Schon der Untertitel hätte misstrauisch machen dürfen. Denn er beschreibt eine Weltsicht, eine enge, aber weit verbreitete – auf „Zustände, Umstände und Missstände“. Aber wir sind ja tapfer. Wir lesen auch solche Bücher. Dieses sogar bis zu Ende. Auch wenn keine Geschichte davon fröhlich ist. Der Herr hat sich den falschen Namen zugelegt. Auch wenn er manchmal den Fröhlichen und Unbeschwerten spielt. Aber er lebt nicht unbeschwert, sondern geplagt von der Dummheit der Welt.
Deswegen werden die Geschichten vom Herrn Fröhlich auch nicht zu Parabeln, über die man nachdenken kann oder stolpern, stutzen und verblüfft sein. Und dabei erinnert die Erzählform an große Vorbilder.
An Bert Brechts zutiefst philosophische Geschichten vom Herrn Keuner, in denen der listige Augsburger demonstrierte, wie man sich im Leben irren kann, stolpern, staunen und wieder aufstehen, um sich hernach die Hose abzuputzen und froh zu sein, dass es noch mal gut gegangen ist.
In dieser ganz großen Tradition hat Hans Magnus Enzensberger „Herrn Zetts Betrachtungen“ geschrieben. Beide Mal: ein kleiner Mann. Ganz gewöhnlich, aber doch nachdenklich – sich Gedanken machend über das, was ihm so passiert.
Der Frust der Einsamen
Das könnte auch Herr Fröhlich sein, dessen Autor Erwin Bernhard mit den Lesern ein bisschen Versteckspiel spielt und behauptet, zuletzt in Basel gesehen worden zu sein. Das Internet aber verortet ihn in Frankfurt am Main. Wo man halt so landet nach einem arbeitsamen Leben. Mit sich und seinen Vorstellungen von der Welt. Es hätte auch Hannover sein können oder irgendeine Stadt im anderen Landesteil.
Denn so sehr unterscheiden sich die Temperamente augenscheinlich nicht mehr. Man ist allerorts unzufrieden, grummelt und will auch gar nicht mehr verstehen, wie die Welt funktioniert. Was zumindest verblüfft, denn bislang nahm ich an, dass die Leute in Hessen und drumherum nicht ganz so trübselig einer als schön verklärten Vergangenheit nachhängen.
Aber augenscheinlich tun sie es doch. Erst recht, wenn sie – wie Herr Fröhlich – alte einsame Männer sind, die ihr Leben im eigenen Kopf verbringen und manchmal in die Stammkneipe gehen, um sich von ihren Mitgestrandeten bewundern zu lassen für ihre schweren und klugen Gedankengänge. Die meist gar nicht so lang sind. Aber wer freut sich nicht über Bewunderung?
Nur dass man dabei trotzdem einsam werden kann und in Schleifen und Blasen landen. Herr Fröhlichs Weltsicht ist jedenfalls nicht die von Herrn Zett und auch nicht die von Herrn Keuner, obwohl Herr Keuner die Verwirrungen des kleinen Mannes nur zu gut kennt. Aber er nimmt sich nicht so wichtig und behauptet auch nicht, die Welt besser verstanden zu haben als andere. Anders als dieser Herr Fröhlich, den man in vielen Geschichten nur zu gut versteht, denn ihm passieren Dinge, die allen mal passieren.
Denn das ist ja das Spannende an der Figur des kleinen Mannes: Wie sieht er die Welt? Wie fühlt er sich in seinem kleinen Leben?
Ich, das Volk
Herr Fröhlich macht sich viele Gedanken über Freiheit. Aber im Herzen ist er ein braver Untertan, der mit den Mächtigen grollt. Was mit seiner Sozialisierung zu tun hat. Er glaubt, er sei das Volk und denke wie das Volk. Und irgendwo da oben sind „die Mächtigen“.
Was dann so ein Bild von der Welt ergibt: „Auch Demokratie ist nur eine Erzählung einer kleinen privilegierten Gruppe des Volkes, die die überantwortete Macht verschleißt. Ein Blick hinter die Kulissen bringt einen wohl weiter als der Blick auf den oberflächlichen Plunder, dachte Fröhlich.“
Da hat man schon weit gelesen. Auch über mehrere Szenen hinweg, in denen sich Herr Fröhlich für seine klugen Worte in der Biertischrunde bewundern lässt. Es ist ja so fremd nicht. Solche Leute gibt es tatsächlich und scheinbar immer mehr. Die auch Widerspruch und Nachfragen nicht aushalten. Das Buch hätte eine kleine Anatomie des ratlosen Untertanen werden können, hätte der Autor das alles nicht so ernst gemeint.
Und so verständnisvoll ist die Bierrunde im Stammlokal auch nicht, wie man zuvor meinte. Als Herr Fröhlich Widerspruch erntet, steht er auf und sagt streng: „Meine Herren, ich fühle mich von zweien unter Ihnen heute missverstanden und sehr in die Enge getrieben. Die andern schweigen. Ich lasse Sie alle wissen, dass es in dieser Welt nicht angedacht ist, dass alle Menschen Meinungen von anderen annehmen sollen, ohne diese vorerst zu durchdenken.“
Die Rede ist noch länger. Aber am Ende geht er und äußert die Erwartung, dass ihm das beim nächsten Mal nicht wieder passiert. Denn das verträgt er nicht.
Und wahlweise können einem da die großen Filme mit Heinz Erhardt einfallen oder die mit Louis de Funès. „Meine Herren!“ Als wäre Herr Fröhlich ordentlich in den biederen 1960er Jahren sozialisiert und ginge davon aus, dass auch 60 Jahre später alles noch genauso sein muss. Man merkt es an seinen Leitsätzen und Erklärungen: Die Gegenwart empfindet er als eine ständige Zumutung gegen seine Prinzipien und Prämissen.
Die übrigens gar nicht so schrecklich sind. Denn er ist ordnungsliebend, sammelt sogar den Müll anderer Leute auf.
Die Mächtigen und das Volk
Man sieht ihn regelrecht vorwurfsvoll durch seine Tage laufen und sich inwendig immerfort ärgern über die Ungehörigkeiten der anderen Menschen. Und niemand hilft ihm. Obwohl er das doch erwartet. Von den Mächtigen. Oder wem auch immer. Denn so ist sein Staats- und Demokratieverständnis: De Mächtigen sind dazu da, die Dinge ordentlich zu machen. Das Volk erwartet das so, auch wenn das Volk eigentlich nur Herr Fröhlich heißt.
„Alles wird gesehen und geduldet, doch nicht hinterfragt“, denkt er sich beim Nachdenken über alte und arme Leute. Es ist ja nicht so, dass es wirklich gerecht zugeht in unserem Land.
Wenn man Herrn Fröhlich glaubt, lebt er selbst bescheiden und allein. Von Frau und Kindern ist keine Rede. Das würde ihn vielleicht sogar auf andere Gedanken bringen. Und auch mal ins Gespräch mit anderen Leuten, die er mal nicht belehrt, wie sie sich bitteschön zu verhalten haben nach Recht, Gesetz, Sitte und Ordnung. Aber das passiert ihm nicht. Solche Gespräche enden in der Regel damit, dass Herr Fröhlich sich umdreht und geht. Was er zu sagen hätte, sagt er sich im Stillen.
Er wünscht sich nur, dass was passiert. Oder wie er es in der Geschichte mit den armen alten Leuten denkt: „Nun fragt sich Herr Fröhlich, warum das so ist, und fragt sich, wie lange er noch wegschauen wird; denn mit einer gemeinen Sache will er sich nicht länger gemein machen.“
Das klingt vertraut. Da scheint er ganz und gar nicht allein. Protest hält er für legitim – aber bitte friedlich und leise und ohne Trillerpfeifen. Das dürfe man in einer Demokratie. Während er gleichzeitig den Untergang des wirtschaftlich blühenden Landes befürchtet, in dem er lebt. Weil die Leute nicht mehr fleißig sind und alle nur noch ihren Vorteil suchen.
Und – das ist die Stelle – an der man selbst aufstehen möchte und Herrn Fröhlich in seinem Buch allein lassen: Weil die Mächtigen lauter Fremde von außerhalb ins Land holen, die mit jeder Menge Münzen gepäppelt werden, aber nicht arbeiten wollen. Manchmal kommen diese Weisheiten vom Biertisch ganz geballt, auch wenn Herr Fröhlich immer wieder behauptet, er hätte gründlich adrüber nachgedacht.
Herr Fröhlich in der Zwickmühle
Am Ende ist man froh, dass man Herrn Fröhlich allein lassen kann mit seinen klugen Reden. Und seinem kleinen Stolz aufs Selber-Denken. „Die obersten Staatsleute versäumen es, aus den besonderen Ereignissen und Kalamitäten wichtige Lehren zu ziehen“, denkt sich Herr Fröhlich beim Beschauen der neuesten Show in seiner Flimmerkiste. „Anstatt sich selbstkritisch zu reflektieren und die Realität anzuerkennen, verharren sie in ihrer unflexiblen Denkweise und wiederholen ständig dieselben Sätze.“
Wenn man das so sieht, haben die anderen immer Unrecht. Herr Fröhlich ist sehr stolz darauf, dass er das selber denkt und seine Worte wählt, wenn er es sagt. Was er darf. Was ihn aber nicht liebenswerter macht. Eigentlich ist man froh, wenn man ihm auf der Straße nicht begegnen muss. Denn sein Leben ist ein einziger Vorwurf. Er fühlt sich nicht mehr gemeint.
„Wer will schon, so der Philosoph Fröhlich, in seinem Land etwas schaffen, wenn er am Ende nur in der Zwickmühle steckt, auf die eine oder andere Weise der Gefangene seiner werten Mitmenschen zu sein?“. Das klingt nicht philosophisch. Eher nach der Überforderung des kleinen Mannes, der es mit den anderen Menschen, die nicht so ticken wie er, nicht aushält.
Auch tätig scheint er nicht zu sein. Er schaut von draußen oder vom Rand auf die Welt und die Menschen, die er nicht mehr verstehen mag, die jungen Leute schon gar nicht, die sich so laut und heftig um die (Klima-)Zukunft sorgen.
Herr Fröhlich geht baden
Was Herr Fröhlich so treibt, wenn er gerade nicht mit seinen Mitmenschen hadert, verrät er nicht. Er mag zwar Vorschriften, Sitte und Sauberkeit. Werte nicht zu vergessen. Von Werten redet er nur zu gern. Aber er mag keine Verbote. Und er hält vieles für ein Verbot, worüber nur diskutiert wird, weil es vielleicht gut wäre, wenn man Menschen dazu bringen könnte, mit der Welt sorgsamer umzugehen.
Was er zwar selbst tut, wie er sagt. Aber er befürchtet Schlimmstes, wenn das zum Verbot wird. Am Ende darf man nicht mal mehr in den Wald, wo er so gern wandert. Er malt sich Schreckliches aus.
Und am Ende belässt er es auch nicht mehr beim Brodeln vor dem Fernseher. „Es dauerte von nun an nicht mehr viele Wochen. In dieser Umgebung, in der sich nichts änderte und der Respekt der Einwohnerschaft missachtet wurde, entschied sich Herr Fröhlich dazu, sich anzuschließen und sagte: ‚Auf Wiedersehen‘.“
Am Ende geht er tatsächlich baden. Und irgendwie scheint das nur folgerichtig, wenn einer immer nur Zustände, Umstände und Missstände sieht und aus seiner Haut nicht kommt. Auch wenn er denkt, er müsse nur gründlich genug darüber nachdenken. Aber was bringt das, wenn man die Widersprüche nicht aushält?
Man wird so nicht zum Philosophen, auch wenn man das von sich denkt. Man wird zum Griesgram. Und beginnt dann, ständig die anderen zu belehren und zu maßregeln. Oder sich einzuigeln in falschen Geschichten, die so schön einfach klingen. So einfach, dass es am Ende der kleinen Geschichten nicht mal ein Stutzen gibt, ein kleines Aha-Erlebnis, wie leicht man sich doch irren kann im Leben.
Herr Fröhlich weiß schon alles. Das ist seine Tragik. Er fragt nicht, er sagt. Und wenn man ihm widerspricht, steht er auf und ist beleidigt.
Schade eigentlich. Es hätte eine schöne Studie werden können über den kleinen Mann in seinen heutigen Irrungen und Wirrungen. So ist es nur eine Rechtfertigung geworden, die nicht mal den Helden tröstet, der so auf seiner Freiheit beharrt und doch nicht herauskommt aus seiner Vorwurfshaltung.
Typisch, könnte man sagen. Kenn ich, kann man sagen. Aber wirklich neugierig auf die Fährnisse des Herrn Fröhlich macht das nicht.
Erwin Bernhard „Herr Fröhlich. Kurze Geschichten über Zustände, Umstände und Misstände“, Edition Pauer, Kelkheim 2023, 22 Euro. 14,95 Euro.
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