Dieses Buch ist eine Wรผrdigung fรผr den 2021 verstorbenen Dichter SAID, der als Said Mirhadi 1947 in Teheran geboren wurde und seit 1965 in Deutschland lebte. Mit seinem Werk steht er exemplarisch fรผr ein Phรคnomen, das auch in der deutschen Literaturrezeption gern als Nischenthema behandelt wird: Autoren, deren Muttersprache eigentlich nicht Deutsch ist. Und die in dieser Sprache trotzdem eine neue Heimat gefunden haben.
Das fasziniert, weil es auch neue Farben in die Sprache bringt. Und gleichzeitig auch zeigt, dass es eine reiche und bildhafte Sprache ist.
Mathias Buth bringt es in seinem Beitrag fรผr dieses Buch so auf den Punkt: โMit 17 Jahren verlieร er als Student den Iran, der ehemals Persien hieร, flรผchtete vor dem Schah-Regime, wollte in Deutschland 1965 Ingenieur werden, blieb in dem Land, dessen Sprache er rasch lernte und das ihn aufnahm mit dem Besten, was es hat: mit der Sprache.โ
Das sieht nicht jeder Rezipient so. Auch nicht in dieser kleinen Sammlung von Wรผrdigungen, mit denen sich die Autorinnen und Autoren dem Werk von SAID annรคhern und damit auch deutlich machen, wie sehr sich die Wahrnehmung von literarischen Texten unterscheidet. Selbst bei Leuten, die eigentlich alle Dasselbe wollen. Es geht auch gar nicht anders: Jeder, der liest, liest sich in die Texte der anderen selbst hinein. Manchmal so beharrlich, dass er seinen Blickwinkel fรผr den einzig legitimen ansieht.
Eine Falle, in die auch Germanisten nur zu gern hineinlaufen. Auch ein langjรคhriger Wegbegleiter wie Rolf Stolz, Mitherausgeber der Literaturzeitschrift โRHEIN!โ, in der SAID mehrere seiner Arbeiten verรถffentlicht hat. Er versucht in seinem Beitrag fรผr das Buch SAID auf die Formel โDer fremde Deutsche, der deutsche Fremdeโ zu bringen und damit natรผrlich den Aspekt der Heimatlosigkeit und der Strandung in der Fremde nรคher zu beleuchten.
Dabei zitiert er aber auch einen Text von SAID, der diesen Aspekt noch einmal deutlich verschiebt: โwas mich betrifft, ich bin nur ein ungebeter gast, der als seine eigentliche gastgeberin die deutsche sprache sieht. Man weiss, dass man keine heimat mehr hat, denn die heimat ist die zeit, die wir verloren haben. Man ist aber bemรผht, sich zu trรถsten, sich zu belรผgen. So sagt man sich: meine eigentliche heimstรคtte ist die deutsche sprache, die mir zuflucht geboten hat.โ
Wenn Heimat Fremde wird
Was nun einmal auch damit zu tun hat, dass er erst in Deutschland anfing zu schreiben โ und das in der Eroberung der deutschen Sprache, wenn man das so nennen kann. Denn das ist ein ganz und gar nicht widerstandsloser Prozess, schmerzhaft, unsicher, tastend. Denn eine neue Sprache in all ihren Facetten eignet man sich viel schwerer an als die Sprache der Kindheit. Die Sprache der Kindheit verschwindet ja auch nicht wirklich. Bis zuletzt zรคhlte SAID auf Persisch, teilt er mit. Aber das Anzรคhlen passierte dann auf Deutsch.
Man nimmt immer mit, was man in junge Jahren sprachlich erfasst hat โ auch Dichtung, Mรคrchen, den Klang der Heimat. Nicht ahnend, dass auch der sich verรคnder. Was SAID erlebte, als er in einer kurzen Phase zwischen den beiden Diktaturen fรผr ein paar Wochen in den Iran zurรผckkehrte, verwirrend erlebte.
Der aus der Fremde Zurรผckgekehrte fand eine fremde Heimat vor. Was รผbrigens weit รผber das Grundthema Fremde hinausreicht. Vielleicht spรผren das wirklich nur Dichter? Was ich aber nicht glaube. Denn dieses Phรคnomen erlebt auch jeder, der das Land seine Geburt nicht verlassen hat, aber an die Orte der Kindheit zurรผckkehrt. รbrig bleiben immer nur die Bilder aus der Erinnerung. Die Gegenwart erzรคhlt mit frappierender Gleichgรผltigkeit davon, dass auch der spรคte Besucher hier fremd geworden ist. Die Regeln seiner Kindheit gelten nicht mehr. Die Menschen haben sich verรคndert.
Und das passiert immerzu. So allgegenwรคrtig, dass man sich wundert, wie viele Menschen felsenfest daran glauben, die Welt รคndere sich nicht und sie selbst erst recht nicht. Verรคnderungen sind eine Zumutung โ und doch tatsรคchlich die Essenz des Lebens.
Die Flรผsse der Sprachen
Wer natรผrlich nicht nur die Heimat verlรคsst, sondern auch den Ort seiner Sprache, der erlebt das noch viel elementarer. Davon erzรคhlt ja SAID in all seine Geschichten und Gedichten. Das Fremd-Sein verschรคrft den Blick fรผr das Eigentliche, das einen mit dem Leben und der Welt verbindet. Gerade, weil alle Verwurzelungen gekappt sind. Bis auf die in der Sprache. Denn das ist genauso unverkennbar, dass SAID seine Verflochtenheit in die persische Literatur nie verloren hat, dass auch sein Sprechen in der deutschen Sprache ohne diese Verbindung nicht erspรผrbar wird.
Hamid Tafazoli versucht das am literarischen Bild der Flรผsse festzumachen. Das Flussmotiv taucht bei SAID fast zwangslรคufig immer wieder auf. Der Fluss als Grenze, als Ursprung des Lebens, als Verbindendes zwischen den Welten. Und natรผrlich selbst als Symbol des Lebens. Denn wer so in den Strom der Zeit geworfen ist und sich wie ans Ufer gespรผlt wiederfindet im fremden Norden, der entwickelt ein Gespรผr fรผr das Verflieรen, die Vergรคnglichkeit aller Momente, die einen manchmal wie Strandgut behandeln. Die Erkenntnis, dass man nicht mehr zurรผckkehren kann, macht einsam. Auch ratlos.
Aber sie lรคsst einen auch spรผren, dass sich die groรen Flรผsse der Sprachen, Literaturen und Kulturen auch begegnen, vereinen, ineinander flieรen. So schรถpft der Dichter aus beiden Flรผssen, aus beiden Traditionen. Und frappiert die Lesenden, weil seine Gedichte auf einmal an die Gedichte des Dichters Reiner Kunze erinnern โ ebenso scheinbar sprรถde, knapp und dennoch poetisch, mit Bildern, die einen schon beim Lesen packen: Ja, so konkret ist Leben.
Die Subversivitรคt des deutlichen Sprechens
Und auch das ist kein Zufall. Reiner Kunze hat zwar nie das Land seiner Sprache verlassen. Aber er hat erlebt, was Fremd-Sein im eigenen Land bedeutet. Wie man Befremdung schon dann leibhaftig spรผrt, wenn die eigenen Texte im Land als unerwรผnscht gelten, die Sprache des Dichters auf die Sprach- und Denkverbote der Mรคchtigen trifft. Kunze gehรถrte zu den Dichtern, die das in der DDR schon deutlich aussprachen. Und dass er dann auch noch in die Fremde gehen musste, auch wenn da ebenso Deutsch gesprochen wurde, macht noch deutlicher, dass es da eine tiefe Seelenverwandtschaft gibt zwischen Kunze und SAID.
Man kann sich wie in der Fremde fรผhlen, wenn man scheinbar dieselbe Sprache spricht wie die Leute um einen herum. Auch unverstanden, weil man zu deutlich wurde. Weil das klare Sprechen als subversiv wirkt. Und als befremdend sowieso. Das war schon immer die Stรคrke guter Literatur: Das Wesentliche so neu und klar zu sagen, dass es die Leser aufschreckte. Auch mit einem โSo ist es.โ
Und Es โ das ist das Leben, das Eigentliche, worรผber immer wieder zu reden ist. Was auch SAID getan hat. Eigentlich hat er nie etwas Anderes getan, als dieses Elementare im Da-Sein zu suchen und zu benennen. Mit der Sprache sagbar zu machen, was wirklich berรผhrt, verfรผhrt, einen spรผren lรคsst, dass man lebt โ mit allen Sinnen. Deswegen ist so oft von Liebe die Rede โ auch in den Gedichten und Essays in diesem Band. Denn wenn man nicht (mehr) fรคhig ist zur Liebe, ist man tot. Dann hat man nichts mehr zu sagen.
Und SAID hat bis zum Schluss immer wieder all diese Momente eingefangen, in denen ihm die Liebe frappiert hat, das intensive Berรผhrtsein von den Dingen und Menschen in diese Welt, die ihm zeigten, dass Fremd-Sein nicht bedeutet, nichts mehr zu spรผren. Schon gar nicht: nichts mehr zu lieben. Und so wird die Sprache bei SAID immer etwas Doppeltes: der Stoff, mit dem er seine Geschichten erzรคhlte und das Berรผhrende sagbar machte โ und gleichzeitig selbst ein Stoff der Liebe. Denn mit dem Deutschen ging er genauso behutsam um wie mit der Sprache seiner Kindheit. Und ganz bestimmt viel elementarer, als es einige Essays in diesem Band zu erklรคren versuchen.
Das tรคglich Brot der Dichter
Denn Dichter interpretieren die Welt nicht nach groรen theoretischen Schablonen. Das lesen auch Literaturkritiker oft nur hinein in die Texte. Dichter benennen das, was sie frappiert, so deutlich und bildhaft, wie sie kรถnnen. Suchen nach den Worten und Bildern, die das fรผr sie so Erschรผtternde mรถglichst genau wiedergeben. Denn sie wissen um die Kraft und die Intensitรคt von Wรถrtern ganz anders als alle Germanisten zusammen.
Es ist nicht nur ihr tรคglich Brot. Es ist ihre Passion, genau zu sein. Und dazu muss man die Sprache lieben, in der man schreibt. Und ein Gespรผr haben dafรผr, wenn Worte und Sรคtze falsch klingen. Ein Gespรผr, das die meisten Menschen nicht haben, so traurig das klingt. Weshalb sie auch nicht merken, wenn ihnen Texte Unerhรถrtes offerieren. Sie รผberlesen es. Oder lesen es erst gar nicht, weil sie diesen Nerv fรผr das genau Gesagte nie entwickelt haben.
Deswegen ist Wasser bei SAID mehrfach eine Metapher fรผr Sprache. Nicht nur fรผr die beiden Sprachen, in denen er lebte und die sich als Flรผsse in ihm vereinten. Auch als das Lebensnotwendige. Denn wer nicht mehr sprechen kann, wer nicht mehr sagen kann, was einen berรผhrt, der geht sich selbst verloren.
Sprache also auch als Lebensmittel. Und ein Ort der Liebe, โinnere Heimatโ, wie Matthias Buth schreibt, der eben mit seiner Formel โVom besten, was es hatโ auch etwas benannt hat, was so vielen Deutschen รผberhaupt nicht klar ist. Auch weil sie nie den Sinn dafรผr entwickelt haben: dass unsere Sprache tatsรคchlich das Liebenswerteste an Deutschland ist, eigentlich die Seele des Landes. Viel zu oft maltrรคtiert und geschunden. Und dabei so genau und lebendig, wenn sich nur aufmerksame Dichter ihrer annehmen, wie SAID einer war.
Hamid Tafazoli, Rolf Stolz (Hrsg.) โSAID. Sprachland Liebeslandโ, Konkursbuch, Tรผbingen 2023, 15 Euro.
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