Es gibt Bücher, die erzählen nur durch Bilder. Solche Bücher verlegt der Kunstanstifter Verlag für Illustrationen in Mannheim. Und immer wieder kommen hier auch Leipziger Grafikerinnen zum Zug – bzw. zum Bus, wie in diesem Fall Christina Röckl, die sich nicht nur an Regentagen wünscht, dass die Menschen wieder lächeln. Denn wir sind ganz offensichtlich ein griesgrämiges und miesepetriges Land geworden.

Oder mit den wenigen Worten, mit denen das Buch zum Aufblättern einlädt: „Ein Bus fährt. Tagein, tagaus. Die Stimmung ist zäääh …“

Wobei man ja bei diesen alltäglichen deutschen Stimmungslagen immer öfter nachzudenken beginnt, woran das eigentlich liegt. Haben wir alle Regenwolken im Kopf? Steckt das in unseren Genen, dass wir nur noch seufzen, stöhnen und klagen? Unterscheiden wir uns da irgendwo auf heimtückische Art von anderen Völkern, die ihren Alltag viel gelassener, freundlicher und fröhlicher angehen?

Ordnung, Disziplin und miese Laune

Das Buch erzählt eben so nebenbei auch eine Geschichte davon, wie Gedanke in unseren Kopf kommen. Und ein ganz typischer deutscher Gedanke dreht sich um Worte wie Pflicht, Ordnung, Fleiß, Disziplin. Worte, aus denen man Diktaturen basteln kann. Oder das Gefühl, das sehr viele Deutsche ein Leben lang mit sich herumtragen und das sie gar nicht hinterfragen: Es ist das Gefühl, nicht zu genügen.

Nie wirklich zufrieden sein zu dürfen mit etwas, nie fertig, nie froh. Ein Gefühl, das mit der Angst direkt verbunden ist, nicht fleißig genug zu sein, den Chef zu verärgern, den Makel eines faulen Menschen angehängt zu bekommen.

Ein Gefühl, das kaltschnäuzige Politiker nur zu gern befeuern, wenn sie über Faulpelze und Menschen in der „sozialen Hängematte“ schwadronieren. Menschen, die auf Alimente angewiesen sind. Da möchte keiner gemeint sein. Da möchte man nicht landen. Also rackert man wie blöd, selbst wenn einen der Job ankotzt. Und guckt schon morgens griesgrämig in die Welt.

Denn wer sagt einem denn, dass die anderen Leute im Bus nicht Schmarotzer und Faulpelze sind? Die „unsereins auf der Tasche liegen“ und „unsere“ Steuergelder verprassen?

So kommt das Misstrauen in die Köpfe. Und die grollende Verachtung für alle anderen, die man gar nicht kennt. Und so sitzen wir dann alle in den Bussen. Tagein, tagaus. In aller Herrgottsfrühe. Denn weil wir alle fleißige Handwerker sind, stehen wir früh noch in der Dunkelheit auf und steigen in den vollen Bus, der sich ganz offensichtlich selbst wütend in die dunkle Nacht stürzt.

Schaut mal!

Auch Busse können Stimmungen haben.

Zumindest in Christina Röckls Bildgeschichte, die völlig ohne erklärende Texte auskommt. Nur Gefühlsäußerungen gibt es später im Bus, nachdem ein Bursche mit Clownsnase eingestiegen ist und sich aus den mürrischen Gesichtern ringsum einfach nichts macht. Denn er schaut aus dem Fenster. Und was er da entdecken kann, teilt er seinen Sitznachbarn umgehend und fröhlich mit: Schaut mal!

Denn dazu haben Busse ja Fenster: dass man mal herausschaut. Nicht nur nach dem Wetter, sondern auch nach den bekannten und manchmal überraschende Dingen an der Strecke, die man jeden Morgen verkatert und grollend mit Dutzenden Anderen fährt. Nur macht es ganz offensichtlich einen Unterschied, ob man dabei murrend und verbittert vor sich hin stiert und regelrecht im Sumpf der eigenen negativen Gefühle badet. Oder ob man sich doch mal freut, wenn man da draußen vorm Fenster etwas Lebendiges sieht.

Und meistens sieht man was. Was in diesem Fall sogar zu einer eigenen Erzählung ohne Worte wird, denn während einer nach dem anderen aufmerkt, anfangs geradezu ärgerlich aus seinem Gemuffel hochschreckt, wird es draußen zunehmend Tag. Die Bühne vorm Fenster wird also immer heller und farbenreicher.

Und so, wie das Geschehen immer farbiger wird, so hellen sich auch im Bus die Gesichter auf, weichen Zornblau, Griesgramgrün und Ärgerlila nach und nach helleren – unser Hausarzt würde sagen: gesünderen – Hautfarben. Als käme jetzt endlich menschliches Leben in diesen Bus. Und aus Zombies und Nachtgestalten werden wieder Leute, die sich tatsächlich auch über kleine Dinge freuen können.

Die kleinen Dinge im Alltag

Die es übrigens meistens umsonst gibt in dieser Welt, wenn man nur die Sinne dafür öffnet. Oder jemand einen darauf hinweist, weil man sie in seinem Trott sonst übersehen hätte. Und manchmal ist der eine einfach unersetzlich. Denn irgendwie fühlt sich dieses Land ja langsam so an, als sei das Murren und Klagen fest eingebrannt in die Hirne und die Menschen finden einfach nicht mehr heraus aus ihren Schleifen des Missvergnügens. Als wäre es ein Volkssport, missvergnügt zu sein und aller Welt zu zeigen, wie schwer man an seiner Missvergnügtheit zu tragen hat.

Wir sind geplagte Leute. So scheint es. Und es kostet schon ein bisschen Mühe, uns aus unserer geübten Grollerei herauszuholen. Aber vielleicht klappt es ja, so wie in dieser Bildergeschichte, die wie ein Film abläuft, mit einem kleine Stups, der zumindest erst mal ein paar Gesichter in Bewegung bringt. Und am Ende einen ganzen Bus zum Lachen bringt.

Als hätten all die traurigen Fahrgäste jetzt begriffen, dass wir eigentlich nicht für die Herren mit ihren „Üb’ immer Fleiß und Redlichkeit“-Reden auf der Welt sind, sondern um ein bisschen Freude daran zu haben.

Denn der Missmut ist billig und kann bei jedem vergnatzten Politiker in Zehner-Paletten abgeholt werden.

Die Freude am Leben aber ist kostbar. Kostbar wie ein Lächeln oder ein Lachen morgens in einem vollen Bus, der einen eben nicht nur von einer trüben Wolke zur anderen bringt, sondern auch von einem kleinen Abenteuer zum nächsten. Zumindest dann, wenn man sich nicht eingeigelt hat in seinem Pullover der Missmutigkeit und nicht mehr aus ihm herauskommen will.

Aber das Buch könnte ja helfen dabei. Nehmen Sie es einfach mit in den Bus.

Christina Röckl „Bus“ Kunstanstifter, Mannheim 2024, 22 Euro.

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