Da werden selbst BĂźrgermeister närrisch, wenn in diesem Jahr die Europameisterschaft im FuĂball auch in ihrer Stadt ausgetragen wird. Dabei ist, wie Arnd Zeigler feststellt, FuĂball ein komisches Spiel. 22 Leute rennen einem Ball hinterher. Und Zehntausende fiebern, brĂźllen und jubeln im Stadion mit. Oder diskutieren hinterher tagelang Ăźber den Schiedsrichter und den Trainer. Als hätten sie selbst mitgespielt. Dabei saĂen sie nur zu Hause im Sessel.
Auch Arnd Zeigler findet es schwierig zu beantworten, warum sich einige Leute derart fĂźr FuĂball erwärmen und dann oft ein Leben lang einem einzigen FuĂballclub anhängen. Und einige die Schulter zucken. Muss jeder Mensch einen Lieblingsverein haben? Nicht wirklich. Zeigler hat natĂźrlich einen: Er ist Stadionsprecher im Bremer Weserstadion. Und mit seiner Sendung âDie wunderbare Welt des FuĂballsâ beim WDR erreicht er ein groĂes fuĂballverliebtes Publikum.
Jetzt hat er zum ersten Mal ein Kinderbuch geschrieben, in dem er die Frage natĂźrlich auch nicht klären kann, warum so viele Leute fuĂballnärrisch sind. Zumindest versucht er es, und zwar in Form eines FuĂball-Lexikons von A wie Abseits bis Z wie Zaubern. Darin erklärt er â liebevoll illustriert von Philipp Waechter â nicht nur die ganzen Fachbegriffe, mit denen FuĂballexperten um sich schmeiĂen, und die Herkunft der Regeln, die so ziemlich alle im Mutterland des FuĂballs, in England, entstanden sind.
Wie wird man ein gutes Team?
Aber er versucht den wahrscheinlich jungen Leserinnen und Lesern (wer weiĂ, ob sich nicht Papa das Buch unter den Nagel reiĂt) auch ein GefĂźhl dafĂźr zu geben, was am FuĂballspielen eigentlich das Wichtigste ist. Und das sind nicht die Siegerpokale und Mannschaftstrikots.
Er macht es anschaulich, indem er die ganzen FuĂballregeln aus Perspektive einer kleinen DorffuĂballmannschaft schildert, wo Jungen und Mädchen gemeinsam kicken und ihr Trainer Rullhusen aus diesen ganzen vĂśllig verschiedenen Charakteren versucht, eine Mannschaft zu machen. Zu formen, nicht zu schmieden.
Denn dieser Rullhusen ist eben eher nicht der Typ des harten und brĂźllenden Coaches, wie er die deutsche FuĂballlandschaft Jahrzehnte lang dominierte, sondern ein einfĂźhlsamer Bursche, der weiĂ, dass Drill und GebrĂźll kein Team formen. Und schon gar keine starken PersĂśnlichkeiten. Jeder Junge und jedes Mädchen, die er aufs Feld bringt, hat eigene Stärken und Schwächen. Manche sind brillante Dribbler, andere kĂśnnen die besten FreistĂśĂe.
Manche sind nicht so fix beim Rennen, sind aber gut in der Abwehr. Und immer wieder geht es um die ganz gewÜhnlichen menschlichen Schwächen, die wir alle haben. Wir EigenbrÜtler und Supertalente: Man kann die Mannschaft voller Stars haben und trotzdem im Spiel baden gehen.
Denn im FuĂball geht es ganz offensichtlich um ein echtes Mannschaftsspiel, in dem alle Spieler lernen mĂźssen, einander die Bälle zuzuspielen, eben zusammen zu spielen. Da kennt Rullhusen nichts. Er lässt die Kinder auch richtig schwierige Sachen wie das Umschaltspiel Ăźben. Und freut sich bärig dabei, wenn die Mädchen und Jungen dabei sogar die Zeit vergessen und gar nicht merken, wie sie dabei immer besser werden.
Die Sache mit der Moral
Wahrscheinlich ist es wirklich das, was am FuĂball bis heute tatsächlich fasziniert, auch dann, wenn am Ende ein langweiliges 0:0 da steht oder die eigene Mannschaft sogar verloren hat. Aber wenn man da in seinem Sessel sitzt oder in der Sportlerkneipe oder tatsächlich im Stadion, sieht man eben 90 Minuten lang (und manchmal noch länger), wie aufregend und mitreiĂend es sein kann, wenn Menschen tatsächlich miteinander etwas GroĂes anstreben.
Das erlebt man eben im normalen Leben viel zu selten. Obwohl es Menschen lieben, wenn es mal passiert. So erklärt es Arnd Zeigler zwar nicht. Aber man spĂźrt es, wenn er die vielen kleinen Szenen schildert, in denen die Kinder lernen, was auch alles schiefgehen kann im FuĂball â vom Eigentor bis zum Foul im eigenen Strafraum.
Es gibt sogar ein eigenes Kapitel âMoralâ, in dem Tainer Rullhusen den Mädchen in der Mannschaft beibringt, dass das eben nichts damit zu tun hat, dass jeder nur an seine eigenen Lorbeeren denkt. Sondern mit der Fähigkeit zu tun hat, auch fĂźr die anderen sein Bestes zu geben, den Kopf nicht hängenzulassen und weiterzukämpfen, auch wenn es im Spiel mal einen richtigen Hänger gab.
Auch so etwas, was die Zuschauer bewundern: Wenn sich die Spielerinnen und Spieler da unten einfach nicht klein kriegen lassen und bis zuletzt am Ball bleiben. NatĂźrlich bewundern wir das. Das hat uns schlieĂlich zu Menschen gemacht. Nur dass eben viele Leute das in ihrem Leben nicht mehr erfahren, wie das ist, wenn man wirklich mit Anderen zusammen richtig ins Spiel kommt.
Bei Trainer Rullhusen lernen das die Kinder noch. Er brĂźllt sie nicht an, sondern nimmt sie lieber ganz ruhig beiseite. Er will sie nicht beschämen und nicht entmutigen. Denn andererseits sieht er ja auch die Talente in ihnen â und die nur zu bekannte Angst, trotzdem auf dem Rasen alles falsch zu machen. Denn die Mannschaft spielt ja wirklich in einer richtigen Liga. Oft genug auch gegen âAngstgegnerâ.
Da gelten schon ganz andere Regeln als auf dem Bolzplatz, wo jeder sein eigener Star sein darf und dribbeln, täuschen und Zauber kann, wie er will. Was auch Zeigler nur zu verständlich findet, denn irgendwie steckt das tief in uns Menschen, dass wir, wenn wir einen Ball sehen, unbedingt etwas anfangen wollen mit dem Ding.
Erst Regeln machen das Spiel spannend
Die Urformen des FuĂballs sind wahrscheinlich viel, viel älter als die offiziellen Anfänge in Derbyshire â wo dann auch das Derby erfunden wurde, das genauso wie Schiedsrichter, FreistoĂ, Bananenflanke und FallrĂźckzieher seinen Weg in dieses Buch gefunden hat. Jungen und Mädchen, die tatsächlich ihre Begeisterung fĂźr FuĂball entdeckt haben, bekommen hier die ganzen Regeln erklärt â und vor allem auch, warum es diese Regeln gibt und warum diese Regeln erst dafĂźr gesorgt haben, dass FuĂballspiele wirklich spannend geworden sind.
Zeigler lässt die KĂźmmernisse der Schiedsrichter genauso wenig weg wie die heutigen Diskussionen um Retortenvereine, die es ja deshalb gibt, weil sich Millionen Menschen fĂźr FuĂball begeistern. Und wo so viele Menschen ganze Wochenenden opfern, um FuĂball zu erleben, hat sich logischerweise auch eine ganze FuĂballindustrie entwickelt, mit Vereinen, die Millionen Euro fĂźr die besten Spieler ausgeben.
Was dann die immer neuen Diskussionen um Investoren nach sich zieht. Aber die Zeit, als FuĂball tatsächlich eine reine Amateursache war und sich die Jungs der Oberschicht trafen, um gesittet das Leder Ăźber den Platz zu treiben, sind schon lange vorbei. Es ist wie in allen anderen Bereichen, in denen Menschen in Wettbewerb miteinander treten: Die Sache wird immer mehr professionalisiert und auf die Spitze getrieben.
Was jungen Talenten natĂźrlich die MĂśglichkeit gibt, von einem Profi-Leben als FuĂballer zu träumen.
Die Gäste auf den Tribßnen
Aber Besucherzahlen und Einschaltquoten erzählen eben auch davon, ob das Produkt tatsächlich seine Zuschauer findet. Manchmal begeisterte Zuschauer, die dann als Fans und Ultras auch selbst noch fßr Trubel im Stadion sorgen. Nur die Hooligans findet nicht nur Arnd Zeigler vÜllig ßberflßssig. Die kommen ja in der Regel auch nicht wegen des Spiels ins Stadion, sondern weil sie sich kloppen wollen. Das aber hat eigentlich nirgendwo etwas zu suchen, findet er.
Nur das eigentliche Stichwort hat er weggelassen. Man sucht es zwischen Stadion und Strafraum vergeblich: nämlich seine eigene Passion als Stadionsprecher. Denn ohne den geht es letztlich genauso wenig wie ohne Kapitän, Torwart und Stßrmer. Auch wenn er scheinbar nur in seiner Sprecherkabine sitzt und launige Sprßche von sich gibt.
DafĂźr sind die FuĂballreporter/-innen drin, deren Arbeit auch Fernsehkieker und RadiohĂśrer oft unterschätzen. FuĂball ist zwar irgendwie nicht wirklich wichtig fĂźr das Ăberleben der Menschheit. Aber es beschäftigen sich doch erstaunlich viele Menschen sehr ernsthaft damit. Viele finden darin etwas, was sie jenseits eines oft gar nicht im Team erlebten Alltags dringend brauchen.
Und wenn es nur das GefĂźhl ist, dabei zu sein, wenn sich ein halbes Stadion in Jubel singt.
âArnd Zeiglers wunderbares FuĂballbuchâ, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2024, 16 Euro.
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