „Gespräche mit Goethe“ zeigen eben nicht nur den greisen Dichter, sondern auch den aufmerksamen Zuhörer und Frager, der die Welt gern genauso aufgeschlossen und neugierig betrachten möchte.
Nur war es Eckermann nie beschieden, jemals festen Grund in sein Leben zu bekommen. Anders als Goethe, der im Dienst des Weimarer Hofes ein sicheres Auskommen und einen gewissen Reichtum erlangte, brachten Eckermann seine Veröffentlichungen keinen Reichtum. Auch in der Zeit mit Goethe lebt er stets mit knappem Einkommen, nicht zuletzt, weil er viel Zeit in die Arbeit für Goethe investierte.
Ob er freilich 1823 oder 1827 schon daran dachte, dass er einmal zum Chronisten für den berühmten Dichter werden würde? Groh jedenfalls sieht es so. Goethe ist mit über 70 Jahren, zumal für seine Zeit, sowieso längst ein Greis. Das alte Weimar verklingt längst. Ein Zeitalter nimmt Abschied. „Nur Sie, Sie werden sein Treuhänder sein“, sagt Eckermanns Freund. „Zu Ihnen werden die vielen kommen, die ihren Teil verlangen. Sie werden sie sättigen müssen. – Das Leben bricht schon auf von hier.“
Goethes Erbe
Hier unterhalten sich beide darüber, was einmal Goethes Erbe sein wird, was bleiben wird von diesem Licht aus Weimar. „Er selbst wird es sein! Sein Leben! Die Grenzen des Menschen werden es sein, die wir bezeugen werden, die Ewigkeit und die Sterblichkeit.“ Aber wer weiß das schon als Zeitgenosse? Als Zeit-Zeuge?
Ohne die Zeugen wüssten wir weniger. Am Ende aber stehen die beiden Freunde – ganz nach antikem Vorbild – nackt im Regen. Das wäre dann eine andere, unerzählte Eckermann-Geschichte. Der eine wird weggehen, die „kleine Sicherheit hier“ verlassen. Und der andere? Fühlt er sich als Totengräber für den Berühmten? „Ich errichte ihm einen Altar, um mein Leben zu fristen. Aber wird man mich noch erkennen, später?“, fragt er.
Was bleibt von Eckermann ohne Goethe? Eine offene Frage. Denn wer fragt nach den Zeugen, wenn alle nur den Berühmten auf dem Sockel betrachten? So gesehen ist das kleine Stück Prosa eine kleine Hommage an den Mann, der sein Werk am Ende in den Dienst eines anderen stellte. Und damit nicht reich wurde, aber berühmt. Und immerhin, ein Grab ganz in der Nähe von Goethes Ruhestätte hat er auch bekommen. Verdienterweise.
Jan Groh „Die Zeugen“ Verlag Sol et Chant, Letschin 2024, 5 Euro.
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