Seit 30 Jahren gibt es den „Palmbaum“, das literarische Journal aus Thüringen. Im Museum Schloss Burgk in Schleiz gab es sogar eine Ausstellung. Während andere literarischen Journale sich darauf fokussieren, vor allem junge Stimmen vorzustellen, setzt sich die „Palmbaum“-Redaktion für jede Ausgabe ein Titelthema. Eins, das wie die Faust aufs blaue Auge passt, wie zum Beispiel: Reichtum.

Das kann man auch literarisch beackern. Und das tun ein Dutzend Autorinnen und Autoren in diesem Heft. Natürlich nicht erschöpfend. Dazu ist Literatur auch nicht da. Auch nicht in der kleinen, feuilletonistischen Form. Gern auch märchenhaft, obwohl Katrin Lemke vor allem der Darstellung des Reichtums im Märchen folgt. Oder dem, was Märchen uns als Reichtum zeigen. Ist Hans im Glück reich, wenn er seinen Goldklumpen immer wieder umtauscht, bis er am Ende nur noch eine Wetzstein hat? Gar ein erwachsener Mensch, der wieder zum Muttersöhnchen retardiert?

Märchen stellen eigentlich Fragen. Und die Frage, die nie so offen im Text steht, lautet letztlich: Was willst du wirklich im Leben? Das Schloss? Den Schatz? Das Leben auf der faulen Haut?

Alles berechtigte Fragen. Manchmal ist nicht einmal der Prinz oder die Prinzessin das Erstrebenswerte. Die Frage nach dem Reichtum ist – gerade im Märchen – aufs engste verquickt mit der Frage der Würde. Und damit mit der Frage, die Jens-Fietje Dwars diskutiert, entlang der jüngeren deutschen Geschichte: die Frage nach Haben und Sein. Denn wer besitzt eigentlich wen, wenn einen der Besitz besitzt und man vor lauter Dingen, die man „haben muss“, nicht mehr sieht, was einen eigentlich wirklich glücklich macht im Leben?

Der innere Reichtum

Eine Frage, die Gunnar Decker am Beispiel des Franz von Asisi diskutiert, der in einer Zeit, als die Kirche zunehmend als Institution der Macht wahrgenommen wurde, das Armutsideal Christi nicht nur predigte, sondern lebte. Nur um dann schon bei Lebzeiten zu erleben, wie die von ihm begründete Bewegung der Minderbrüder von der Kirche wieder okkupiert wurde. Ein mittelalterliches Beispiel auch dafür, dass Reichtum und Macht immer zusammengehören. Jedenfalls der materielle Reichtum an Gold, Besitz und Prunk.

Oder einfach all der Schnickschnack, mit dem sich die gehorsamen Konsumenten der entfesselten Marktwirtschaft eindecken, weil sie glauben, sie müssten das alles haben. Während gleichzeitig unser größter Reichtum – unserer einzigartiger lebendiger Planet – vor die Hunde geht. In einem Beitrag über Geldscheine macht Dwars dann auch noch deutlich, wie sehr unsere von falschem, in Geld bemessenem Reichtum beseelte Gesellschaft den falschen Schein tatsächlich mit Reichtum verwechselt und die Ausbeutungs- und Umverteilungsprozesse dahinter nicht mehr sieht.

Und das führt natürlich zu einer Gesellschaft, die über das Falsche redet, wenn sie von Reichtum spricht. Und all das, was wirklich unseren Reichtum ausmacht, entwertet, unter Druck setzt, zerstört.

Sprache als Reichtum

Auch die Sprache, wie dann Anke Engelmann und Günter Platzdasch in ihren Beiträgen deutlich machen. Platzdasch dann gleich noch mit zwei Beispielen von mit KI erstellten Texten, die deutlich machen, wie wenig es braucht, um auch die Wirklichkeit zu verfälschen und falsche Geschichten in die Welt zu setzen. Sodass es immer schwieriger wird, Lug und Betrug in Texten zu erkennen.

Im Grunde das gefährlichste Gebiet, auf das die Künstliche Intelligenz derzeit losgelassen wird, nachdem schon die „Social Media“ seit 20 Jahren mit ihrer Ignoranz gegenüber Wahrhaftigkeit, Überprüfbarkeit und menschlichem Anstand dafür gesorgt haben, dass die Aggression unsere Gesellschaft zerreißt und immer mehr Menschen mit einem Unwissen argumentieren, das keinerlei Wurzeln mehr in der Wirklichkeit hat.

Was zwar über den Text von Platzdasch hinausgeht. Aber das Anliegen ist elementar: Was passiert mit unserer Sprache, wenn sie in die Hände von Leuten gerät, die sie bewusst zum Betrug einsetzen? Oder zur Zerstörung unserer Kommunikationsbasis? Da bekommen auch die heutigen Sprach-Wächter ihr Fett weg bei Anke Engelmann. Und sie haben es verdient.

Wobei diese Identitätspolitik in grammatikalisch zerstörter Sprache auch von etwas erzählt, was eher Klaus Bellin andeutet, wenn er die tragische Geschichte von Goethes Sohn August erzählt, der sich ein Leben lang bemühte, seinem olympischen Vater zu signalisieren, dass er eigentlich auch als Sohn gesehen und angenommen werden wollte.

Nur: Der Vater entzog sich, behandelte ihn eher wie einen Haushaltsvorstand, der das Haus Goethe am Laufen halten sollte. Väterliche Gefühle waren wohl eher Mangelware.

Die literarische Lust am Aussteigen

Und natürlich geht es auch um Kommunikation, um das oft so einfache und so schwere Signalisieren, dass wir einander nah sind, uns wertschätzen und achten. Ein Vermögen, das heute in der entfesselten Welt der asozialen Medien immer mehr verloren geht. Obwohl alle wissen, dass sie eigentlich nur richtig glücklich sind, wenn sie Nähe, Verständnis und Achtung erfahren.

Und dann wird trotzdem drauflos gewütet, beleidigt, gedroht …

Selbst in der Corona-Zeit, als oft Kommunikation nur noch über digitale Geräte möglich war. Das war auch die Zeit, in der Berge an Aussteiger-Büchern entstanden. Ein paar nimmt sich Hansjörg Rothe vor und versucht zu entschlüsseln, warum die Heldinnen dieser Bücher nun den Weg ins Abseits gewählt haben. Passt das unter die Formel „Nicht mit mir“? Oder spielen da ganz andere Motive der Überforderung eine Rolle? Oder ist es nur eine schriftstellerische Attitüde, die in der Flucht den einzigen Ausweg sieht aus einer irre laufenden Gesellschaft, die alles zur Ware macht? Auch menschliche Beziehungen?

Die Meinung kann sich ja jeder selber bilden. Die kleinen Texte sind eher Anregungen, für sich die Sache mit dem Reichsein durchzudenken und vielleicht zu überlegen, was für einen selbst tatsächlich der Reichtum des Lebens ist. Was natürlich schwerfällt, wenn man schon mal mit mein Haus, mein Auto, mein Boot belastet ist. Vielleicht kommt da Nietzsche recht mit seiner Umwertung aller Werte, was zumindest Achim Wünsche vorschlägt.

Was bleibt?

Dem ganzen Paket zum Titelthema Reichtum folgt dann noch ein Packen Gedichte. Und danach gibt es noch eine Menge literarischer Reminiszenzen zu dem jüngst verstorbene Wulf Kirsten, zu Uwe Johnson (der freilich keine Briefe mehr annimmt), Günter Grass (der keinen Besuch mehr empfängt), Barbarossa (der im Kyffhäuser den langen Schlaf des Sagenhelden schläft), Ulrich von Hutten, zum 300. Todestag von Johann Christian Günther und zum Grafiker Dieter Goltzsche.

Der „Palmbaum“ ist natürlich auch ein Ort für Abschiede – von Wulf Kirsten, aber auch von Gerhard Wolf und – im Rezensionsteil – von Matthias Biskupek. Spätestens wenn Texte aus dem Nachlass veröffentlicht werden, ist tatsächlich Zeit, darüber nachzudenken: Was bleibt? War es das wert?

Denn die Liebe von Lesern zu ihren Autoren drückt sich ja auch dadurch aus, dass sie ihnen über den Tag und den Tod hinaus treu bleiben. Immer wieder ihre Bücher zur Hand nehmen und Trost suchen. Und manchmal einfach eine vertraute Stimme finden, die sie daran erinnert, dass es tatsächlich Seelenverwandtschaften gibt auf der Welt. Manchmal nur durch Papier verbunden. Und gut gesagte Sätze, die einem zeigen: Da fühlt es einer genau wie du. Du bist nicht allein.

„Palmbaum. Literarisches Journal für Thüringen“, Heft 1/2023, quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2023, 12 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar