Noch zwei Tage warten. Dann ist es so weit. Dann kommt der nächste Band mit Miras Abenteuern heraus, die nicht in irgendwelchen Fantasiewelten stattfinden, sondern dort, wo Abenteuer für heranwachsende Mädchen Alltag sind – zu Hause, in der Family, in der Schule, mit Freunden. Das sind sowieso völlig verrückte Jahre, wenn man es mit Pickeln, Brillen und Zahnspangen zu tun bekommt. Und kleinen Brüdern und Schwestern sowieso.
Wer bis jetzt noch glaubte, das Leben eines Mädchens, das in Dänemark bei seiner Mama und Joakim aufwächst, wäre langweilig, der dürfte eigentlich durch die fünf schon erschienenen Mira-Bände im Klett Kinderbuch Verlag schon eines Besseren belehrt worden sein. Denn Sabine Lemire und Rasmus Bregnhøi erzählen ja nur scheinbar ein ganz normales Mädchenleben.
Sie erzählen in ihren liebevoll und witzig gezeichneten Bildgeschichten ein Mädchenleben, das so normal ist, dass man Pickel kriegen könnte. Die Panik sowieso. All diese schrecklichen Gefühle, die einen in dieser Phase, in der man merkte, dass alle Welt einen anstarrt und mustert, geschüttelt und in die Verzweiflung getrieben haben.
Erst recht, wenn man dann für die Unglücksfälle des Größerwerdens in der Schule auch noch von anderen Kindern gehänselt, gefoppt und gemobbt wurde. Kinder können grausam sein. Das lernen sie zwar meist von Erwachsenen, die ihre Windelphase im Leben nie hinter sich lassen konnten. Aber das Ergebnis ist immer wieder dasselbe: verzweifelte Kinder, die sich nicht in die Schule trauen. Die entsetzt in den Spiegel schauen. Die sich die Kapuze über den Kopf ziehen und das Gesicht lieber mit Pflaster zukleben, nur damit keiner einen pickligen Anlass findet, sich über sie lustig zu machen.
Kinder können so verletzlich sein.
#kleineschwester
Und gerade weil Mira eigentlich nur ganz normale Sachen passieren, die – das erfährt sie etwas später dann auch – den anderen Kindern ebenfalls widerfahren, saugen einen diese kleinen, scheinbar so harmlosen Bilder hinein in ihre Gefühlslagen, ihre Dramen und Abenteuer. Die in diesem Band – zusätzlich zu Pickeln, Brillen und Zahnspangen – noch eine weitere Steigerung erleben, denn Miras Papa Björn und seine Frau Sanne erwarten ein Baby, Mira bekommt also zu Brudi nun auch noch ein kleines Schwesterlein. Oder Halbschwesterlein?
Auf einmal wird selbst die verwandtschaftliche Zuordnung kompliziert. Aber eigentlich nur, weil sich frühere Generationen dabei so blöd anstellten und Verwandtschaftsbeziehungen so durchdeklinierten wie Reifegrade von Äpfeln. Dabei ist es ganz einfach. Da wird auch Papa Björn einmal deutlich, weil dieser Streit so sinnlos ist wie ein Pflaster auf dem Pickel: Geschwister sind Geschwister.
Er neigt sowieso derzeit ein bisschen zum Rigorismus, weil er eigentlich nur noch den Kopf frei hat für das Baby und deshalb Mira ein bisschen vernachlässigt, nicht richtig zuhört und ihr Zimmer einfach fürs Baby freigibt.
Das bringt Mira, die ja eh schon genug Probleme hat, ganz gewaltig an ihre psychischen Grenzen. Dabei war sie so froh gewesen, ihren Papa kennengelernt zu haben, nachdem ihre Mama den einfach so verschwiegen hatte. Und dann auch noch Sanne und Brudi dazu bekommen zu haben, sodass sie jetzt zwei Familien hat. Was eigentlich toll ist und gewaltig hilft, wenn man mal Zoff hat mit Mama. Oder mit Papa. Oder mit Brudi. Mit Beate in der Schule sowieso, die ein ziemlich fieses Kind ist und scheinbar nicht anders kann, als sich über alle lustig zu machen.
Lauter peinliche Situationen
Aber wir schauen ja nicht nur Mira zu, sondern sehen mit ihr auch jenen Teil des Erwachsenlebens, den Kinder so wahrnehmen. Und natürlich nehmen Kinder selektiv wahr. Ist es denn nicht so, dass sich das ganze Leben nur um sie dreht? Um ihre Sorgen, Kümmernisse und Wünsche? Da können einem Mama und Joakim, Papa und Sanne schon mal leid tun, obwohl sie selbst die verzwicktesten Situationen augenscheinlich mit dänischer Gelassenheit bewältigen. Insbesondere Joakim, der sichtlich als einziger wirklich das Talent besitzt, das schreiende Baby zu beruhigen.
Und auf einmal ist man selbst der beobachtete Beobachter. Denn etliche dieser Situationen hat man ja selbst einmal so oder so ähnlich erlebt. Und war genauso ratlos, überfordert und außer sich wie Mira. Und hat genauso gespürt, wie solche Situationen, in denen scheinbar alles falsch lief, auch an den Gefühlen der Erwachsenen zerrten. Nur sagt einem eben keiner vorher, wie man damit umgehen soll. Und hinterher hilft es einem nicht mehr viel. Oder nimmt es einem keiner mehr ab, weil man längst in der nächsten peinlichen Situation steckt.
Oder besser: hineingerissen wurde von den ganzen wilden Gefühlen, die einem im Bauch sitzen oder im Kopf. Und einen für die ganze Welt unausstehlich machen.
Überforderte Eltern begehen dann meistens den Fehler, das ganze Kind für unausstehlich zu erklären. Aber das ist das immer wieder Berührende an Miras Geschichte: Ihre Erwachsenen haben eine Menge Verständnis für die Eruptionen des Kindes, mit dem sie Wohnung oder Hausboot teilen. Was nicht heißt, dass sie selbst ihren Ärger nicht kundtun. Aber irgendwie bauen sie doch jedes Mal wieder Brücken, sodass Mira aus der Welt der wilden Gefühle zurückkehren kann an den Küchentisch.
Und es wird geknutscht …
Und man spürt dabei jedes Mal, was all diese überwältigenden Gefühle eigentlich anrichten. Jedes Mal passiert ein ungeheuerliches Abenteuer. Nur kann Mira nicht mehr – wie in früheren Folgen – zu Oma, die ihr immer das Gefühl gegeben hat, dass doch alles gut ist. So wie Oma benehmen sich die anderen Erwachsenen nicht. Nur Liva, ihre Freundin vom Nachbarboot, hört richtig zu und gibt Mira das Gefühl, dass sie mit ihren ganzen Kümmernissen nicht wirklich allein ist.
Und geknutscht wird in diesem Band nun auch. Die Gefühle jagen ja nicht nur in die eine Richtung, sondern auch in die andere. Und irgendwie gibt es doch immer einen, der einen genauso mag, wie man ist. Und auch gar nicht anders haben will. Ergebnis: Ein rotes, weich gefüttertes Herz, das alle kleinen Leserinnen und Leser des Bandes auch nachbasteln und selbst verschenken können. Jedenfalls wenn sie meinen, dass es Menschen gibt, denen sie unbedingt ein Herz schenken möchten.
Und eigentlich gibt es immer einen. Oder eine. Man traut sich ja meist gar nicht auszusprechen, weil es eben auch Jungs so geht wie Mädchen, dass sie sich fürchten davor, dass es statt eines dicken Knutschers eine Abfuhr gibt. Und dann steht man wieder da, bedröppelt und pitschnass im Leben. Weshalb auch dieser Mira-Band nicht nur kleinen Leserinnen und Lesern, sondern auch Großen ein großer Spaß und ein richtiger Trost sein kann, wenn es mal wieder nicht so läuft im Leben. Oder die Gefühle außer Rand und Band sind.
Und keiner da ist, der einen nun tröstet über diese ganze schreckliche Unberechenbarkeit des Lebens.
Sabine Lemire, Rasmus Bregnhøi „Mira #freunde #zahnspange #kleineschwester“, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2023, 16 Euro.
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