Wem gehรถrt das Internet? Wer bestimmt dort die Regeln? Wer verdient sich da dumm und dรคmlich? Vor 30 Jahren hรคtte es darauf noch keine Antworten gegeben. Da war das Internet noch jung und schien endlich eine neue Welt zu sein, in der sich alle Menschen weltweit barrierefrei miteinander vernetzen kรถnnten. Doch heute scheinen es ganze fรผnf US-amerikanische Konzerne zu sein, welche die Gesetze im Netz diktieren. Mรคchtiger als die meisten Staaten. Aber muss das so bleiben, fragt Stefan Mey in diesem Buch.

Wobei: Er fragt es nicht nur. Er erzรคhlt, dass es anders geht. Dass die Idee eines freien Internets noch lรคngst nicht tot ist. Dass sich gerade computeraffine Menschen nicht gefallen lassen, wie einige gierige Konzerne in den USA alles an sich raffen und den Menschen die Illusion einimpfen, ohne sie ginge es nicht. Und auch nicht ohne ihre undurchschaubaren Algorithmen, ihre Datensammelwut und ihre Unfรคhigkeit, Hass und Hetze in den Griff zu bekommen.

Und ohne ihre enge Verquickung mit Geheimdiensten, die sich รผber die riesigen Datenmengen รผber die persรถnlichsten Interessen der Nutzer geradezu freuen. Und gar keine Grenzen kennen, auch รผber Milliarden Menschen Daten zu sammeln, die nicht einmal ahnen, dass ihr Allerpersรถnlichstes auf den Servern z.B. der NSA landet, รผber die ja 2013 der Whistleblower Edward Snowden berichtete.

Es gab dann ja bekanntlich den NSA-Skandal. Aber geรคndert hat sich nichts. Die riesigen IT-Konzerne greifen noch immer alle Daten ab, die sie mit ihren Plattformen, Apps und Portalen abgreifen kรถnnen. Und die Geheimdienste gerade aus den USA greifen ebenso unersรคttlich zu. Und die meisten Nutzer wissen nicht einmal, welche persรถnlichen Daten da bei jedem ihrer Besuche im Internet direkt an die Server in den USA verschickt werden.

Die Bundeskanzlerin tat damals kurz mal verschnupft. Und ging wieder zur Tagesordnung รผber.

Eine lebendige Gegenwelt

Was der Journalist Stefan Mey freilich in seinem Buch zeigt, ist die Gegenwelt. Die Welt all jener Projekte, Communities und Rebellen, die sich diesen Zugriff der scheinbar allmรคchtigen Konzerne auf das Internet nicht gefallen lassen. Und die vor allem den Gedanken des freien Internets nicht aufgeben, das allen gehรถrt. Und in dem die Daten der Nutzer ganz bestimmt nicht auf die Server von Facebook, Google & Co. gehรถren, verknรผpft zu einer heiรŸen Ware, mit der Werbung personalisiert auf die Rechner der Nutzer gespรผlt werden kann.

Ein Schein-Argument, mit dem die IT-Giganten ihre Unersetzlichkeit behaupten.

Doch sie sind allesamt ersetzbar. Denn die Angebote, die sie scheinbar so menschenfreundlich und unentgeltlich anbieten, sind allesamt auch anders darstellbar. Und lรคngst sind ganz Entwicklergemeinschaften dabei, echte Alternativen fรผr die Plattformen der Tech-Giganten zu erschaffen. Und etliche dieser Projekte sind lรคngst nutzbar und werden auch genutzt, wen auch noch von deutlich weniger Menschen.

Aber hier sind all jene unterwegs, denen bewusst ist, was fรผr ein Unheil die groรŸen Datenkraken anrichten, von den Geheimdiensten der autoritรคr regierten Lรคnder ganz zu schweigen, die das Internet lรคngst zum รœberwachungsinstrument ihrer eigenen Bรผrger gemacht haben.

Oft stecken hinter den alternativen Projekten auch Leute, die einst die heute dominierenden Plattformen mitgrรผndeten und irgendwann einfach ausstiegen, weil ihre Projekte vรถllig in die falsche Richtung liefen.

Nicht selten sind es auch junge, technikaffine Leute, die die Nase voll hatten von den zunehmend รผbergriffigen Plattformen und ihren nicht eingehaltenen Versprechen, und dann selbst daran gingen, eine Alternative zu programmieren, die dieselben Wรผnsche erfรผllten wie die smarten Plattformen selbst โ€“ aber ohne diese wilde Sammelwut von Daten, mit mehr Persรถnlichkeitsschutz.

Sie sind lรคngst da

Sie sind lรคngst da. Die bekanntesten stellt Mey in diesem Buch vor โ€“ vom erfolgreichsten aller Mitmachprojekte, Wikipedia, รผber den unabhรคngigen Digitalatlas OpenStreetMap und die echte Twitteralternative Mastodon bis hin zu Firefox, Signal und LibreOffice. Aber auch die Funktionsweise des Tor-Netzwerkes erklรคrt er, das Menschen tatsรคchlich das anonyme Surfen ermรถglicht, die Entwicklung von Freifunk und die spannende Geschichte von Linux und Android.

Manchmal darf man staunen, dass auch die Tech-Giganten da und dort mitspielen und freie Software unterstรผtzen oder gar selbst in ihre Angebote einbauen. Mit Hintergedanken, wie Stefan Mey durchaus feststellen kann.

Denn den IT-Giganten geht es zuallererst nur ums Profitmachen. Wenn man dazu auch Technologie nutzen kann, die durch eine GPL-Lizenz geschรผtzt ist, tun sie auch das. Und profitieren so nebenbei auch davon, dass der Programmiercode offen liegt und von tausenden Entwicklern โ€“ oft ehrenamtlich โ€“ weiterentwickelt wird. Denn wirkliche Freiheit im Netz beginnt nun einmal damit, dass der Code einsehbar ist und Programmierer weltweit ihn auslesen kรถnnen und sehen kรถnnen, ob Hintertรผrchen eingebaut sind, seltsame Seitenklappen, รผber die Daten an irgendwelche dritten Instanzen abflieรŸen.

Vertrauen beginnt eben mit Transparenz. Genauso wie Sicherheit damit beginnt, dass der Nutzer weiรŸ, welche Daten von seinem Gerรคt tatsรคchlich ausgelesen werden. Daten, mit denen die groรŸen IT-Konzerne ihre Geschรคfte machen und Milliardensummen verdienen, weil sie sie jederzeit an die Werbewirtschaft weiterverkaufen.

Was sie zu scheinbar unbesiegbaren Monstern macht, so mรคchtig und reich, dass Freiwilligen-Projekte scheinbar nicht dagegen ankommen kรถnnen. Denn im Internet gilt bis dato: โ€žThe winner takes it all.โ€œ Auch den ganzen Gewinn.

Demokratiefeindliche Konzernpolitik

Was รผbrigens gerade dazu fรผhrt, dass die unabhรคngigen Medien, die auf diese Werbeeinnahmen dringend angewiesen sind, gerade ihr Armageddon erleben und auch in Deutschland reihenweise ihre Grabkreuze bestellen. Denn ohne Geld kann man auch keinen Journalismus machen. Die Politik der Tech-Giganten zerstรถrt den Journalismus und damit auch die Demokratie.

Das nur so am Rande. Auch Mey erwรคhnt es, weil die groรŸen Plattformen zwar dankend die von Journalisten erarbeiteten Inhalte nehmen, um sich selbst derart aufzuwerten (ein gnadenloser Akt der Erpressung) โ€“ aber sie bezahlen sie nicht. Legen dafรผr nette kleine Peanuts-Projekte auf, um den Medien das Gefรผhl zu geben, dass sie vielleicht doch von den Plattformen ein bisschen profitieren. Aber die Dimension dieser Projekte ist lรคcherlich. Und sie schaffen neue Abhรคngigkeiten.

Der Journalismus steht schon lange vor denselben Problemen wie all die engagierten Programmierer und Netzwerker, die sich im von fรผnf Konzernen dominierten Internet nicht mehr wohlfรผhlen und dort auch keine freie und unabhรคngige Nutzung mehr sehen. Natรผrlich beschรคftigt sich Mey auch mit der Frage, woher diese Initiativen dann das Geld bekommen, damit ihre Projekte รผberhaupt ins Laufen kommen.

Spenden sind natรผrlich eine Mรถglichkeit, jede Menge unentgeltlicher Arbeit natรผrlich auch. Aber ein wenig Hoffnung macht inzwischen, dass auch die EU und die Bundesregierung Fรถrdergelder fรผr die Entwicklung solcher Projekte bereitstellen.

Konzernfreiheit heiรŸt nicht persรถnliche Freiheit

Eine Entwicklung, wie Mey feststellt, รผberrascht dabei sogar: โ€žWรคhrend die Zentren der kommerziellen IT-Welt fast ausschlieรŸlich in den USA liegen, spielt fรผr die digitale Gegenwelt Europa und besonders der deutschsprachige Raum eine groรŸe Rolle.โ€œ

Was ganz sicher auch mit den europรคischen Ideen von Freiheit, Transparenz und Teilhabe zu tun hat, die sich nun einmal historisch von den Freiheiten unterscheiden, die US-amerikanische Untenehmer so gern hochhalten. Bis hin zu Vorstellungen von zu schรผtzenden Persรถnlichkeitsrechten. Individualismus einmal in seiner positiven Form, in der es eben nicht darum geht, sich รผberall in seiner auรŸergewรถhnlichen Schรถnheit zu prรคsentieren, sondern jeden Nutzer, jede Nutzerin zu schรผtzen und Kommunikation auf Augenhรถhe zu ermรถglichen.

Und die positive Botschaft von Meys Buch ist nun einmal: Es gibt die Projekte der Gegenwelt schon. Manche werden schon emsig genutzt. Und ein Internet, das eben nicht von einigen wenigen undurchschaubaren Konzernen beherrscht wird, wird wieder denkbar, nachdem Snowdens Enthรผllungen 2013 den Effekt hatten, dass manche Menschen das Internet schon fรผr tot hielten.

Denn wenn ein paar Konzerne und Geheimdienste aus dem Netz einen riesigen รœberwachungsapparat machen (sehr zur Freude auch etlicher Diktatoren und Autokraten), braucht es eigentlich kein Mensch. Dann ist jede Verlockung nichts anderes als die Einladung, sich digital vรถllig zu entblรถรŸen und damit selbst zu gefรคhrden.

Der รผberwachte Nutzer

Mey erklรคrt auch schรถn, wie jeder mitmachen und die vorgestellten Projekte nutzen und unterstรผtzen kann. Denn natรผrlich hilft auch hier die wachsende Zahl. Aber die wichtigste Botschaft gilt im Grunde all den Lesern und Leserinnen, die sich bis jetzt รผberhaupt noch keine Gedanken darรผber gemacht haben, was mit ihren Daten eigentlich geschieht, wenn sie im Netz surfen, chatten, skypen und twittern. Wer ihnen da durch die Augen ihrer eigenen Gerรคte praktisch jederzeit zuschaut und registriert, was sie da treiben.

Manche dรผrften beim Lesen erschrecken, wenn sie sich mit der Materie noch nie beschรคftigt haben. Manche dรผrften Lust darauf bekommen, die vorgestellten Projekte einfach mal auszuprobieren und sich da und dort auch einmal mit den Allgemeinen Geschรคftsbedingungen zu beschรคftigen, die fast niemand liest. Wo aber meist steht, welche unverschรคmten Freiheiten sich die Plattform-Anbieter ganz selbstverstรคndlich nehmen.

Leute, die man sonst ganz bestimmt nicht in seine Wohnung lassen wรผrde und schon gar nicht in Schlaf- und Kinderzimmer.

Das Buch ist eine Einladung, die digitale Gegenwelt im Internet ganz bewusst zu stรคrken und mitzumachen bei der Revitalisierung eines weltweiten Netzes, das nicht von ein paar scheinheiligen Konzernen beherrscht wird.

Im Glossar stellt Mey dann noch ein paar andere Projekte des freien Internets vor. Mittlerweile wรผrden die vielen Ansรคtze, die Macht der IT-Giganten auszuhebeln, so ein Buch natรผrlich sprengen, auch wenn es dann schon sehr speziell und anspruchsvoll wird.

Denn wie weit ist es eigentlich gekommen, wenn man sich zum Profi in Sachen Verschlรผsselung entwickeln muss, wenn man sich im Internet รผberhaupt noch unbeobachtet und sicher bewegen will?

Ein Buch auch zur Warnung: Diese falsche Entwicklung des Internets mรผssen wir beenden. Bevor es zu spรคt ist.

Stefan Mey โ€žDer Kampf um das Internetโ€œ C. H. Beck, Mรผnchen 2023, 18 Euro.

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