Wer diese Jahre miterlebt hat, der hat was zu erzählen. 14 Jahre lang – bis 2005 – war Peter Gutjahr-Löser Kanzler der Universität Leipzig. Genau in den Jahren, in denen sich fast alles änderte an der Universität, die wieder Anschluss finden wollte an ihre große, 600-jährige Geschichte. Denn daran erinnerte im Jahr 1991 nicht wirklich viel. Die vier Jahrzehnte als „Karl-Marx-Universität“ hatten ihre Spuren hinterlassen.
Nicht nur im Zuschnitt der Fakultäten (die zu Sektionen gemacht worden waren) und der ideologischen Überfrachtung vieler Studienfächer. Der Gebäudebestand der Universität war marode, der Studienbetrieb meist nur noch mit eigentlich inakzeptablen Provisorien aufrechtzuerhalten.
Auf über eine Milliarde DM wurde der dringendste Sanierungs- und Neubaubedarf geschätzt. Und dazu kam noch die Aufgabe, den Personalbestand der Universität drastisch abzubauen, während gleichzeitig die Studierendenzahlen stiegen – und zwar deutlich stärker, als vom sächsischen Wissenschaftsministerium prognostiziert.
Der Titel „Hinter den Kulissen“, den Peter Gutjahr-Löser für sein Buch gewählt hat, zielt auch auf die Tatsache, dass das meiste von dem, was er in dieser Zeit als Kanzler erlebte, anweisen und umsetzen musste, tatsächlich hinter den Kulissen geschah, von der Presse kaum wahrgenommen. Und wenn, dann oft nur oberflächlich, verzerrt, wie es an einigen Beispielen sichtbar wird.
Das bekannteste ist natürlich der Streit um die Universitätskirche, bei dem öffentlich die Fetzen flogen und die Emotionen hochkochten. Denn der Wunsch, die 1968 gesprengte Universitätskirche St. Pauli wieder aufzubauen, war natürlich nur zu verständlich. Aber Gutjahr-Löser berichtet aus der Innensicht der Universität, in der natürlich noch ganz andere Wünsche eine Rolle spielten.
So fehlte der Universität nach der Sprengung des Augusteums, die 1968 parallel zur Unikirchensprengung erfolgte (und fast gar nicht erinnert wird) eine repräsentative Aula. Und an universitär nutzbaren Räumen fehlte es auch. Und Förderung aus dem Hochschulbauprogramm des Bundes gab es nur für universitär genutzte Gebäude.
Ein gewisser Theodor Litt
Natürlich erzählt Gutjahr-Löser diese Geschichte sehr detailliert und mit Herzblut. Denn so ein Buch schreibt man nicht, wenn die Zeit als Kanzler nur irgendein Job war, den der zuvor bei der Max-Planck-Gesellschaft tätige Jurist dankbar annahm. Denn Leipzig war dem in Bayern Aufgewachsenen schon vorher ein Begriff.
Nicht nur, weil sein Vater aus Lützschena stammte und seine Mutter aus Wittenberg, sondern weil er schon während des Studiums mit einem Mann zu tun bekam, der einstmals prägend war für die Universität Leipzig: Theodor Litt.
Der 1880 geborene Kultur- und Sozialphilosoph war 1933 erst mit den Nazis in Konflikt geraten und ließ sich lieber in den vorzeitigen Ruhestand versetzen, und dann 1946, nachdem er seine Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig wieder aufgenommen hatte, auch mit den neuen Machthabern im Osten. Sodass er lieber auf eine Professur für Philosophie und Pädagogik an der Universität Bonn wechselte.
In seinen Schriften beschäftigte sich Litt intensiv mit Fragen der Freiheit und ihrer Bewahrung in einer demokratischen Gesellschaft. Und Gutjahr-Löser staunt selbst, wie hochaktuell diese Fragen immer noch oder auch wieder sind.
Auch in Bezug auf die Rolle der Hochschulen, die eigentlich die geistigen Grundlagen setzen müssten für einen offenen und pluralen Diskurs in unserer Gesellschaft. Aber irgendwie fallen sie dabei komplett aus, deutet Gutjahr-Löser im Kapitel „Neue Fragen – alte Probleme?“ an, wenn er auf die 1961 erschienene Schrift von Litt „Freiheit und Lebensordnung“ eingeht.
Die darin formulierte Frage „bringt meine Befürchtungen über den Beitrag, den Universitäten für den Bestand unserer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung erbringen, auf den Punkt. Litt beantwortet diese Frage nicht. Er war ganz offensichtlich in großer Sorge angesichts von Irrationalität, Hass, Unversöhnlichkeit und der ständig steigenden Bereitschaft, für die Durchsetzung der je eigenen Auffassungen auch zur physischen Gewaltanwendung zu greifen. Mich treibt diese Frage nach wie vor und inzwischen heftiger denn je um. Eine Staatsordnung und eine Gesellschaft haben nur so lange Bestand, wie eine gemeinsame Grundüberzeugung sie trägt.“
Das Modell der Runden Tische
Ein nicht ganz unwichtiges Zitat. Denn es beschreibt auch das, was 1991 den Aufbruch an der Universität unter Rektor Cornelius Weiss bestimmte, der etwas fortsetzte, worauf die Leipziger seit 1989 zu recht stolz waren: das Modell der Runden Tische. Denn so leitete Weiss sein Rektorat – und Gutjahr-Löser empfand das natürlich als wohltuend, erstaunlich und vor allem zielführend.
Denn hier wurde nicht einfach dekretiert oder in Mehrheitsbeschlüssen allen anderen übergeholfen. Die Entscheidungen suchte man im Gespräch, im Herausarbeiten der besten möglichen Lösung, sodass sich auch all jene mitgenommen fühlten, die Minderheitenmeinungen vertraten oder andere Vorstellungen hatten. Sie wurden nicht einfach überstimmt und damit ausgeschlossen. Und das schuf natürlich ein völlig anderes Klima, als es unter anderen Rektoren zuweilen herrschte.
Und es schuf auch die kollegialen Verhältnisse, die es überhaupt ermöglichten, diesen riesigen Umbau einer kompletten Universität zu bewerkstelligen. Angefangen mit den notwendigen Entlassungen gleich zu Beginn, mit denen die Beschlüsse der Regierung umgesetzt wurden – und die oft auch nicht ohne persönliche Verletzungen zu haben waren.
Da ging es nicht nur um eine Reinigung der Universität von Personen, die tief in die Machtstrukturen der SED verwickelt gewesen waren. Es ging auch gleichzeitig um den Aufbau neuer Fakultäten und neuer Studiengänge.
Es ging auch um die Bewahrung von Forschungszweigen, die – trotz alledem – auch schon in der DDR-Zeit hohes internationales Renommee genossen hatten. Und damit natürlich auch um die Struktur einer Universität, die sich wieder unter den Spitzenuniversitäten der Republik einreihen sollte.
Und es ging auch immer um ein zähes Ringen mit der Dresdner Ministerialbürokratie, die schon damals viele Unarten annahm, die auch heute noch erlebbar sind. Denn mit der Übernahme der Staatsmodelle der süddeutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg wurde in Sachsen auch eine straffe Zentralverwaltung geschaffen, die von Anfang an versuchte, sämtliche Entscheidungskompetenzen auf ministerialer Ebene zu bündeln. Was nicht nur zu immer neuen Konflikten mit dem Kanzler der Uni Leipzig führte, sondern auch zu viele Fehlentscheidungen.
Hierarchie statt Subsidiarität
Denn ein Prinzip, das eigentlich für eine demokratische Staatsverwaltung gültig sein sollte, wurde bei Aufbau der Staatsverwaltung in Sachsen von Anfang an ignoriert: das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet nun einmal: Entscheidungen möglichst von den Instanzen treffen zu lassen, die auch direkt betroffen sind.
Entscheidungen über den Umgang mit Bauinvestitionen und Personalstellen also direkt in den sächsischen Hochschulen. Dort, wo man die Bedarfe am besten kennt. Aber das Problem schwelt bis heute. Jede sächsische Kommune kann ein Lied davon singen, ohne dass den Dresdner Ministerialbeamten auch nur schwant, wie hemmend ihre oft auch Nichtentscheidungen sind, ihr hoheitliches Entscheidenwollen sowieso.
Was dann am Ende zu einer systematischen Geldverschwendung führt, weil Bauprojekte überteuert sind, falsch geplant, an den tatsächlichen Bedürfnissen völlig vorbei. Oder weil wichtige Personalstellen nicht geschaffen oder gewährt werden, weil das in den schematischen Soll-Planungen der Ministerien nicht vorgesehen ist. Das Ergebnis: Das Erleben von permanenten Staus, Erstarrungen, unflexibler Mittelbewirtschaftung.
Insbesondere die Beamten im sächsischen Finanzministerium bekommen so einige berechtigte Kritik des einstigen Kanzlers ab, der sich immer wieder ärgern musste, dass Dresdner Entscheidungen völlig an den Interessen der Universität Leipzig vorbei getroffen wurden. Ohne dass es in diesem Apparat irgendwo eine Stelle gibt, an der dieses System Korrekturen zuließe.
Das ist nun einmal so in zentralistischen Hierarchien, in denen die Minister meist nur erfahren, was die Ministerialbeamten „nach oben“ melden. Man muss sich über all die Schönwettermeldungen aus der hohen sächsischen Politik nicht wundern: Es kommt dort nichts anderes an.
Und man staunt, wie sehr sich Hierarchien ähneln, wenn sie nur eben so aufgebaut sind – robust gegen jede Kritik und jeden Veränderungswunsch von unten.
Beamte machen keine Fehler
Andererseits wurde die Universität in den Dienstjahren von Peter Gutjahr-Löser trotzdem umgekrempelt. Denn dass Sachsen moderne und konkurrenzfähige Hochschuleinrichtungen brauchte, das sah man auch in Dresden so. Manches hätte schneller und preiswerter passieren können, wenn man sich deutlich mehr für die Belange vor Ort interessiert hätte.
Oder schlichtweg mehr kommuniziert hätte – abseits der starren Dienstwege, auf denen viele Briefe aus Leipzig einfach verschwanden. Ein Zustand, der immer schnell sehr persönlich wurde, wie Gutjahr-Löser scheibt: „Die Neigung der Ministerialbürokratie, einen Hilferuf bei den politischen Instanzen als Vorwurf aufzufassen, trägt im gesamten Staatsapparat zur Unbeweglichkeit der Verwaltung erheblich bei. Gerade wegen der von den Politikern immer wieder geforderten Leistungssteigerung gibt es kaum einen Beamten, der bereit wäre, die Existenz irgendeines Problems in seinem Verantwortungsbereich einzuräumen.“
Dass vieles an der Uni Leipzig trotzdem gelang, hing oft genug schlichtweg von hochmotivierten Mitarbeitern ab und einem kollegialen Geist, den Gutjahr-Löser für Leipzig als einzigartig beschreibt. Was eigentlich logisch ist. Denn wenn ein so simples Prinzip wie das der Runden Tische funktioniert, dann wird die Arbeit am Projekt Universität zu einem Gemeinschaftswerk. Dann ziehen alle am selben Strang, weil alle zum Erfolg beitragen wollen.
Dass es dann auch einige Personen gab, die ihr Amt dann doch wieder zur eigenen Profilierung nutzten, auch das lässt Gutjahr-Löser nicht weg, für den dieses Buch – geschrieben 17 Jahre nach Ausscheiden aus dem Kanzleramt – mehr ist als eine Bilanz dieser Zeit und der Erfolge seiner Arbeit.
Denn wie umfangreich sein Aufgabengebiet als Kanzler in dieser Aufbruchzeit war, kann man hier Kapitel um Kapitel lesen. Und man staunt eher, wie reibungslos das meistens passierte und ohne die die absehbaren Skandale, die man eigentlich bei so einem Komplettumbau erwarten würde.
Wie frei dürfen Universitäten sein?
Aber man merkt auch, dass diese 14 Jahre das eigentliche Lebensprojekt von Gutjahr-Löser waren. Und dass ihn auch nach 17 Jahren einiges nicht ruhen lässt, weil es zwangsläufig unvollendet bleiben musste, auch wenn alle wichtigen Entscheidungen in seiner Amtszeit gefallen sind.
Aber spätestens die Umsetzung des Bologna-Prozesses, die nach seinem Ausscheiden begann, stellte den Kern des Ganzen wieder völlig infrage. Denn ein derart in Module gezwängtes verschultes Studieren beschneidet radikal die Freiräume, die Universitäten eigentlich schaffen sollten.
Freiräume, die auch dringend notwendige Grenzüberschreitungen zwischen den Fächern möglich machen, denn genau da werden neue Fragen gestellt, entstehen neue Forschungsfelder. Für Gutjahr-Löser befördert das Bologna-System genau das, was unsere Gesellschaft derzeit atomisiert.
„Nach meiner Überzeugung ist Grund für die allenthalben zu beobachtende geistige Atomisierung der Gesellschaft, dass dieses Bemühen um das unerlässliche Minimum an Gemeinsamkeiten heutzutage unterbleibt, weshalb die generelle Suche nach dem Sinn des Lebens kaum noch stattfindet und die individuelle sehr erschwert ist“, schreibt er.
Ohne so einen Minimalkonsens funktioniert kein gesellschaftliches Gespräch. Und die Folgen sind eigentlich beängstigend, wie der Autor feststellt: „Der zum Erhalt der Freiheit des Einzelnen notwendige Verzicht auf eine Uniformierung der Meinungen und Weltanschauungen macht nämlich das Bemühen, gemeinsame Grundlagen des Zusammenlebens immer wieder neu zu suchen, nicht überflüssig, sondern gehört ebenso zu den unerlässliche Bedingungen für die Erhaltung von Freiheit und Frieden, wie es das Monopol jeder einzelnen Weltsicht verbietet.“
Eine Universität im Herzen der Stadt
Natürlich kommt er immer wieder auf Theodor Litt zu sprechen, dessen Nachlass inzwischen auch im Archiv der Uni Leipzig aufbewahrt wird. Denn er brachte diesen engen Zusammenhang zwischen einer freiheitlichen Gesellschaft und freier Wissenschaft und Forschung immer wieder auf den Punkt.
Beides bedingt einander. Gerade weil Hochschulabsolventen in der Regel die entscheidenden Spitzenpositionen in Staat und Wirtschaft besetzen. Wenn sie aber nicht fähig sind zum respektierenden Gespräch, bekommt man nur Zank und Streit und den blendenden Ruhm eigensüchtiger Karrieristen. Und vor allem setzt sich das Bild auch in der Gesellschaft fest, dass Politi so nun einmal sei. Und nicht anders.
Es ist eine der Stellen, an denen man merkt, dass das Unvollendete den ehemaligen Uni-Kanzler noch immer aufwühlt. Dass ihn durchaus auch immer ein anderes Bild von Universität umtrieb, als es die Ministerialbeamten in Dresden hatten.
Dabei ist die Bilanz dieser 14 Jahre vorzeigbar. Das Universitätsklinikum (das in der Zeit von der Medizinischen Fakultät der Universität getrennt wurde) hat heute ebenso hochwertige Arbeitsbedingungen wie die juristische Fakultät, die genau in dieser Zeit auch wieder an ihren historischen Standort an der Petersstraße zurückkehren konnte.
Die sozialwissenschaftlichen Studiengänge bekamen ein modernes Gebäude genau an der Stelle, an der einst das zweite Gewandhaus der Stadt stand, gleich gegenüber der aufwendig und eindrucksvoll wieder hergestellten Universitätsbibliothek.
Der Campus der Uni blieb in der City – auch das übrigens nicht ganz so selbstverständlich, wie es heute aussieht. Es gibt nur wenige Universitäten in Deutschland, deren Campus derart direkt im Herzen der Stadt liegt – was Gutjahr-Löser natürlich auch auf die lange Vorgeschichte der Leipziger Universität eingehen lässt, deren Charakter und Ausstrahlung ohne die enge Symbiose mit der Stadt nicht denkbar ist.
Der Kern einer Wissenschaftsstadt
So werden Gutjahr-Lösers Erinnerungen an diese Zeit auch eine Reise durch 14 aufregende Jahre, in denen alles immer fast gleichzeitig zu geschehen schien. Weshalb er die ganze Geschichte nicht in einem Strang erzählen kann, sondern in einzelnen Kapiteln auf all die Fakultäten und Institute eingeht, um die er sich in verschiedensten Belangen kümmern musste. Er geht auf die Rückkehr der Universität Leipzig in die Welt der deutschen Forschungsgemeinschaft ein, aber auch auf den Kampf um angestammte Universitätsimmobilien.
Und er lässt auch die Vernetzung mit den anderen Hochschulen und Forschungsinstituten nicht weg, von denen einige ja erst in den 1990er Jahren gegründet wurden. Und damit beleuchtet er etwas, was in der Leipziger Stadtgesellschaft selten wahrgenommen wird: Wie diese frühen Gründungen und die zentrale Rolle der Universität die Stadt Leipzig wieder zu einem hochkomplexen und international wahrgenommenen Forschungsstandort gemacht haben.
Dass das Buch am Ende 500 Seiten dick wurde, obwohl nach Aussage von Gutjahr-Löser viele Kapitel schon gewaltig gestrafft wurden, hat natürlich mit der Fülle der Aufgaben zu tun, die sich alle beim Kanzler bündelten. Und die Gutjahr-Löser nicht nur auf Trab hielten, sondern innerlich auch aufwühlten und beschäftigten. Das war wirklich sein Lebenswerk, das er 2005 da in die treuen Hände seiner Nachfolger legte. Mit durchaus nachdenklichen und mahnenden Worten bei seiner Rede in der Thomaskirche.
Denn die Frage steht immer: Was bleibt? Was kann man aufbauen, ohne dass es dann von fahrlässigeren Verwaltern wieder abgeräumt wird? Und das sind nun einmal nicht nur eindrucksvolle Gebäude, in denen junge Menschen heute gern studieren.
Es sind auch die Bedingungen, unter denen geforscht und gelehrt wird. Und da wird es menschlich, geht es um Strukturen und Miteinander. Und letztlich um die Freiheit des Lehrens und des Lernens, das Eigentliche, das, was kluge Köpfe und freie Persönlichkeiten ausmacht.
Aufbruch und …
In seiner Thomaskirchenrede ging er besonders auf zwei Worte ein, die diese 14 Jahre beschreiben. Das erste ist der Aufbruch, der natürlich diese ersten Jahre prägte – und auch die Stimmung an der Uni. Das andere ist das Wort, das man bei all seinem Schaffen nie einlösen kann: Ankunft.
Da kann er auch die letzte Szene im Faust anführen. Denn alles fließt. Das Ende eines Amtes bedeutet nie das Ende der Geschichte, auch dann nicht, wenn der Blick in die Zukunft deprimiert. Eine Ankunft gibt es offensichtlich nicht. Es geht immer weiter. Und jeder erfolgreich gewonnene Zustand ist nur ein vorübergehender, ein Transitraum, an dem man sich besinnen kann und wieder aufbrechen muss.
Einen Grund zum Resignieren gibt es nicht, stellte Gutjahr-Löser 2005 fest. Aber es gibt Lebensprojekte, die treiben einen auch noch im Ruhestand um und lassen einen nicht ruhen. Bis der sich dann hinsetzt und das alles einmal aufschreibt, um seine Bilanz zu ziehen.
Und so nebenbei gibt er den Nachkommenden einen einzigartigen Blick in die Arbeit eines Leipziger Universitätskanzlers, der 14 Jahre mittendrin war im kompletten Umbau dieser altehrwürdigen Institution, die eigentlich vor allem deshalb berühmt ist, weil sie sich ständig gemausert hat und immer wieder Platz für das Neue geschaffen hat. Manchmal widerstrebend und mit allergrößten Bedenken. Manchmal geliebt von König und Regierungen. Oft aber auch behindert.
Logisch, dass sich einer da fragt: Was bleibt? Und: Ist das gültig, was ich da geschaffen habe? Oder besser: wir. Denn dass es eine ganze Reihe Frauen und Männer brauchte, die dieselben Ziele verfolgten und unterstützen, würdigt Gutjahr-Löser am Ende noch besonders. Denn so etwas schafft keiner allein. Das klappt nur, wenn man Mitstreiter findet und am runden Tisch gemeinsame Visionen erarbeitet.
So gesehen ist das Buch auch ein kleines Plädoyer gegen die Frustrationen der Hierarchien und für runde Tische aller Art. Und damit für den Respekt im Sprechen und Streiten miteinander, der uns heute so erschreckend abhandenzukommen droht.
Peter Gutjahr-Löser Hinter den Kulissen Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023, 34 Euro.
Keine Kommentare bisher