Wenn Kjeld Jensen, Teil der Olsenbande, dem legendären Gauner-Trio aus Kopenhagen, diesen Satz nach der Plan-Offerte durch Boss Egon mit ängstlichem Gesicht herausquetschte, musste ich wie viele „Ferienspielkinder“ bereits in den ersten Minuten des neuen – und zumeist schief gehenden – Bandenabenteuers der tragikomischen Dänen schmunzeln. Sie „sahen rot“, „stellten die Weichen“, „stiegen aufs Dach“ und waren stets „in der Klemme“.
Die Olsenbande war einfach Kult im Osten der Deutschen in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, umwerfend auch durch die großartige Synchronisationsleistung im DEFA-Studio für Spielfilme. Meine westdeutschen Freunde schauen mich jedes Mal ungläubig-staunend an, wenn ich Passagen aus Filmsequenzen auswendig zitiere, und mich selber ausschütte vor Lachen dabei. („Kjeld und Benny, wo sind sie?“ – „Na, arbeiten.“ – „Arbeiten?“ – „Ja, so nennen sie es jedenfalls.“)
Ursprünglich als antiwestliche „James Bond“-Persiflage geplant und gedacht, langweilten die herrlich witzigen Verbrecherdilettanten nie, sicher aufgrund der umwerfenden Situationskomik und liebevoll gezeichneten menschlichen Schwächen, trotz des vorhersehbaren Plots.
Immer wusste und weiß man, wie es läuft: Egons Plan, noch erfolgreich finanziert, scheitert immer kurz vor Schluss an seiner praktischen Verwirklichung – einmal durch Ungeschick eines Bandenmitglieds, meist aber durch die Unfähigkeit der kleinen Gauner am großen, reichen Leben überhaupt und dauerhaft teilnehmen zu können.
Deswegen hieß es für die Drei immer wieder neu: alles auf Anfang. Ein ständiges Wiederbeginnen nach dem Scheitern. Im besten Sinne – no risk, no fun.
In diesen Tagen dachte ich wieder darüber nach, was denn diese dänische Kultkrimiserie so faszinierend macht. Und zwar in dem Zusammenhang, als ich von einem Bekannten Dirk Oschmanns „Osten – eine westdeutsche Erfindung“ in die Hände gedrückt und zum Lesen bekam. (Dessen Auflagenhit stand schon länger auf meiner Hausaufgabenliste, überdies wissend, dass der Mann auch noch „nebenbei“ Professor für Literaturwissenschaft und biografischer Schiller-Experte ist.)
Die Olsenbande. Woher „im Osten“ eine ungebrochene Nähe zu oder gar Identifikationsbedürfnis mit den gescheiterten Helden aus dem Norden herrühre, fragte ich mich. Es war nicht der naheliegende Gedanke „Passt ja zum Osten: Planen-Scheitern-Wiederanfangen.“
Eher ein Gefühl paralleler Gewohnheiten und Marotten im normalen Leben, einer „Identifikation mit Schrullen des Alltags“, des Ernstnehmens von scheinbar Unernstem. Das Leben muss eben immer zwischen Vision und Wirklichkeit gelebt werden, gewissermaßen auf dem Weg hin zum Ziel, dort erlebt man neben Erfolgen auch immer wieder die Rückschläge.
Die kjeld-ängstlich ja auch immer vermutet, geradezu herbei gefürchtet werden („Ist es gefährlich?“). Um sich dennoch wieder aufzurappeln und den Fehlschlag in neue Motivation zu verwandeln, die Gestaltungsangst zu überwinden. Das ist eine glatte Binsenwahrheit, aber sie muss stets neu erlebt werden. Nichts Neues also.
Auch in Oschmanns 224 Seiten starkem Bestseller erfährt man grundsätzlich nichts Neues über den „Osten“. Wie von ihm im Vorwort selbst erwähnt. Den Literaturwissenschaftler trieben nach seinem Aufsehen und Aufregung erzeugten FAZ-Artikel vom Februar 2022 andere Motive, aus einem Feuilleton-Beitrag ein ganzes Buch zu schreiben.
Ihm ginge es um den „krisenhaften Zustand der Demokratie selbst“ und um die Befürchtung, dass gelenkte und paternalistisch geführte Diskurse in unserem Land – unterbrochen durch „demokratiesimulierende“ (Oschmann) Politikinszenierungen – nicht zur selbstbewussten Identifikation mit einem aufgeklärten Gemeinwesen führten bzw. führen. Anspruch und Motiv scheinen dabei durchaus nachvollziehbar, beinahe logisch.
„Wie schnell Demokratien massiv beschädigt werden können, war in den letzten Jahren leider schon in direkten Nachbarländern zu beobachten, von der weltweit wachsenden Zahl an Diktaturen ganz zu schweigen. Wenn in Deutschland über ‚Westen‘ und ‚Osten‘ nicht grundlegend anders geredet wird, vor allem, aber wenn die seit über 30 Jahren bestehenden systematischen Ächtungen und radikalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Benachteiligungen des Ostens nicht aufhören, hat dieses Land keine Aussicht auf längerfristige gesellschaftliche Stabilität. Dafür muss man endlich verstehen, an welchem Punkt wir uns inzwischen befinden.“
Dieser „Punkt“ trägt bei Oschmann viele Pigmente, Schattierungen und Farben. Oft und immer öfter nickt man beim Lesen mit dem Kopf. Zum Beispiel, wenn es um seine Retrospektive der „kolonialen Eroberung“ des „Beitrittsgebietes“ – wir erinnern uns – im Entscheidungsjahr 1990 und danach ging. Um die Scham und spätere Wut der „Besiegten“ in den noch nicht „blühenden Landschaften“, die aus Verzweiflung und Hoffnung zuvor auf die Straße gegangen waren, um zunächst konföderativ – und auf Augenhöhe – mit dem Marshallplan-gepäppelten Westen des Landes zu stehen und um demokratisch nicht nur in der Staatsbezeichnung, sondern praktisch erfahrbar zu er-leben.
Manchmal lesen sich Oschmann Rhetorik, Zitate, Erlebnisse und Deutungen und historische Analogien gewagt-zugespitzt und nahe am Klischee. (Ein Beispiel: Der mit sturer Beharrlichkeit installierte „Ostbeauftragte“ der Bundesregierung erinnere an deutsch-südwestafrikanische Kolonialpraxis zu Beginn des 20. Jahrhunderts.)
Stets geht es ihm aber in seiner Ost-West-Diskursanalyse und auf seiner Suche nach dessen verfestigten Asymmetrien um eine gerechte Regelung des innerdeutschen Verkehrs, wohl wissend, dass die „StVO“ einseitig oktroyiert wurde und interpretiert wird. Sein natürlich subjektiv gefärbter Bericht könnte die zusammenfassende Überschrift „Entwertungserfahrungen“ tragen, womit er auch ungefähr recht hat.
Dabei ist Oschmann entgegen allen Vorwürfen durchaus differenziert in seiner Sichtweise und Analyse, spricht beispielsweise von „frustrierten Zufriedenen“ (S. 42), Menschen zwischen Bitterfeld und Frankfurt/Oder, denen es materiell nach (oder während) der Transformationsperiode der letzten Jahrzehnte durchaus besser, aber eben nicht demokratie-selbstbewusster ging und geht. Diese Differenzierung Oschmanns tut ausgesprochen gut, um der vorhersehbaren Kritik aus Köln und Frankfurt/Main zu begegnen, „undankbar“ oder – noch schlimmer – „demokratieunfähig“ zu sein.
Ein Versuch der Auseinandersetzung mit Deutungshoheiten, Vorurteilen und „Erfindungen“ (Buchtitel) Jenseits rechtspopulistischer Erklärungsmuster. Zwischen nach wie vor ungleichen Brüdern und Schwestern. In Ost und West. Die gleicher sein könnten und müssten.
Deshalb und ausnahmsweise: Klare Leseempfehlung.
Dirk Oschmann Der Osten – eine westdeutsche Erfindung, , Ullstein, 2023, 19,99 Euro.
„Alternative Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels“ erschien erstmals in der Juni-Ausgabe, ePaper LZ 114, der LEIPZIGER ZEITUNG.
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