Ja, so kann man es auch ausdrücken: Ein „stolzer Menschenschlag“ lebt da im Erzgebirge, quasi die Gallier Sachsens, von einem raueren Mittelgebirgsklima geprägt. Da gibt es noch schneereiche Winter. Oder gab es mal. Die Menschen mussten, wenn sie sich ernähren wollten, „steinigen Böden trotzen“. Das Ergebnis ist eine Küche für hungrige Menschen. Böhmisch bereichert. Denn hier war immer auch Grenzland.
Weshalb das hier auch immer Schmugglerland und Räuberland war. Man darf sich nur an den Stülpner Karl erinnern. Der raubte hier die reichen Säcke aus und gab die Beute den Armen. So ungefähr.
Aber darum geht’s in Jana Männigs kleinem Büchlein zur ganz eigenen erzgebirgischen Küche nicht. Ihr geht es eher um Verständigung. Denn die Leute da, diese stolzen, sprechen auch einen recht gewöhnungsbedürftigen Dialekt, klassisch niedergeschrieben von Volksdichter Anton Günther in seinem „O Arzgebirg, wie bist du schie“. Im Büchlein auch brav übersetzt, was dann auch dem Hochdeutsch Lesenden zeigt: Es ist ein braves Lied. Hier wollte einer einfach seine Freude über seine Heimat niederschreiben. Ohne lyrische Ambitionen.
Und wie ist das mit der Küche?
Vier-Jahreszeiten-Küche
Die wird entlang des Arzgebirg-Liedes aufgefädelt – in vier Jahreszeiten. Weil die klassische Küche hier natürlich notgedrungen den Jahreszeiten folgen musste. Gebraten und gekocht wurde, was draußen wuchs und gackerte und hoppelte. Man nahm, was man hatte. Das zeichnet gute regionale Küchen aus. Was sich ja so langsam herumspricht. Denn es ist auch gesünder und umweltverträglicher, wenn das Essen nicht erst tausend Kilometer über den Ozean herangeschippert wird.
Und ein Glücksfall für das karge Erzgebirge war die Ankunft der Kartoffel. Sie kam, um zu bleiben, denn sie füllte da den Magen, wo es an anderen Magenfüllern fehlte. Deswegen gibt es hier so viele leckere Kartoffelgerichte, von der Böhmischen Kartoffelsuppe bis zum Raachermaad, die zwar ein rauchendes Mädchen ist. Aber nur, weil sie goldbraun gebacken wird, bis sie qualmt.
Also nicht zu verwechseln mit der nervösen Dame draußen vor der Tür, die ohne ihr Quäntchen Nikotin nicht auskommen kann. Und eigentlich nicht hergehört. Denn rauchen sollten im Erzgebirge eigentlich nur die Räuchermännlein. Die sind abgebildet im Buch, um die Stimmung zu heben. Denn wenn es herbstet, beginnt da droben in den Bergen die Vorbereitung auf die Weihnachtszeit – mit Weihnachtsstolle und -plätzchen.
Die findet man deshalb im Herbstkapitel – zusammen mit der Rauchermaad und dem Vugelbeerbaam, den erzgebirgische Volkslieder in all seiner beerigen Schönheit besingen. Warum, das wird genauso erklärt wie die Sache mit dem böhmischen Einfluss und dem Neunerlei, das zum Weihnachtsfest auf dem Tisch kommt.
Suppenland und Eierschecke
Aber wer dachte, der Winter beginnt dann mit Festtagsbraten, irrt. Der Winter beginnt mit Suppe. Denn das Erzgebirge ist ein klassisches Suppenland, auch wenn sich das Örtchen Neudorf den Titel Suppenland gesichert hat. Mehr aus Not, weil auch Bedürftige, die hier im 16. Jahrhundert an die Türen klopften, nur dünne Suppe bekamen. Die Erzgebirgler waren arm, wenn sie nicht gerade in den reichen Bergbaustädten lebten – die hier aber nicht extra erwähnt werden. Mit Jana Männig ist man eher im waldigen, einsiedlerischen Erzgebirge unterwegs, wo es eben vor Ankunft der Kartoffel oft genug nur dünne Suppe gab. Für alle. Das musste reichen. Es sei denn, Karl Stülpner kam vorbei und brachte ein gewildertes Wildpret vorbei. Man ahnt, warum der Bursche bis heute so berühmt ist.
Wobei das mit den reichen Bergstädten nicht ganz stimmt. Denn die haben natürlich mit ihrem Reichtum auch geprahlt. So wie Freiberg mit seiner Eierschecke, das sich bis heute mit der Königsstadt Dresden einen Streit liefert darum, wer denn nun die echte Eierschecke hat. Die Freiberger mit ihrer Ausrede, dass ihre Eierschecke nicht gar so dick aufträgt: Man habe den benötigen Quark seinerzeit zum Bau der Stadtmauer gebraucht. Da musste man die Eierschecke also ohne Quark backen. Andererseits dürfen auch nur ausgewählte Bäcker die echte Freiberger Eierschecke backen. Weshalb es im Buch eine unechte gibt, quasi als persönliche Variation der Autorin – mit einer Krone aus Mandelblättchen obendrauf.
Aber am Ende gibt es natürlich all die wärmenden Gerichte, mit denen man auch im Erzgebirge über den Winter kommt: Linsensuppe, Kartoffelklöße und Weihnachtsgans.
Am Ende weiß man zumindest, was die Erzgebirgler in ihren Küchen treiben, wenn draußen alle Landstraßen vom Schnee versperrt sind und auch die Schmuggler lieber in den Wäldern bleiben. Und wenn’s besonders knackekalt ist, gibt es Hagebutte. Schön heiß. Mit Mandeln und Rosinen drin. Die Geheimtipps muss man kennen. Dann kommt man auch über den Winter.
Jana Männig Erzgebirge kulinarisch Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 6 Euro.
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