Das ist schon ein Lebenswerk, was Gudrun Dietze da zusammengetragen hat, angeregt durch ihre Mutter, die ihr die Freude am Kochen und ihr handgeschriebenes Kochbuch vererbte. Daraus erwuchs eine jahrzehntelange Beschäftigung mit der Thüringer Küche – und eine kleine Bibliothek mit 14 Thüringer Koch- und Backbüchern. Material genug für zwei finale „Best-of …“, die der Buchverlag für die Frau in diesem Jahr herausgebracht hat.

Die Lieblings-Backrezepte von Gudrun Dietze erschienen in Frühjahr in einem eigenen Band, sodass alle heimischen Bäckerinnen und Bäcker Berge von leckeren Thüringer Kuchen auftafeln können.

Bei den Kochrezepten geht es dann natürlich noch viel stärker um die Thüringer Alltagsküche, wie sie über Jahrhunderte entstanden ist – sehr herzhaft, sehr nahrhaft, Gerichte eben für Leute, die meist harte körperliche Arbeit verrichten mussten. Und die sich auf Frauen, Mütter und Großmütter verlassen konnten, die selbst aus Resten noch richtig stärkende Gerichte zubereiten konnten.

Mit Falschen Hasen, Armen Rittern und Rösti, Bauernfrühstück und Kartoffelsuppe mit Speck.

Ist doch nicht alles original Thüringen, darf sich da durchaus das eine oder andere Thüringer Leckermaul zu Wort melden. Aber welche Küche ist wirklich original? Küchentraditionen entstehen durch neue Einflüsse, auch durch weltpolitische Veränderungen. Man denke nur an die Spuren, die die DDR mit ihren Kreationen in alle ostdeutschen Küchen gebracht hat – im Buch namhaft vertreten mit der Soljanka.

Was die Nachbar/-innen wirklich kochen

Denn natürlich ist Grudrun Dietze nicht in alte Archive gekrochen, um eventuell herauszufinden, was am Weimarer Hof oder an anderen noblen Tafeln aufgetischt wurde. Einiges wird bestimmt aus der Küche des Schwanenwirts in Schleiz stammen, wo ihre Mutter einst kochte. Und in den vom Volk geliebten Gasthöfen dominierte natürlich das herzhafte Essen, das der ganz normale Werktätige liebte.

Sodass sich das bestens verbindet mit all den Rezepten, die Gudrun Dietze bei Verwandten und Bekannten sammelte, indem sie einfach hinging und sich die Familienrezepte geben ließ. Die sie dann nachkochte, da und dort auch anpasste und verfeinerte, sodass sich am Ende immer ein stimmiges und appetitmachendes Bild ergibt.

Und da sie all die Rezepte oft mehrfach nachgekocht hat, gibt sie in gewisser Weise auch eine Garantie dafür, dass es so gelingt, die Gäste an der Fest- und Alltagstafel zu erfreuen.

Und oft liebte es der Thüringer herzhaft und fürstlich. Das stimmt auch wieder. Denn wenn es Fleisch gab, war das ein Festessen. Davon erzählen in dieser Auswahl gleich zwei sehr umfangreiche Kapitel: „Schwein, Rind und Schöps“ und „Geflügel und Wild“. Wobei das durchaus schon ziemlich bald sehr historische Kapitel werden könnten, denn auch die Thüringer müssen meist nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts schuften für den Lebensunterhalt.

Die Arbeit ist allerorten leichter geworden. Man braucht also keine Kalorienbomben mehr. Und auch der Gesundheit wegen achten immer mehr Einwohner des bergigen Ländchens darauf, auf die gewohnten großen Fleischmengen zu verzichten.

Weshalb auch gleich das Vorwort darauf hinweist, dass sich auch Gudrun Dietze dieser Veränderungen nur zu bewusst ist: „Und so achtet Gudrun Dietze in ihren Rezepten auf Nachhaltigkeit, saisonale und regionale Zutaten für eine gesunde Ernährung.“

Auch das können emsige Köchinnen und Köche wieder lernen: die Mahlzeiten im Kreislauf der Natur zu kochen und wieder darauf zu achten, wann die Zutaten tatsächlich frisch aus heimischem Anbau auf den Markt kommen.

Das Land der Klöße

Es könnte gut sein, dass dabei echte Klassiker aus Thüringen nach und nach ihren Stellenwert verlieren – Hammelbraten, Sauerbraten, Mutzbraten und Bratwürste etwa, wie sie alle mit Rezept in diesem Buch zu finden sind.

Aber man muss eben nicht nur saftiges Fleisch zu Thüringer Klößen und Speckbohnen packen. Wobei ja schon „Klöße aller Art“ eine Wissenschaft für sich sind. Es gibt kein anderes Bundesland mit so einer reichen Kloßtradition. Aber schon im Kapitel „Gemüse- und Eierspeisen“ merkt man, dass es auch mit den Gemüsen der Saison aufregend und lecker werden kann – und bei Brokkoli-Auflauf, Kartoffel-Rosenkohl-Auflauf oder Blumenkohlauflauf bekommt man schon Appetit, wenn man nur die Fotos betrachtet.

Und man ist auch gleichzeitig erleichtert: Es geht so vieles ganz ohne Fleisch. Und es wird ganz bestimmt nicht eintönig, schon gar nicht bei „Suppen und Eintöpfen“, wo man von Gemüsesuppe mit Griesbällchen bis zum Linseneintopf alles findet, was den Bauch wärmt und den Hunger vertreibt, während jeder gefüllte Teller davon erzählt, wie bunt und reichhaltig diese Küche ist.

Und das hört nicht einmal auf, wenn der Gast „nur was Kleines“ wünscht, wenn er sich an den Küchentisch setzt, also das, was die Modernen heute „Snacks“ nennen. Nur wird man da weder Pizza noch Burger finden, sondern Affenfett und Kutscherbrot, Karlsbader Schnitten und Pfannkuchen – in diesem Fall mit Champignonfüllung. Thüringen ist ja auch ein Waldland, wo leckere Waldpilze wachsen.

Noch was Süßes?

Und das alles immer noch ohne Zuckerschock. Auch wenn man weiß, dass in Kochbüchern aus dem Verlag für die Frau immer auch ein Teil mit Süßspeisen folgt. Und er folgt auch. Niemand soll ja aus der Küche gehen mit dem Gefühl, dass noch irgendwas gefehlt hat. Und hier findet man nun die Kartoffelpuffer und Eierkuchen, die Quarkkäulchen und Obstklößchen, die Kirschpfanne nach alter Bauernart und den Scheiterhaufen.

Der hat mit einem Berg aus Holzscheiten nichts zu tun. Hier werden Apfelscheiben und Semmelköpfe gestapelt, damit hinterher was knusprig Gebräuntes entsteht.

Man kann sich also fröhlich hineinkochen in die Thüringer Küche. Und lernt so ein Völkchen von innen kennen, das sich nach außen so gern bärbeißig und hinterwäldlerisch gibt. Als gäb’s in der eigenen Küche nichts Ordentliches mehr zu essen. Entweder haben die meisten Thüringer verlernt, wie es geht. Oder sie verpflegen sich tatsächlich nur noch mit Fastfood und wundern sich, dass dann ihre Köpfe qualmen.

Vielleicht sollten sich also auch Thüringerinnen und Thüringer das Buch besorgen und wieder lernen, dass auch der Frieden durch den Magen geht. Und dass man sich gleich viel besser fühlt in der Welt, wenn man sich mit einem Rezept aus Gudrun Dietzes Kochbuch etwas richtig Gutes tut. Wahlweise heute mal Hefeklöße mit Speck oder eine heiße Holundersuppe, weil’s draußen so grieselig und grau ist.

Und wer eben keine vom Kochen begeisterte Mutter bei der Hand hat, der kann’s ja selber lernen. Die Rezepte stehen alle dabei und werden ordentlich erklärt. Und wer sich schon mal ausprobiert hat, hat jedenfalls hinterher nicht mehr das Gefühl, dass man das eigene Glück nicht in der Hand hat. Hat man wohl. Man muss sich nur die richtigen Zutaten besorgen.

Gudrun Dietze „So kocht Thüringen“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 22 Euro.

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