Das Wort ist groß gewählt: Naturmäzene. Als ob ausgerechnet die Superreichen in unserem Land all ihr überflüssiges Geld in Naturschutzprojekte stecken würden. Das tun aber die allerwenigsten – und dann meistens so, dass es steuermindernd ist. Dass unser Klima aus den Angeln geht und die Natur vor die Hunde, das hat auch mit dieser geizigen Gier der Reichen zu tun. Grund genug, jene Leute vorzustellen, die sich wirklich um die Rettung der Natur bemühen.
Und das tut Rainer Nahrendorf in diesem Buch. Beispielhaft natürlich. Denn Naturschutz in all seinen Varianten ist eigentlich eine Graswurzelbewegung. Sie kommt nicht von oben, sondern von unten. Auch weil sich Politiker unheimlich schwertun, die Zeichen der Zeit zu begreifen und Politik zu machen, die unsere Lebensgrundlagen langfristig erhält.
Und wenn dann mal eine Partei mitregieren darf, die das auf dem Zettel hat, wählt eine konservative Rentiergesellschaft gleich noch die Bremser mit in die Regierung, die alles verhindern, was wirklich eine neue Weichenstellung wäre.
Und dabei sind die Bundesbürger eigentlich nicht blind. Sie wählen nur völlig irrational, obwohl sie vor ihren Augen sehen, wie Wiesen verdorren, Wälder vertrocknen, Teiche ihr Wasser verlieren und immer mehr Tiere verschwinden, die noch vor wenigen Jahrzehnten zum Alltag gehört haben.
Das Verstummen der Natur
Immer wieder gibt es Alarmzeichen, die keiner übersehen kann. Oder Studien wie die sogenannte Krefeld-Studie, die das massive Insektensterben in Deutschland belegte. Jedes Bundesland führt Rote Listen, auf denen die Zahl der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten immer größer wird.
Doch wenn es dann konkret darum geht, die bedrohten Lebewesen zu retten, funktioniert das meistens nur, wenn sich einzelne Menschen, Initiativen und Stiftungen einbringen und viel Geld, Zeit und Herzblut in die Rettung unserer bedrohten Mitlebewesen investieren.
Das beginnt mit dem inzwischen auch geförderten Projekt der Rettung der Waldrappe, die man im – geführten – Zug nach Süden auf dem Cover-Bild sieht. Das geht weiter mit dem oft mühseligen Kampf der Naturschützer auf der Insel Föhr, die vor allem um geschützte Räume für die Vögel kämpfen.
Da kommt die letzte Hamburger Wanderdüne ins Bild, deren Bewahrung mit ihrem besonderen Artenreichtum die Loki-Schmidt-Stiftung sich zur Aufgabe gemacht hat. Und gleich zweimal geht es in die Lausitz, wo zwei engagierte Stiftungen ehemaliges Bergbaugelände aufgekauft haben, um hier die ungestörte Rückkehr der Natur zu sichern.
Zwei sehr anschauliche Beispiele dafür, wie Staat und Kommunen selbst geradezu ins Nebelhafte verschwinden, wenn es um die Rettung geschützter Naturräume geht.
Im Leipziger Neuseenland sind all die in den letzten Jahren entstandenen Naturräume auf Retensionsflächen bedroht, weil selbst eine Leipziger Stadtverwaltung nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht.
Hamster, Spatzen, Schmetterlinge
Längst betrifft die Bedrohung einst überall vorkommende Tierarten, wie den Hamster, für den jetzt Zoos die Zuchtprogramme aufgesetzt haben, um diesem Tier die Rückkehr in die Landschaft zu ermöglichen, wenn Bauern wieder zu einer schonenden Bewirtschaftung der Felder übergehen.
Es betrifft die Spatzen, deren Population in allen deutschen Großstädten zunehmend bedroht ist, weil Hausbesitzer und Investoren all ihre Zufluchtsorte zerstören und abholzen lassen.
Und die zunehmende Abwesenheit lebendiger Natur sorgt zusätzlich dafür, dass sich Menschen das gefallen lassen und gar nicht mehr wahrnehmen, wie die lebendige Welt um uns herum verloren geht.
Auch wenn der Aufschrei um die Krefeld-Studie zumindest dazu geführt hat, dass Stadtverwaltungen inzwischen begriffen haben, was Blühwiesen sind und warum man artenreiche Wiesen nicht immerzu mähen darf, wenn man überhaupt noch Wildbienen und Schmetterlinge haben will. „Deutschland summt“ heißt so eine Initiative, die Nahrendorf vorstellt.
Er berichtet über die Auswilderung von Bartgeiern in den Alpen, über den Schutz von Orchideenwiesen durch Schafe und die Rettung und Wiederherstellung von Mooren durch die Succow-Stiftung. Da geht es nicht nur um die Bewahrung artenreicher Biotope, sondern auch um Klimaschutz und CO₂-Speicherung.
Was sowieso immer zusammengehört. Nur der Mensch hat alles „streng geteilt“, um einmal Schiller zu zitieren, der sich wahrscheinlich auch erschrocken hätte, wenn er durch unsere leeren und stummen Landschaften hätte laufen müssen.
Moderner Ablasshandel
Heute aber sollten Kinder früh schon lernen, was da alles um uns herum lebt und bedroht ist. Und wie man es bewahren kann. Da kann Nahrendorf am Beispiel Bonns die unersetzliche Rolle Botanischer Gärten beleuchten oder auch eine Initiative vorstellen, die mit Bier den bedrohten Wiedehopf und sein Refugium zu retten versucht.
Und mittendrin sogar ein Unternehmen – die Firma Werner & Mertz, die mit ihren Reinigungsprodukten zeigt, dass man auch die Produktionsstrecke eines erfolgreichen Unternehmens nachhaltig gestalten kann, ohne sich mit dem Kauf irgendwelcher Baumpfanzzertifikate freizukaufen.
Firmenchef Reinhard Schneider nennt es unverblümt einen „modernen Ablasshandel“. Und das ist es auch, wenn etwa alte, fossile Konzerne an ihrer umweltzerstörerischen Praxis nichts ändern, sich aber als „nachhaltig“ und „umweltfreundlich“ verkaufen, weil sie sich lauter grüne Zertifikate gekauft haben. Der Fachbegriff dafür ist „Greenwashing“.
Und manchmal wird man wohl zu Recht das Gefühl nicht los, dass sich auch viele Bürger derart herausreden, da und dort etwas Gutes tun und klimafreundlich einkaufen, aber an ihrem fossilen Lebensstil in Wirklichkeit nichts ändern.
Das aber funktioniert nicht. Die Fotos, die Nahrendorf ausgewählt hat, erzählen zwar von einer reichen, blühenden Natur. Und sie zeigen damit, was wir alles verlieren, wenn wir so weitermachen. Aber sie zeigen nicht die leere und leblose Wirklichkeit vieler unserer regelrecht ausgeräumten Landschaften, die längst dominieren.
Denn noch sind all die Initiativen, die Nahrendorf zeigt, viel zu klein, um das Land wirklich zu verändern und dem Übernutzen und Missbrauchen der belebten Welt in Deutschland ein Ende zu setzen. Noch gehen jeden Tag hunderte Hektar belebter Biotope verloren, weil hemmungslos drauflos gebaut wird und Äcker, Wälder und Wiesen aus Sicht der Investoren nichts anderes sind als potenzielle Geldanlagen und keine schützenswerten Räume.
Und so ist Nahrendorfs neues Buch – mitsamt lauter eingedruckter QR-Codes, die auf spannende Video-Clips zu jedem Thema verweisen – wieder ein Plädoyer für ein anderes, behütendes Denken. Für unsere Aufmerksamkeit für die bedrohte Vielfalt um uns herum, die nur noch in Nischen überlebt.
Und die jede Menge Helfer braucht, wenn sie überhaupt eine Chance haben soll zu überleben. Da und dort ist es auch das Staunen über die konkrete Schönheit, die Menschen zum Handeln bringt. Und auch dabei bleiben lässt, selbst wenn der zähe Kampf gegen sture Ämter und Behörden, rücksichtslose Planer und Investoren scheinbar nicht zu gewinnen ist.
Und dabei kann jeder in Nahrendorfs Sinn ein Naturmäzen sein. Oft ist schon das Mitmachen ein Anfang. Ein wichtiger, weil es auch der erste Schritt ist, uns wieder als Teil einer lebendigen Welt zu begreifen, deren Verschwinden am Ende auch heißt, dass wir mit ihr verschwinden. Anders kann man es nicht mehr formulieren.
Rainer Nahrendorf Naturmäzene Rainer Nahrendorf, Neuss 2023, 24,95 Euro.
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