Das ist mal ein Kinderbuch, das Kinder wohl nicht in einem Rutsch weglesen. Eher ein Buch, das im Buchregal gut ausdauern kann, bis die großen und verstörenden Fragen kommen. Denn was der Tod ist, das ist Kindern schon frühzeitig klar. Aber was da wirklich passiert, wenn das Leben zu Ende geht, das wissen auch die meisten Erwachsenen nicht, die genauso überrascht sind, wenn es dann doch passiert. Obwohl bekanntwerweise nichts sicherer ist als der Tod.
Nur erscheint der einem, wenn man noch jung und neugierig ist, so weit weg, dass man daran eher keinen Gedanken verschwendet. Das betrifft einen ja (noch) nicht. Und bis es so weit ist, vergeht eine Ewigkeit, ein ganzes Leben, das man erst mal erlebt haben will. So wie Uroma und Uropa, die lauter Zeugs von früher zu erzählen haben, aus längst vergangenen Zeiten, als sie selbst noch kleine Kinder waren und die Welt ganz anders war. Wie viele Geschichten in so ein Leben hineinpassen, das merkt man erst dann, wenn man gegenüber den quirligen Enkeln ins Erzählen gerät. Und sie einem kein Wort glauben.
Aber dass man selbst nicht mehr da sein könnte, um weiter gespannt auf all das zu schauen, was da noch kommt? Unvorstellbar.
Wenn man keine Antwort weiß
Bis es einen dann doch von den Socken reißt, das Herz aussetzt, ein Schlaganfall all die Träume von ewiger Jugend beendet. Und man merkt, dass man sich eigentlich zum Narren gemacht hat, weil man glaubt, das ginge dann immer so weiter. Obwohl die ganze Menschengeschichte nur von einem erzählt, das immer passiert: dem Sterben.
Und vielleicht ist das sogar ein Kinderbuch, das lieber die Eltern und Großeltern griffbereit stehen haben. Denn es beantwortet auch haufenweise Fragen, auf die sogar große Menschen meist keine Antwort wissen, weil der Tod und das Sterben zwar nicht verschwunden sind. Aber wir haben sie aus unserem Leben verdrängt, in Pflegeheime, Hospize, Krankenhäuser und Bestattungsinstitute abgeschoben. Dabei ist das noch gar nicht so lange her, da lebten auch die ganz Alten bis zuletzt im Kreis ihrer Familie. Sie waren nicht allein und auch die Kinder und Enkel konnten noch bei ihnen sein, wenn das Ende nahte. Und auch, wenn dann tatsächlich der letzte Atemzug getan war. Das Ende des Lebens war für die Menschen genauso präsent wie der Beginn.
Und das, was teilweise bis heute als Ritual überlebt hat, ist aus diesem nahen und menschlichen Umgang mit dem Tod entstanden. Ohne Rituale kommen wir nämlich damit alle nicht zurecht. Denn wenn ein geliebter Mensch stirbt, bleibt die Trauer nicht aus. Wir können uns nicht nur lauter gräuliche Dinge vorstellen, die mit dem Tod zu tun haben. Aber wie sehr wir mit all unseren Gefühlen an einem nahen Menschen hängen, das merken wir erst so richtig, wenn es diesen Menschen nicht mehr für uns gibt.
Ein Abschied wie auf dem Zugbahnsteig
Ein bisschen ist das wie der Abschied auf dem Bahnsteig, wenn ein geliebter Mensch ganz weit wegfährt. Wir stehen genauso ratlos da und merken, was für ein Loch da auf einmal in unserem Leben aufgerissen ist. Das Bild verwendet auch Katharina von Gathen, die sich mit der Zeichnerin Anke Kuhl schon um das „Liebesleben der Tiere“ gekümmert hat und die so dringend nötige Aufklärung der Kinder über Sex und solche Sachen.
Es gibt genug Tabus in unserem Leben. Oder eben auch Mythen, Fakenews und falsche Geschichten über all die Dinge, die wirklich unser Leben sind. Sex und Tod zum Beispiel. Katharina von Gathen macht es diesmal ganz ähnlich wie die Autorinnen und Autoren des viel, viel dickeren Buches „Tod, Verlust, Trauer und das Leben“, das Sandra Strauß und Schwarwel 2022 herausgegeben haben. Auch sie haben mit lauter Leuten geredet, die beruflich mit Sterbenden und Toten zu tun haben.
Denn natürlich sind das die Leute, die am besten wissen, wie das wirklich ist, wenn das letzte Stündlein geschlagen hat und Menschen Abschied nehmen müssen von ihren Geliebten. Das tut jeder auf seine Weise. Manche fallen in ein riesiges, tiefes Loch der Trauer – so wie in Marlen Pelnys Roman über den gewaltsamen Tod einer 14-Jährigen mit dem Titel „Warum wir noch hier sind“. Andere können nicht mal weinen oder stürzen sich lieber in Geschäftigkeit, um die Trauer nicht an sich herankommen zu lassen.
Was passiert da eigentlich?
Aber Katharina von Gathen kennt ja die kleinen neugierigen Frager, die immer ganz genau wissen wollen, was passiert. Denn warum hört ein Mensch tatsächlich auf zu leben? Was passiert da mit ihm? Was geht da kaputt in seinem Körper? Und woran merkt man, dass ein Mensch tatsächlich tot ist? Und danach: Wie geht es weiter? Werden die Toten dann zu Geistern? Oder von den Würmern gefressen, wie es so schön heißt? Passiert da dasselbe wie bei toten Igeln, die man manchmal auf der Straße findet?
Und warum sind die Toten so kalt, wenn sie doch eben noch warme, lebendige Menschen waren? Und kann es passieren, dass einer begraben ist, und gar nicht richtig tot ist? Hatten die Menschen früher nicht genau davor eine höllische Angst? Und wie ist das mit der Hölle: Wohin kommen die Leute dann, wenn sie tot sind? Oder sind Himmel und Hölle auch wieder nur etwas, was sich die Menschen ausgedacht haben, weil das einfach nicht in den Kopf will, dass ein lebendiger Geist einfach so verlischt?
Man merkt schon, dass bei weitem nicht nur Kinder so ihre Fragen haben zu diesem letztlich unfassbaren Vorgang. Da haben auch viele Generationen von Erwachsenen so ihre Fragen gehabt. Denn es stimmt ja: Man steht ganz schön hilflos da, wenn ein Mensch, den man so oft geknuddelt hat, auf einmal nicht mehr da ist, nur noch sein kalt gewordener Körper. Er sieht so vertraut aus – und ist doch nicht mehr da.
Und noch schlimmer ist es ja, wenn das mit jungen Menschen geschieht, die an einer Krankheit sterben, durch Gewaltverbrechen oder bei einem Unfall. Dann ist der Schock noch viel größer und man merkt genau das, was Katharina von Gathen so schön auf den Punkt bringt: Der Tod gehört zu unserem Leben. Und es kann jederzeit passieren. Das Leben ist lebensgefährlich.
Darf man über den Tod lachen?
Was einige Leute natürlich trotzdem nicht kapieren. Die werden dann meistens die Helden in der Kategorie „Die blödesten Todesarten“. Einige davon hat die Autorin natürlich mit ins Buch gepackt, genauso wie dutzende beliebter Witze über Tod und Sterben. Denn auch das ist ja eine Strategie von Menschen, das traurige Thema nicht so nah an sich herankommen zu lassen: Lachen befreit. Auch dann, wenn man dann mitten im Lachen auf einmal heulen muss wie ein Schlosshund.
Wer weint, weiß, dass die Sache ihm richtig nah gegangen ist. Und auch Weinen hilft. Weshalb viele Beerdigungszeremonien genau dafür auch noch einmal Platz schaffen. Denn wenn wir nicht weinen können um die richtig großen Verluste, dann erstarren wir. Dann bleiben wir stecken in unseren unaufgelösten Problemen.
Und deshalb sind die Trauerzeremonien so wichtig, eigentlich die ganze Beschäftigung mit Abschied, Beerdigung, Trauerfeier, wo dann noch einmal alle zusammenkommen, denen die Tote wichtig und lieb war. Auch die Kinder. Das hat Katharina von Gathen die Friedhofsgärtner und Pfarrerinnen extra gefragt: Dürfen Kinder dabei sein? Ist das nicht zu schmerzvoll für sie?
Aber für die Kinder gilt dasselbe wie für die Erwachsenen: Auch sie trauern. Anders zwar, oft nicht so bleischwer. Aber auch sie brauchen das Erfahren von Abschied. Und wenn sie dann selbst auf der Trauerfeier wieder fröhlich werden, ist das nicht schlimm. Im Gegenteil. Das tröstet selbst die Großen: Das Leben geht weiter. Und Oma und Opa sind mitnichten vergessen. Sie leben fort, solange sich jemand an sie erinnert, sich und anderen die Anekdoten erzählt, die sie immer erzählt haben.
War es gut?
Und da das alles schön in entsprechende Themenkapitel gegliedert ist, kann man – wenn die Knirpse fragen – das Buch aus dem Regal holen und an der richtigen Stelle nachschlagen, was da steht. Man muss nicht alles wissen. Aber man lernt auch selbst etwas dabei, wenn man sich – begleitet mit den humorvollen Zeichnungen von Anke Kuhl – in die ganzen Fragen hineinliest, die da auftauchen können, wenn auf einmal der Tod ins Leben der Familie tritt. Der immer so gern verdrängte, der ja trotzdem immer da ist. Kinder, die Lieblingshaustiere haben, wissen das.
Und sie wissen auch, wie heftig sich das anfühlt, wenn der Hund oder der Hamster stirbt, keinen Mucks mehr von sich gibt. Oder sich nur noch quält und der Tierarzt sagt, es wäre vielleicht besser, das Tier von seinen Schmerzen zu erlösen.
Das passiert zwar bei Menschen in der Regel nicht. Auch nicht bei denen, denen es – trotz schwerer Krankheit – unheimlich schwerfällt zu sterben. Aber Menschen haben ja eben auch oft das Gefühl, vieles verpasst zu haben im Leben, nicht fertig geworden zu sein mit dem, was sie wollten, ihren Lieben nicht genug Liebe gezeigt zu haben. Oder sich einfach noch ein mal entschuldigen zu müssen (wofür auch immer) oder sich zu vergewissern, dass es den Kindern und Enkeln gut geht. Dass es also nicht mehr schlimm ist, jetzt die Verantwortung abgeben zu können und das weitere Leben den jungen Leuten zu überlassen.
Auch das.
Und ob man geliebt wurde, das weiß man dann oder erfährt es noch, wenn die Kinder und Enkel noch einmal kommen zum Abschiednehmen. Und dann … tja, dann hat man vielleicht selbst schon den Sarg ausgesucht, in dem man liegen will, und den Baum, unter dem man liegen möchte. Und die Musik bei der Beerdigung. Manche Leute machen das. Andere überlassen es der Verwandtschaft. Oder dem Institut, das die Beerdigung organisiert, wenn es für die Hinterbliebenen zu schwer ist, viel zu viel auf einmal.
Aber eigentlich genauso unfasslich wie der Moment, als wir in dieses Leben hineinstürzten. Ohne zu wissen, dass wir ein riesiges Abenteuer vor uns hatten, bei dem das beste, was man am Ende sagen kann, ist: Es war gut.
Katharina von der Gathen, Anke Kuhl „Radieschen von unten“, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2023, 22 Euro.
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