Bei der Völkerschlacht im Oktober 1813 lief für Napoleon vieles nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Schon Tage vor dem eigentlichen Schlachtbeginn kam es im Leipziger Südraum zu einer großen Reiterschlacht, die bereits Kräfte band, bevor der Kaiser der Franzosen alle seine Truppen zusammengezogen hatte. Im Zentrum der Ereignisse: das Dorf Liebertwolkwitz, wo man sich heute noch an dieses einschneidende Ereignis erinnert.

Denn nach der Schlacht war der größte Teil des Dorfes komplett zerstört, die Vorräte waren geplündert, die Tiere entweder in den Ställen verbrannt oder von den Soldaten vertilgt. Mehrmals wechselte das strategisch günstig gelegene Dorf zwischen den kämpfenden Parteien. Der Friedhof wurde gerade für die Österreicher zur tödlichen Falle, während sich die Dorfbewohner in die Kirche geflüchtet hatten, was ihnen während der Kämpfe nur bedingt Schutz bot.

Das Buch, das Reinhard Münch und Thomas Nabert hier mit einer opulenten Bilderfülle zusammengestellt haben, vereinigt viele einzelne Erinnerungsstränge, die bislang auch in verschiedenen Publikationen überliefert waren. Hier die Erinnerungen an die militärischen Vorgänge an diesem 14. Oktober 1813, als die rekognoszierenden Alliierten unverhofft auf die Truppen des Königs von Neapel, Joachim Murat, trafen und aus einer unverhofften Begegnung das wohl größte Reitergefecht dieser Zeit entstand.

Dort die Erinnerungen der Zivilisten, die sich vor allem an die Zerstörung des Dorfes, die gewalttätigen Übergriffe und die Plünderungen erinnerten. Und dazu kommt in diesem Buch natürlich auch noch der Blick auf die Geschichte von Liebertwolkwitz, das später schon fast ein richtiges Ackerbürgerstädtchen ohne Stadtrecht wurde, bevor es nach Leipzig eingemeindet wurde. Ein reiches Dorf war es schon vorher, weil es direkt an einer der wichtigsten Reichsstraßen lag, über welche die Kaufleute zur Leipziger Messe zogen.

Ein Dorf erinnert an die Völkerschlacht

Weshalb sich die Bewohner des Dorfes eben nicht nur von der Landwirtschaft ernährten und den Leipziger Markt mit Nahrungsmitteln versorgten, sondern auch viele Handwerker unterschiedlichster Gewerke in Liebertwolkwitz zu Hause waren. Wie die Liebertwolkwitzer sich an diese 210 Jahre zurückliegenden Ereignisse erinnern, ist jedes Jahr im Oktober zu erleben, wenn neben den eindrucksvollen Darstellungen einzelner Völkerschlachtepisoden auf dem einstigen Schlachtfeld die Liebertwolkwitzer selbst zu ihrem Erinnerungsfest „Liebertwolkwitz – ein Dorf im Jahre 1813“ einladen.

Da geht es nicht so dramatisch und tragisch zu wie im Oktober 1813. Aber es gibt keinen anderen Ort auf dem damaligen Leipziger Schlachtfeld, in dem sich so intensiv und mit reger Beteiligung der Bewohner an dieses weltverändernde Jahr erinnert wird. Diese historische Dimension machen einige der Beiträge auch noch einmal deutlich, denn in diesem Oktober 1813 stand Leipzig mitten im Zentrum der Weltgeschichte. Hier entschied sich, wie es mit Europa weitergehen würde, ob Napoleon seine Hegemonialpläne weiter betreiben konnte oder ob sich das alte, feudale Europa wieder restaurieren würde.

Wobei die Betroffenen ganz bestimmt nicht daran dachten, dass ihr Dorf auf einmal zum blutigen Schauplatz der Weltgeschichte wurde. Für sie ging es ums blanke Leben und um ihre Existenz. Sie hatten sich ja nicht ausgesucht, von Napoleon zum idealen Schlachtfeld für seine Entscheidungsschlacht auserkoren zu werden. Ein nasses Schlachtfeld. Das bekamen auch die Reiterheere beider Seiten zu spüren.

Die Felder waren aufgeweicht, die Attacken der Reiterschwadronen verlangsamten sich sehr schnell. Ganz so stürmisch wie auf den Fotos von Peter Beißert dürften die Gefechte der Reiter nicht mehr gewesen sein, nachdem sie mehrfach auf schlammigen Äckern Attacke geritten waren.

Ein kaum noch erkennbares Schlachtfeld

Einige persönliche Erinnerungen von Offizieren, die dabei waren, lassen das Kampfgeschehen zumindest in Andeutungen sichtbar werden. Bis hin zum gescheiterten Versuch, Joachim Murat gefangenzunehmen und damit einen der wichtigsten Feldherren Napoleons schon vor der eigentlichen Schlacht kaltzustellen.

Aber in den blutigen Gefechten rund um Liebertwolkwitz und Wachau wird auch schon deutlich, warum Napoleon vor Leipzig scheitern musste. Auf alliierter Seite waren inzwischen genug Offiziere aktiv, die seine Taktiken aus vorhergehenden Schlachten kannten. Und während die beteiligen Russen seit Napoleons Russlandfeldzug im Vorjahr sowieso kein Pardon mehr kannten, waren auch die Preußen darauf aus, ihre bittere Scharte von 1806 (Doppelschlacht von Jena und Auerstedt) auszuwetzen. Der Feind konnte zwar durchaus noch beeindrucken.

Aber er galt auch seit den vorhergehenden Gefechten – etwa bei Dresden – nicht mehr als unbesiegbar.

Einige der wichtigsten Heerführer an diesem Tag werden auch noch mit eigenen Porträts gewürdigt – vonseiten der Alliierten genauso wie vonseiten der Franzosen. Und zeitgenössische Karten zeigen, wie das Schlachtfeld damals tatsächlich aussah. Was heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist, weil gerade auf Leipziger Territorium erheblich an Wohnbebauung dazu gekommen ist. Etwa in Probstheida und Meusdorf.

Aber auch, weil der Tagebau einen Teil des Schlachtfelds verschlungen hat. Da und dort ahnt man noch die Hügellandschaft, welche damals die Einheiten der schon dicht beieinander stehenden Truppen voreinander verbarg, sodass aus einer Erkundungsstreife durch den Überraschungseffekt unverhofft ein Gefecht wurde, in das schon am 14. Oktober um die 100.000 Soldaten verwickelt waren.

Die Schrecken nach der Schlacht

Wobei die Schilderungen nicht mit dem 14. Oktober enden, denn Liebertwolkwitz blieb auch in den nächsten Tagen Teil des Schlachtgeschehens. Was dann die Überlebenden am 19. und 20. Oktober zu sehen bekamen, wenn sie zwischen Leipzig und Liebertwolkwitz unterwegs waren, das war eine Landschaft der Apokalypse, mit tausenden Toten auf einer völlig kahlgeräumten Fläche – und einer Stille, wie sie auch die Menschen der damaligen Zeit nicht kannten. Denn auch die Vögel waren im Schlachtenlärm völlig verstummt und verschwunden.

Und während die Alliierten wenigstens versuchten, ihre Verwundeten zu bergen und in unzerstörten Dörfern im Hinterland zu versorgen, blieben viele verwundete Franzosen unversorgt tagelang auf den Feldern liegen. Aber auch diese finstere Seite des Krieges gehört dazu, wenn man von der Völkerschlacht erzählt. Sie wird viel zu oft weggelassen, wenn es allein um den Ruhm der siegreichen Feldherren geht. „Schrecken und Leiden“ hat Thomas Nabert diesen Teil der Geschichte überschrieben. Nicht nur Liebertwolkwitz wurde gründlich verheert, auch Güldengossa, Wachau, Markkleebeg, Dölitz, Lößnig usw. erlitten ähnliche Schicksale. Die Leichen wurden direkt auf dem Schlachtfeld in großen Massengräbern verscharrt.

Doch bei Feldarbeiten kamen in der Vergangenheit auch immer wieder Artefakte ans Tageslicht, die von den hier anwesenden und niedergehauenen Soldaten erzählen. Uniformknöpfe, Reitersporen, Patronentaschenbeschläge verraten sogar sehr genau, zu welcher Einheit die Soldaten hier gehörten.

Eine blutige Ouvertüre

Und natürlich erzählt das Buch auch von der Erinnerung an diese Schlacht – beginnend mit Theodor Apel, der jene berühmten Gedenksteine an den Orten der wichtigsten Gefechte setzen ließ, die man heute als Apelsteine kennt und die oft genug an verkehrsreichen Straßen stehen, wo man sich gar nicht vorstellen kann, wie hier einst gehauen und geschossen wurde und um jede Fußbreit gekämpft in einer Schlacht, in der beide Seiten die Entscheidung suchten.

Bis hin zu den Denkmalen, die ab 1847 errichtet wurden. In Holzhausen erinnert eins der Österreicherdenkmale daran, dass die Österreicher unter Graf Klenau auch in die Reitergefechte bei Liebertwolkwitz verwickelt waren. Seit 1988 gibt es zudem einen eigenen Gedenkstein bei Liebertwolkwitz, der direkt an das Gefecht mit den 14.000 beteilige Reitern erinnert.

Mit Liebertwolkwitz wird der Auftakt zur Völkerschlacht in diesem Band sehr konkret und lebendig. Ein Auftakt, den keine von beiden Seiten so geplant hatte. Und es wird auch sehr deutlich, warum es nicht wirklich erstrebenswert ist, als Ort einer Schlacht in die Geschichtsbücher einzugehen. Wobei die Liebertwolkwitzer Geschichte mehrere solche Verheerungen kennt. Sie werden im Buch ebenfalls erwähnt – genauso wie die vielen verheerenden Brände, die immer wieder dutzende Gehöfte in Schutt und Asche legten.

Zahlreiche Bilder zeigen, wie sich Maler und Zeichner Jahre nach der Schlacht die Ereignisse bei Liebertwolkwitz vorstellten. Die Fotografien von Peter Beißert zeigen die Gefechtsfelddarstellungen der Gegenwart, in denen Traditionsgruppen aus ganz Europa in originalgetreuen Uniformen zu gestellten Attacken ausreiten.

Und Erhardt Straßburg geht auf ein Hobby ein, das wie kein anderes die Erinnerung an die Gefechte der Völkerschlacht lebendig gehalten hat – die Liebe zu den Zinnfiguren und die akribische Arbeit an den Dioramen, in denen das Hauen und Stechen von 1813 dargestellt wird. Dies ist gut zu besichtigen in der Zinnfigurenausstellung im Torhaus Dölitz – immer auch mit den markanten Ortschaften in Hintergrund, die in der Schlacht zerstört und in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Eine wichtige Erinnerung. Denn nur wer sich erinnert, hat auch die Kraft, im Frieden für den Frieden zu kämpfen, den die von Macht und Herrschsucht Besessenen nur zu gern opfern, wenn sie genug Truppen in Marsch setzen können.

So gesehen – ein sehr gegenwärtiges Buch, wenn man an die vielen in der Ukraine zerstörten Dörfer und Städte denkt.
Reinhard Münch, Thomas Nabert „Ouvertüre zur Völkerschlacht“, Pro Leipzig 2023, 19 Euro.

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