Als Sรคnger jung war, wรคre er beinahe in die linksextreme Szene von Wiesbaden geraten. Und zwar zu der Zeit, als die dritte Generation der RAF gerade ihre nรคchsten Coups plante, dann aber krachend scheiterte und aufflog. 30 Jahre spรคter aber werden alte Erinnerungen wach, als Sรคnger einen neuen Auftrag als Privatdetektiv bekommt. Obwohl er keiner ist und keiner sein will. Aber er kann nicht anders und stรผrzt sich ins mordsgefรคhrliche Abenteuer.
Denn der Typ, den er suchen soll, ist kein Geringerer als Robert โRobbyโ Zimmermann, dereinst mitbeteiligt an der Sprengung eines neu gebauten Gefรคngnisses in Wiesbaden, dem letzten Coup der RAF, bevor sie aufflog. Woran Robby wohl gehรถrigen Anteil hatte. Ein Zutrรคger fรผr den Verfassungsschutz, wie es aussieht. Nach den Ereignissen abgetaucht, wie die anderen Leute aus dem Kern der โStadtguerillaโ.
Aber ganz verschwunden aus dem Leben einiger der Zurรผckgebliebenen scheint er nicht zu sein. Noch schreibt er Briefe. Als wรคre der alte Traum noch immer lebendig, dass man nur eine gewaltbereite Terrortruppe organisieren muss, und schon bringt man โdas Systemโ ins Wanken.
Ein dรผnner Mann
Eigentlich will Sรคnger den Auftrag nicht. Eigentlich hat er Filmwissenschaften studiert, auch wenn er seinen Lebenstraum als Filmemacher nie erfรผllen konnte, stattdessen Filmvorfรผhrer wurde, bis dann auch noch die CD diesem Job alles Geheimnis raubte. Nun ist er arbeitslos, weiร eigentlich selbst nicht, wohin die Reise geht. Auch wenn er mit der Journalistin Marlene eine Frau geheiratet hat, die mit seiner coolen, rotzigen Art etwas anfangen kann.
Einer Frau wie aus einem Krimi von Rex Stout, Raymond Chandler oder โ von Alexander Pfeiffer besonders favorisiert: Dashiell Hammett, von dem er auch den โdรผnnen Mannโ รผbernommen hat. Denn sein Sรคnger ist so ein โthin manโ. Auch wenn man das im Verlauf der Story irgendwie vergisst. Nur den schnodderigen Tonfall hat man die ganze Zeit im Ohr. Denn die Leute, mit denen er es zu tun bekommt, scheinen allesamt direkt auch einem amerikanischen Hardcore-Krimi zu entstammen.
Die Polizisten in Wiesbaden genauso wie die in Hamburg, wohin Sรคnger wider besseres Wissen dann doch fรคhrt. Ausgerechnet in seinen Flittertagen mit Marlene, auch wenn diese erste Tour in die Hansestadt erst einmal ohne Ergebnisse bleibt.
Denn Sรคnger ist nicht genial, kein ehemaliger Cop, der nun als Privatdetektive seine Penunzen verdient, auch wenn er auf das Handgeld dringend angewiesen ist. So sehr unterscheidet sich die prekรคre Lebenswelt derer, die aus dem Normalverdienerleben geschleudert werden, in den USA der 1950er Jahre ganz und gar nicht von dem in Deutschland in den 2010ern.
Die Politiker, die dafรผr sorgen, dass die arbeitslos Gewordenen richtig Muffensausen kriegen, ob sie morgen noch ihre Miete bezahlen kรถnnen, die gleichen sich hรผben wie drรผben wie Hรผhnereier. Arrogant und eingebildet auf ihre tolles โLeistungsdenkenโ bis hinter die nassen Ohren.
Und so etwas erzeugt Stimmungen und Zustรคnde. Die sich sehr von denen unterscheiden, die das deutsche Pantoffelkino den abendlichen Flimmerkisten-Konsumenten prรคsentiert. Das Leben an der Kippe ist dreckig und rรผcksichtslos. Und so stimmt auch der ruรige Ton, den Pfeiffer seinen Helden anschlagen lรคsst, wenn er losgeht und die Leute befragt, von denen er weiร, dass sie damals zur Wiesbadener Szene gehรถrt haben.
Lass dich รผberraschen
Angst scheint er nicht zu kennen. Oder zumindest diese Vorsicht, die andere Leute haben, wenn sie es mit halbseidenen Typen zu tun bekommen, von denen man nicht wirklich weiร, ob sie nicht gleich gewalttรคtig werden. Auch wenn Sรคnger weiร, dass die Leute damals um Robby herum eiskalt und rรผcksichtslos waren. Obgleich sie โ anders als die 1. und 2. Generation der RAF โ nicht mehr wild drauflos mordeten.
Aber dass auch sie keine Skrupel kennen, das erfรคhrt er dann letztlich bei seiner zweiten Fahrt nach Hamburg, wo er mitten hineingerรคt in eine Situation, in der er gewaltig stรถrt.
Dass er am Ende tatsรคchlich alle Protagonisten der alten Ballade tatsรคchlich kennenlernt, damit rechnet er gar nicht mal. Es wird eine nicht wirklich gemรผtliche Begegnung, auch weil er es darauf anlegt und sich vรถllig ohne Absicherung von einer geheimnisvollen jungen Dame โรผberraschen lรคsstโ. Aber eine Ballade wird diese Geschichte am Ende trotzdem โ geradezu filmreif, weil nicht nur ein paar Rechtsextreme รผbers Ohr gehauen werden, sondern auch gleich noch der Verfassungsschutz.
Was Sรคnger erst hinterher erfรคhrt, nachdem ihn die Polizei aus der Pampa abgeholt und neu eingekleidet hat. So kommt er zur Auflรถsung seines Falles, der eigentlich nicht sein Fall war. Und er lรถst so beilรคufig noch einen anderen, der auch nicht sein Fall war.
Sodass das eigentlich ein richtiger Kriminalroman ist, der mit einem Detektiv auskommt, der gar keiner sein will. Und der eigentlich nur das Talent hat, immer mitten im Knรคuel der Ereignisse zu landen, wenn es richtig brenzlig wird. Und der so das verschlafene Wiesbaden (bekannt durch Glรผcksspiel und Verfassungsschutz) auf die deutsche Krimi-Landkarte gebracht hat, wo es natรผrlich hingehรถrt. In diesem Fall sogar sehr markant, denn diesen klassischen Krimi-Sound pflegen nicht viele Autoren in Deutschland. Auch nicht diese leichte snobistische Verachtung fรผr Polizei und VS.
Vorsicht, Alkohol
Aber Pfeiffer schafft es dadurch eben auch, ein Stรผck jener Parallelwelt zu zeigen, in der Leute agieren, die glauben, dass eine radikale Ideologie auch radikale Taten rechtfertigen muss. Manche schaffen den Ausstieg aus so einer Szene und versuchen dann ein halbwegs bรผrgerliches Leben zu leben. Andere aber suchen den Weg in den Untergrund, werden zu Phantomen, nach denen die Behรถrden noch jahrzehntelang fahnden und die spรคtestens zu den รผblichen Jubilรคen dann aus der Versenkung geholt werden.
Auch wenn die zugehรถrigen Medienbeitrรคge dann selten wirklich die Frage behandeln, warum sich Menschen im Namen irgendeiner wilden Ideologie derart radikalisieren. Und zwar eiskalt und nรผchtern.
Wรคhrend Sรคnger sich mit Marlene des รfteren die Kante gibt, sodass zu befรผrchten ist, dass das frisch verliebte Paar in einem Folge-Krimi aus der Feder Alexander Pfeiffers zur Entziehung in die Suchtklinik eingewiesen wird. Alkohol wirkt ja in der Regel genauso zerstรถrerisch auf den Kopf wie eine verwilderte Ideologie.
Aber es liest sich eben mitreiรend. Man hat mit diesem Sรคnger keinen der รber-Menschen vor sich, die in schlechten Krimis ihre Fรคlle immer so locker lรถsen. Nur einen Typen, der sich eben festbeiรt, wenn er Dinge wissen will. Und auch dann nicht locker lรคsst, wenn es brandgefรคhrlich wird.
Und dass er den im Zeugenschutz abgetauchten Robby tatsรคchlich gesprochen hat, wird ihm hinterher auch klar. Hinterher, wenn man als ganz normaler Typ einfach nur noch heilfroh ist, albwegs heil aus der Sache herausgekommen zu sein und eine hat wie Marlene, die zuhรถren will. Und die so einen Lebowski-Typen sogar mag, gerade weil er so schrรคg ist, wie er sich gibt.
Alexander Pfeiffer โTerrorballadeโ Edition Outbird, Gera 2024, 15,90 Euro.
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