Torgisch Bier, das war mal ein beliebtes Importgut in Städten wie Halle und Leipzig. Nur kam es nicht aus großen Brauereien, sondern aus den Sudhallen Torgauer Bürger, welche die entsprechenden Braurechte besaßen. Diese Braurechte lagen als Brauerbe vor allem auf den Häusern entlang der Hauptstraßen. Der Besitz solcher Brauerbe bedeutete in der Regel schon einen gewissen Wohlstand. Oder man musste schon genug Geld haben, um sich ein großes Brauerbe kaufen zu können.
Und wer Torgau besucht, kann sogar eines dieser Häuser besichtigen, in dem sich zumindest die baulichen Strukturen so eines Brauerbes erhalten haben. Es befindet sich in der Fischerstraße 11 und beherbergt heute das Torgauer Braumuseum. Und das ist auch nur möglich, weil sich – genauso wie beim liebevoll restaurierten Bürgermeister-Ringenhain-Haus – der neue Hausbesitzer um die Rettung und Wiederherstellung der alten Bausubstanz und der Hausgeschichte bemüht hat.
Wobei die Torgauer einen Vorteil haben: Ihre Stadt wurde – anders als Leipzig – nicht so gründlich immer wieder umgebaut und umgewälzt. Hier haben sich die Baustrukturen des 15. und 16. Jahrhunderts noch großenteils erhalten. Und so hat auch jedes einzelne Haus eine fast lückenlose Geschichte der Besitzer und Bewohner, die Jürgen Herzog natürlich auch für das Haus Fischergasse 11 (heute Fischerstraße) aufblättern kann. Und da kommt dann freilich auch Wolf Giersing ins Bild, der zwar nicht der erste Brauerbe in der Fischergasse 11 war, der aber mit dem Umbau um 1562 dafür sorgte, dass das Haus im Wesentlichen das Aussehen bekam, das bis heute relativ gut erhalten blieb.
Das Torgauer Brau-Regime
In den Diensten des kurfürstlichen Kanzlers Dr. Melchior von Osse und später als Schosser augenscheinlich zu einem gewissen Reichtum gekommen, kaufte er um 1560 das Anwesen samt der darauf liegenden Gebräudezahl. Eine Zahl, die tatsächlich festlegte, wie viele Gebräude der Hausherr im Lauf eines Jahres auflegen durfte. Das war in Torgau allerstrengstens geregelt. Und mit sieben Gebräuden gehörte das Haus zu den Anwesen, die durchaus zur wohlhabenderen Schicht in Torgau zählten. Und damit der Besitzer zu den Brauherren, die für gewöhnlich auch für den Rat infrage kamen.
Nur Wolf Giersing nicht, der eben nicht nur ein „Zugewanderter“ war, sondern augenscheinlich auch ein ziemlich schwieriger Charakter, der stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht war und sich immer wieder auch mit anderen Torgauer Bürgern anlegte. Was ihm dann den Weg in den Rat mehr oder wenige versperrte. Vielleicht hatte er sich die Art des Umgangs auch in seiner Zeit als Schosser angewöhnt, also als Steuereintreiber. Da geht man nicht zimperlich mit Leuten um.
Und von regem Eigeninteresse zeugen auch die vielen Auseinandersetzungen Giersings mit dem Torgauer Rat, sein Brauerbe ausüben zu dürfen. Doch das war eben nicht nur an den Kauf eines Anwesens mit Brauerbe gebunden, sondern auch daran, dass der Inhaber des Brauerbes in Torgau wohnte. Tricksen galt nicht. Ihr Monopol – und die Kontrolle über die in Torgau gebrauten Biermengen – wollten sich die Torgauer Ratsherren nicht nehmen lassen. Giersing musste sich fügen, erwarb später noch drei Gebräude dazu und profitierte ganz offensichtlich von der Konjunktur der Torgischen Biere, die im 16. Jahrhundert einen guten Ruf und besten Absatz hatten.
Die Rekonstruktion eines Renaissance-Anwesens
1608 ist Giersing, über 80 Jahre alt, gestorben. Ein für seine Zeit selten erreichtes Alter. Herzog verfolgt dann noch die Eigentumsverhältnisse des Anwesens bis in die Gegenwart, wobei das 19. Jahrhundert den eigentlichen Bruch darstellt. Denn jetzt kam die Zeit der immer größeren Brauereien, die dem Brauen in den Haushalten der Stadt nach und nach den Garaus machten. Kurzfristig agierte im Gebäude noch eine Brauerei – die Bürger-Bräu Torgau. Zur Straße hin existierte eine Gaststube.
Doch mit dem zunehmenden Mangel an Wohnraum wurden viele der Torgauer Anwesen nach und nach zu Mietshäusern umgebaut. Für die Fischerstraße 11 war das sogar ein gewisser Segen, weil selbst das Sudhaus in Wohnungen umgebaut wurde und deshalb erhalten blieb. Sodass der neue Besitzer 1999 daran gehen konnte, all die späteren Einbauten zu beseitigen und den Zustand des Hauses nach und nach dem wieder anzunähern, wie es zu Wolf Giersings Zeiten gewesen sein könnte.
Denn natürlich lässt sich nach so langer Zeit nicht alles originalgetreu wieder herrichten. Der Dachaufbau ist völlig verändert. Und auch das Rundbogentor aus der Renaissancezeit existiert nicht mehr.
Dafür tauchten im Erdgeschoss und im Obergeschoss die präsentablen Deckenbemalungen wieder auf, die davon erzählen, dass hier ein Hausherr viel Wert auf standesgemäßes Wohnen legte. Die Stube im Erdgeschoss wird heute als Museum genutzt, wo man sich ein wenig in die Torgauer Braugeschichte einfühlen kann. Und da das Sudhaus erhalten blieb, kann man auch in die Räume einkehren, in denen einst das Bier gebraut wurde.
Das Abenteuer Restaurierung
Und Jürgen Herzog nimmt die Leser auch mit in die Keller. Denn die Fischerstraße 11 verfügt über einen doppelstöckigen Keller – wobei der unterste schon der Keller des ersten Hauses war, das hier stand, und der obere Keller das einstige Erdgeschoss. Doch seitdem ist das Straßenniveau zwei Meter höher, ein Phänomen, das in vielen mittelalterlichen Städten zu beobachten ist und das – so Herzog – mit den diversen Stadtbränden zu tun hat.
So erzählen Häuser Geschichten, wenn sie etwas länger stehen bleiben dürfen und die ursprünglichen Bau- und Nutzungsschichten nur zugebaut oder übermalt wurden. Und wenn sich dann ein neuer Besitzer findet, dem es ein Anliegen ist, den ursprünglichen Zustand des Hausensembles möglichst wieder herzustellen, werden 500 Jahre sogar erlebbar. Und da dazu in der Regel auch der Denkmalschutz hinzugezogen wird, wird auch jeder Befund bei der Freilegung der alten Mauern festgehalten. Es entstehen also neue Berichte, aus denen Jürgen Herzog zitieren und ein wenig die Freude des Restaurators Peter Ehrhardt nachvollziehen kann, der vor 20 Jahren die Verantwortung für Wolf Giersings einstiges Anwesen trug.
Und so hat das Haus nicht nur eine Geschichte – sie findet sich jetzt auch als kleine Schrift des Torgauer Geschichtsvereins in dessen Publikationsreihe. Eine Reihe, die jetzt schon auf 26 Bücher angewachsen ist und sich Themen wie dem Torgauer Röhrwasser, der preußischen Garnisonsstadt Torgau, den Zünften oder Katharina Luther widmet, die ja bekanntlich in Torgau gestorben ist. So wird der Reichtum einer Stadt sichtbar, den man wiederum beim Torgaubesuch auch selbst erkunden kann.
Und wenn einem das nicht reicht, was man im Museum bestaunen kann, taucht man eben mit Jürgen Herzog ein in die 500-jährige Geschichte eines Hauses, das scheinbar ganz uneitel direkt am Weg vom Fischertor zum Markt liegt. Wenn die Tür offen steht, sollte man eintreten. Es gibt was zu entdecken.
Jürgen Herzog, „Wolf Giersings Brauerbe. Braumuseum in Torgau“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2023, 12 Euro.
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