Es war schon immer nicht leicht, den richtigen Partner fürs Leben zu finden. Oder die richtige Partnerin. Aber es ist auch nicht leichter geworden mit unserer modernen Gesellschaft, mit ihren drastisch gewachsenen Ansprüchen an Mr. Perfect und die Frau fürs Leben. Eigentlich könnten die vielen Dating-Portale im Internet die Lösung sein. Und es stimmt ja auch: So manche haben dort gefunden, was sie suchten. Nur ein paar Regeln sollte man beachten. Es ist wie im richtigen Leben.

Und man müsste seine Scheu vor dieser Art der Suche nach einer neuen Lebensgefährtin überwinden. Auch deshalb hat Anja Stiller dieses Buch geschrieben, das letztlich auch von einem Zustand unserer Gesellschaft erzählt, der durchaus bedenkenswert ist. Denn dass so viele Menschen immerfort auf der Suche nach anderen Menschen sind, mit denen sie gern ihr Leben verbringen möchten, erzählt nun einmal von kaputten Verhältnissen.

Von einer Gesellschaft, in der die Menschen immer wurzelloser geworden sind und – oft genug ungewollt – ihre Tage als Single verbringen. Oder selbst in jungen Jahren ziemlich verzweifelt auf der Suche nach einem Mitmenschen sind, mit dem sie eine Familie gründen möchten. Und keinen finden.

Jedenfalls nicht im direkten Umfeld – in der anonym gewordenen Nachbarschaft, im enger gewordenen Freundeskreis, in der ebenso anonymen Arbeitswelt. So gesehen ist dieses Buch etwas mehr als ein Ratgeber. Es ist eine Ermutigung jedenfalls für alle, die allein zuhause vor ihrem Computer oder Smartphone sitzen und zumindest schon mal mit dem Gedanken gespielt haben, es über eine der vielen Online-Börsen zu versuchen.

Die Hemmschwellen überwinden

Womit das Problem ja anfängt. Welche nehmen? Welche ist vertrauenswürdig? Und wo riskiert man, einfach abgezockt zu werden? Und wo überhaupt melden sich Menschen an, die ernsthaft nach Lebenspartnern suchen? Und wo geht es eigentlich nur um Flirts und One-Night-Stands?

Natürlich erzählt Anja Stiller nicht, wie es auf jeder der rund 2.500 verfügbaren Dating-Börsen zugeht. Aber sie gibt Tipps, woran man die Seriösen erkennt, welche unterschiedlichen Spielarten es gibt und wo man nach welcher Art Mitmensch auf die Suche gehen kann. Natürlich ohne Garantie. Es ist wie im richtigen Leben. Auch im Internet funktionieren noch unsere alten, überlebenswichtigen „Bauchgefühle“, merken wir, ob die kontaktierten Männlein oder Weiblein zu uns passen und es auch mit uns ernsthaft meinen.

Doch finden muss man sie erst einmal. Und auch dafür gelten Regeln aus dem richtigen Leben – die im Buch dann auch der Single-Coach Christian Thiel im Interview noch einmal bestätigt. Denn er hat sich darauf spezialisiert, Singles zu beraten, wenn diese immer wieder mit der Suche nach einem Partner scheitern. Auch online. Auch da kann es frustrierend werden. Denn natürlich geht es immer ans eigene Selbstwertgefühl. Abweisungen verletzen.

Und viele gehen ja auch deshalb nicht auf die Suche, weil sie schon zu viele Abweisungen erhalten haben. Mit falschen Partnern aneinander geraten sind. Oder die dicke Hornhaut nicht entwickelt haben, mit der man sich durchs Leben kämpfen und auch mal ein klares „Nein“ vertragen kann. Wobei zu den Unarten – nicht nur im Netz – auch ein unklares „Nein“ gehört, Hingehaltenwerden oder einfach geghostet, weil irgendetwas nicht stimmt.

Was nicht immer auf der Seite des Suchenden der Fall ist. Oft sind es auch die Fehler und Schwächen der kontaktierten Menschen. Manchmal sind es auch Fakeprofile und bezahlte „Moderatoren“, die freilich gar nicht erst im Sinn haben, einem eine gute Partnerschaft zu vermitteln, sondern nur das Geld der Suchenden.

Wer nicht sucht, findet nicht

Natürlich schreibt Anja Stiller darüber, damit man in seiner verzweifelten Suche nach dem richtigen Mitmenschen nicht blindlings in Fallen läuft, falsche Seiten ansteuert und sich zum Narren machen lässt. Um das zu erkennen, braucht man nur ein paar wichtige Regeln, die man beachten muss. Auch deshalb ist aus diesem Rastgeber kein Mini-Büchlein geworden, sondern eher ein Buch im Schulbuch-Format.

Aber wir leben schon lange in einer Gesellschaft, in der man so etwas braucht. Denn mit der Auflösung der einstigen großen Dorf- und Familienverbände sind schon seit Jahrzehnten immer mehr Menschen in die Einsamkeits-Falle geraten, haben ihren Alltag mit Arbeit vollgestopft und dabei ihren Bekanntenkreis jenseits der Arbeit schrumpfen lasen. Deswegen gab es Partnervermittlungen auch schon vor Erfindung des Internets.

Und die Zahlen belegen es ja: Auch die Online-Börsen können das Grundproblem nicht lösen, auch wenn sie zumindest eine nennenswerte Vermittlungsquote haben. Denn wer nicht sucht, der findet natürlich auch nicht. Und die großen, professionellen Börsen arbeiten ganz klassisch mit psychologisch fundierten Fragebögen, die den dahinter liegenden Algorithmen natürlich eine erste und wichtige Auswahl ermöglichen, welche angemeldeten Nutzer und Nutzerinnen eine möglichst hohe Übereinstimmung haben.

Was ein wichtiger Schritt ist. Das muss Anja Stiller gar nicht erst betonen. Denn dass so viele Menschen partnerlos daheim sitzen, hat auch damit zu tun, dass viele nicht einmal wissen, welche Persönlichkeit sie selber sind. Dazu braucht man Feedback. Dazu muss einem oft erst jemand Außenstehendes sagen, wie man wirkt und erscheint.

Was jede Menge mit dem Selbstbild und dem Selbstbewusstsein zu tun hat, mit dem wir durch die Welt laufen. Mit dem wird man spätestens konfrontiert, wenn man ein Foto von sich ins Suchportal einstellen muss und auch noch einen Text, in dem man sich selbst vorstellen kann.

Wer bin ich?

Bitte kein Romankitsch

Anja Stiller hat sich, wie man merkt, sehr intensiv mit all den Einstiegshürden beschäftigt. Und nimmt die Leserinnen und Leser richtig an der Hand, um sie über die vielen gefühlten Hürden und Barrieren zu führen. Und natürlich wird es elementar, wenn es darum geht, noch völlig unbekannten Menschen im Internet zu erzählen, wer man eigentlich ist, was man mag und erwartet. Und dabei nicht zu dummen Phrasen aus Kitschromanen zu greifen.

Denn die funktionieren online genauso wenig wie im richtigen Leben. Spätestens der erste Kontakt, die erste Antwort auf eine Kontaktanfrage, bringen die Stunde der Wahrheit. Ist man der, der sich da vorgestellt hat?

Denn, anders als es die Kitschromane erzählen, suchen Menschen für ihr Zusammenleben keine Prinzen und Schönheitsköniginnen, keine Supermänner und Poster-Stars. Auch wenn unsere Badeschaum-Kultur das ständig erzählt. Sie suchen richtige Menschen, bei denen sie sich wohlfühlen, mit denen sie sich über alles unterhalten können, bei denen eigentlich auch sofort der Funke überspringt.

Denn – zum Glück – haben wir unsere natürliche Ausstattung an Emotionen und Hormonen nicht verloren, als wir vor Generationen in die großen Städte zogen. Das ist alles noch da. Und unser Bauch (auch wenn es eigentlich nicht der Bauch ist) sagt uns, ob der Mensch da vor uns zu uns passt, uns aufregt, weich und zutraulich macht.

Und dann die Scham, wenn man vorher ein völlig falsches Bild von sich gezeichnet hat …

Es geht, wie man merkt, an ganz grundlegende Dinge, die in der Partnersuche in der chaotisch gewordenen Realität genauso gelten wie bei der Suche auf Online-Partnerbörsen. Es gibt sogar Angebote, bei denen man sich Rat holen kann, welche Dating-Plattform gut und die richtige für einen ist. Auch wenn Anja Stiller empfiehlt, lieber erst einmal die meist kostenlosen Einsteigerangebote mehrerer Dating-Plattformen auszuprobieren, um herauszufinden, mit welchen man besser zurechtkommt und sich besser fühlt.

Nur Echtes zählt

Und irgendwann muss man sich dann halt trauen und sich richtig anmelden und ein Profil von sich erstellen (wobei noch ein paar wichtige Regeln zum Schutz der eigenen Privatsphäre zu beachten sind). Aber diesen Mut braucht man. Wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen. Und natürlich darf man sich von seiner besten Seite zeigen – aber es darf kein Vorgaukeln falscher Tatsachen sein.

Auch wenn wir genau dazu in dieser Gesellschaft fortwährend ermuntert werden. Aber so funktioniert Kennenlernen nicht. Wie gesagt: Wir haben noch unsere komplette emotionale Ausstattung aus drei Millionen Jahren Leben in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler. Und da ging es immer ums Überleben, und damit um Vertrauen.

Wir spüren, wann wir bei der Richtigen sind. Oder dem Richtigen. Und Anja Stiller ermuntert auch immer wieder dazu, sich nicht schlechter zu machen oder das abzuwerten, was man ist, kann und mag. Denn der alte Spruch, dass sich zu jedem Topf ein Deckelchen findet, gilt nach wie vor. Irgendwo da draußen gibt es immer jemanden, der einen genau so mag, wie man ist. Mit kleinen Macken oder kleinen Rundungen. Ganz gewöhnlich, normal und durchschnittlich.

Ein bisschen verrückt (für manche Leute gibt es sogar sehr spezielle Partnerbörsen). Aber genau darum geht es: Einen Menschen zu finden, für den man sich nicht verstellen muss. Der am Ende sogar froh ist, endlich so eine lustige, brave, unverstellte Type gefunden zu haben, mit der dann aber die ganzen normalen (und auch schweren) Dinge im Leben zu meistern sind, bei denen man am besten zu zweit ist.

Ein Kopf-hoch-Buch

Ein richtig hilfreiches Buch, das die Mutigen, die sich damit in den Kosmos Online-Partnersuche begeben, nicht allein lässt. Auch nicht an den Stellen, an denen es schiefgehen kann. Denn das Wichtigste, das man dabei lernen kann, ist: Scheitern hat seinen Grund oft gar nicht im eigenen (tollpatschigen) Agieren. Denn oft genug liegt es auch an den anderen. Erst recht, wenn die zu einer der üblen Verhaltensweisen greifen, die im hinteren Teil des Buches geschildert werden (und die man selbst möglich auch nicht anwenden sollte).

Die natürlich auch deshalb geschildert werden, damit man damit umgehen kann, ohne gleich wieder die Flinte ins Korn zu schmeißen und sich selbst für einen Versager zu halten.

Denn das Wichtigste ist auch hier die ehrliche Kommunikation. Womit das Ganze auch eine kleine Lerneinheit fürs eigene Selbstbewusstsein wird. Denn das ist ja nun einmal bei einer Menge Leute (denen man das oft nicht ansieht) heftig angeknackst. Eben weil unsere schöne bunte Werbewelt voller falscher Bilder und Ideale ist, denen man selbst nach hundert Besuchen im Kosmetiksalon oder Fitnessstudio nicht genügen kann. Falsche Idole, die aber eben auch vielen Leuten bei der Partnersuche im Kopf stecken.

Sodass sie natürlich die falschen Vorstellungen haben, wen sie eigentlich suchen. Und mit wem es eigentlich wirklich spannend, herzlich und schön werden kann im Leben.

Ein Ratgeber, der genau in diese Zeit passt. Und den man, wenn man wirklich Sehnsucht nach so einem Menschen an seiner Seite hat, einfach neben seinen Laptop legen kann. Bis zu der Stunde, in der man sich tapfer einen Ruck gibt und anfängt zu stöbern. Und in einer stillen Stunde auch mal aufschreibt, was man sich wünscht und wie man sich sieht. Ein Kopf-hoch-Buch. Das man auch dann wieder zu Gemüte führen kann, wenn man beim ersten Durchlauf keinen Erfolg hatte.

Oder beim ersten Date im Restaurant Muffensausen bekommen hat. Denn spätestens da merkt man, dass es hier um das Eigentliche im Leben geht. Am Ende um einen Menschen, der einen genau so mag, wie man ist. Aber dafür muss man sich hervortrauen aus seiner Ecke. Wer sich nicht traut, wird nicht entdeckt.

Anja Stiller „Online-Dating“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 16,95 Euro.

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