Seinen großen, runden Geburtstag hatte Friedrich von Hardenberg ja 2022. Da jährte sich sein Geburtstag zum 250. Mal. Ein nicht ganz unwesentlicher Geburtstag, denn Hardenberg, der sich als Dichter Novalis nannte, war ja nicht irgendein Dichter. Er gilt bis heute als der ursprünglichste und wichtigste Dichter der deutschen Frühromantik. Und sein ganzes kurzes Leben ist mit der Region Mitteldeutschland verbunden. Hier ist die Heimat der Blauen Blume.

Hier befinden sich sämtliche Lebensstationen des Dichters – vom Schloss Oberwiederstedt bei Hettstett, wo er 1772 geboren wurde, dem Sitz seiner Familie, über das einstige Salinenamt in Weißenfels, wo seine Familie lebte, nachdem sein Vater zum kursächsischen Direktor der Salinen Artern, Kösen und Dürrenberg ernannt worden war, und dem Stadtpark, dem ehemaligen Nikolaifriedhof, wo Novalis begraben wurde.

Im einstigen Salinenamt befindet sich heute das „Novalishaus“ und auch das Schloss Oberwiederstedt ist ein kultureller Ort geworden, an den Liebhaber der Frühromantik pilgern.

Und mit Jena, wo sich um Novalis der Kreis der Frühromantiker bildete, und seinen Studienorten Leipzig, Wittenberg und Freiberg, befinden sich auch die wesentlichen Stationen seiner Bildung in Mitteldeutschland, genauso wie Tennstedt, wo er eine erste Schreiberstelle erhielt, und das Schloss Grüningen, wo seine große Liebe, Sophie von Kühn lebte. Gerade einmal 13 Jahre alt. Möglicherweise Anlass für einige seiner berühmtesten Dichtungen.

Novalis-Orte in Mitteldeutschland

Manfred Orlicks Anliegen mit diesem Novalis-Bändchen ist natürlich zuallererst, den Dichter in den Bezügen zu seiner mitteldeutschen Heimat sichtbar zu machen und damit auch den Lesern des Büchleins klarer zu machen, wie sehr diese Region damals der Geburtsort der deutschen Romantik war. Mit all ihren Brüchen, die sich ja bekanntlich bis in die Biografie von Friedrich von Hardenberg durchziehen.

Denn das heimatliche Gut in Oberwiederstedt bot der alten Adelsfamilie keine sicheren Einnahmen. Was schon den Vater Friedrichs zwang, ein gut bezahltes Amt als Salinendirektor anzunehmen. Und auch Novalis musste eine Karriere als Salinenassessor anstreben, gar das Amt eines Amtshauptmanns, nachdem er in Freiberg extra noch ein Bergbaustudium drangehängt hatte.

Was ihn dann befähigte, im Leipziger Südraum auf die Suche nach Kohlelagerstätten zu gehen, weil das verfügbare Holz nicht zum Betrieb der Salinen ausreichte. Ein Gedenkstein am Rand des Tagebaus Profen erinnert an diese Seite von Hardenbergs Leben.

Und natürlich kann Orlick die Diskussion nur streifen, inwiefern diese profane Arbeit für Novalis mit seiner dichterischen Begabung kollidierte oder gar verschmolz. Wobei Letzteres wahrscheinlich ist. Die professionelle Verbindung zu Gestein, Erde, Mineralien ist ja auch in den Dichtungen wahrnehmbar, die in den wenigen Jahren bis zu Novalis’ frühem Tod 1801 entstanden und fast alle nur als Fragment vorliegen und von seinen Freunden und Nachlassverwaltern postum veröffentlicht wurden.

Die Sehnsucht nach einer heilen Welt

Aber mit Novalis wird auch das zentrale Thema der Romantik sichtbar – die Sehnsucht nach einer heilen Welt, meist in die verklärte Vergangenheit gespiegelt, bei Novalis in ein als heil empfundenen christliches Mittelalter. Was dann in der deutschen Romantik zum Hauptmotiv werden sollte.

Und so kann man, wenn man auf Novalis’ Spuren durch Mitteldeutschland reist, auch selbst auf die Suche gehen nach der Blauen Blume und was sie eigentlich bedeuten könnte. Auch heute noch. Denn die romantische Welthaltung ist ja nicht verschwunden. Immer noch oder wieder suchen Menschen die bessere Welt in einer verklärten Vergangenheit.

Manchmal durchaus mit gutem Grund, denn das thematisiert Novalis ja immer wieder: Die als zerstört erlebte Verbindung mit der belebten Welt. Was man auch in seiner „Blüthenstaub“-Veröffentlichung nicht überlesen kann. Die deutsche Romantik war nicht nur Weltflucht, sondern auch Sehnsucht nach einem Wieder-eins-Sein mit der Welt. „Wir träumen von Reisen in das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns?“, fragt Novalis in „Blüthenstaub“-These Nr. 16.

Das Land der Blauen Blume

Orlick gibt auch einen kleinen Überblick über das Werk des Dichters, sodass die Leser auch eine gewisse Übersicht über die Werke bekommen, die Novalis gewissermaßen zum wichtigsten Vertreter der Frühromantik machen.

Und natürlich stellt er auch jene Erinnerungsorte vor, wo man das Erbe des jungen Mannes bis heute pflegt. Und damit auch sichtbar macht, dass das überschaubare Werk des Friedrich von Hardenberg auch in einer ganz konkreten Landschaft zu Hause ist.

Eine Landschaft, die um 1800 längst dabei war, ihren „romantischen“ Charakter zu verlieren. Salinen und Kohlebergbau waren ja die Vorboten eines Zeitalters, in dem für Romantik eigentlich kein Platz mehr war. Weshalb gerade in dieser Zeit die romantische Literatur mit ihrer Sehnsucht nach einer heilen Welt geradezu Furore machte.

Wenn es schon draußen immer lärmender zuging, dann wollten die Leserinnen und Leser wenigstens daheim im Lesesessel gedanklich ab und zu verreisen in ein als friedlich verstandenes Mittelalter mit verwunschenen Burgen und verschwiegenen Klöstern. Und der stillen Liebe zu Frauen, die sich im Traum auch in Blumen verwandeln konnten.

Und die Zeittafel im Anhang macht dann endgültig deutlich, wie wenig Zeit dem Dichter Novalis blieb am Ende – und wie er diese Zeit dennoch zielstrebig nutzte für jenes schmale Werk, über das heute die einen rätseln, und das die anderen einfach genießen, wenn mal wieder Zeit ist, von Blauen Blumen zu träumen nach dem Tagwerk in den Fabriken, Bergwerken und Büros. Orten, die Novalis nur zu gut kannte. Und von denen man einige natürlich auch noch besichtigen kann.

Gern mit der – falschen – deutschen Verwunderung darüber, dass die Tapete für die schöne Romantik aus Salz, Ruß und Schreibkram in der Kanzlei besteht.

Manfred Orlick Wahre Geschichten um Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis Tauchaer Verlag, Leipzig 2023, 13 Euro.

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