Er hat in dutzenden legendärer DEFA-Filme die Hauptrolle gespielt und sich selbst in die Herzen seiner ostdeutschen Bewunderer. Nach seinem Weggang in den Westen hat es Manfred Krug (1937–2016) auch mit Serien wie „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“ und „Tatort“ geschafft, ebenso das westdeutsche Publikum zu begeistern. Als Sänger hat er die Jazzfreunde begeistert und inzwischen wissen wir auch, was für ein begnadeter Tagebuchautor er war.
Wie lebendig er schrieb, kann man zum Beispiel in den beiden Tagebuchbänden „Ich sammle mein Leben zusammen“ und „Ich bin zu zart für diese Welt“ nachlesen. Aber er schrieb nicht nur Tagebücher.
Er hielt auch Gedankenblitze, Beobachtungen und Weisheiten fest. Ganz in der großen Tradition eines Georg Christoph Lichtenberg, der schon 200 Jahre vorher wusste, dass man das, was einem durch den Kopf geht, aufschreiben muss. Und zwar sofort, wenn einen ein Gedanke umgehauen hat oder einem ein besonders schräger Moment geschah. Denn daraus besteht das Leben.
Und es sind diese Überraschungsmomente, die uns immer wieder darauf stoßen, dass das Leben aus lauter unerwarteten Begebenheiten besteht, aus verblüffenden Einsichten und der gar nicht so unwichtigen Erkenntnis, dass wir selbst vor Narreteien nicht gefeit sind.
Erinnerung an ein mürrisches Land
Und genau so lesen sich auf Krugs aufgeschriebene Notate zum erlebten Alltag, zu Flohmarktbesuchen, Fernseherlebnissen, von Dreharbeiten und Handwerkerbegegnungen. Das Leben ist voller Gelegenheiten, etwas Besonders zu entdecken oder immer wieder zu stutzen dabei, wie seltsam es hienieden zugeht. Wobei bei Manfred Krug natürlich auch ein langes, abenteuerliches Leben in den beiden deutschen Staaten hinzukommt.
Das sorgt für einen besonderen Blick auf beide Seiten. Und schärft die Sinne auch für das Stück Land, das Krug 1977 verließ, nachdem er 1976 das Protestschreiben gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann mit unterzeichnet hatte.
Was danach passierte, hat er in seinem Buch „Abgehauen“ sehr deftig und deutlich beschrieben. Und folgerichtig sieht er auch noch 20 Jahre später sehr kritisch auf dieses muffige kleine Ländchen, dessen Muffeligkeit er auch noch nach Jahren spürte. Was man überhaupt erst einmal sehen wollen muss. Und was viele Ostdeutsche bis heute nicht wahrhaben wollen, dass sie das Klima des kleinen, bevormundeten Landes bis in ihr persönliches Verhalten geprägt hat.
Es ist zwar vor allem eine Reflexion von Manfred Krug, in der er sich über die erlebte Dienstleistungsfreundlichkeit des Westens Gedanken macht, die ihm geradezu als Gegenteil der mürrischen Gereiztheit in ostdeutschen Restaurants erschien. Aber es sind solche kleinen Beobachtungen, die deutlich machen, wie sehr das Klima eines durchherrschten Staates auch die Mentalität seiner Bewohner beeinflusst.
Und für Krug ist das Verblüffende, dass diese Mürrischsein nach der Wiedervereinigung auf einmal auch im Westen um sich griff. Als wäre die untertänige Erwartungshaltung, die das Leben vieler Ostdeutscher 40 Jahre lang prägte, auf einmal übergeschwappt.
Die Schönheiten des Lebens
Natürlich ist das nur ein Aspekt aus dieser kleinen Sammlung, die Krugs langjährige Lektorin Krista Maria Schädlich zusammengestellt hat und die der Grafiker Moritz Götze illustriert hat. Unter anderem mit dem Bild vom Cover, das den nachdenklichen Krug auf seinem bunten Teppich zeigt, den er in einem seiner Notate ausrollt und dann stundenlang betrachtet, weil ihm nur zu bewusst ist, dass ihm nur noch wenige Jahre zum Betrachten der Schönheiten des Lebens zur Verfügung stehen.
In anderen Notizen lässt er durchschimmern, wie sehr sein Seitensprung seine Lebensgefährtin Otti getroffen hat. Was der durchaus feinfühlige Krug selbst am Essen schmeckt. Ein Aspekt, der ihm eminent wichtig war – bis in seine Arbeit am Set hinein, wo er auch schon mal Assistenten und Regisseure vom Platz scheuchen konnte, damit sie die nächste Tatort-Szene nicht mit falschen Anweisungen versauten.
Denn nach einer langen Schauspielkarriere wusste er nur zu gut, wie man Szenen spielen musste, damit sie für die Zuschauer stimmig wurden.
Auch seine Tagebücher waren ja voller Flüche auf die Oberflächlichkeit vieler Leute in der Filmbranche, angefangen mit Drehbuchschreibern, die gehaltlosen und lebensfernen Serienmist lieferten, bis hin zu Regisseuren, die kein Gefühl dafür hatten, wie man eine laue Story durch gut gemachte Szenen retten konnte.
Das schimmert auch in seinen kleinen Notizen durch, in denen er auch die nicht so erfreulichen Abenteuer seines alternden Körpers nicht ausspart. Und auch nicht die Einsichten, die er im Lauf seiner Karriere gesammelt hat. Da bedauert er durchaus, viel zu oft Zugeständnisse an scheinbar höhergestellte Personen gemacht zu haben – selbst wider besseres Wissen.
Das hat sich eben leider nicht geändert: Auf der Sprossenleiter klettern nicht unbedingt die begabtesten Leute nach oben, sondern eher die, die Geltung und Macht haben wollen.
Staunen und Lernen
Wobei die Politik eher nur ganz sachte am Rand aufscheint. Und auch am Fernsehen interessieren den neugierigen Schauspieler nicht die dümmlichen Talks und die politischen Inszenierungen, sondern die naturwissenschaftlichen Sendungen, aus denen er so manche verblüffende Erkenntnis fürs eigene Leben mitnimmt. Und natürlich das Staunen, zu dem er sehr wohl fähig war. Über die seltsamen Tierwesen in der freien Natur und die unendliche Schönheit des Kosmos.
Man braucht ja beides – das Staunen und das Gefühl für die eigene Fehlbarkeit – wenn man wirklich etwas begreifen will in diesem Leben. Und auch darüber, wer man selbst eigentlich ist und wann man tatsächlich ganz man selbst ist. Etwas, was bei Manfred Krug natürlich ins Auge sticht, weil jede seiner Rollen von seiner unübersehbaren Präsenz lebt.
Sodass er für viele ein Typ wurde, den man tatsächlich bewundern und beneiden konnte. Und dem man mit inniger Freude zuhört, wenn er seine kleinen und manchmal wunderbar schrägen Einfälle über das Leben, die Liebe und den ganzen Rest vorträgt. Man hat sogar seine Stimme im Ohr beim Lesen. Denn auch in diesen kurzen Stücken ist er ganz und gar Manfred Krug.
Manfred Krug „Mir fällt gerade ein …“ Kanon Verlag, Berlin 2024, 15 Euro.
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