Anna Herzig ist fleißig. Und sie hat ein Talent, über unsere verrückte Welt so zu schreiben, wie sie ist. Was man oft erst merkt, wenn man diese Welt nicht durch die Männerbrille sieht. Die Brille derer, die oft nicht einmal merken, dass sie zuallererst für Männer eingerichtet ist. Vor allem für machtgeile und gefühllose Männer. Frauen sehen das eher. Aber nur wenige schreiben so freundlich-herzhaft wie die in Wien geborene Anna Herzig darüber.
In ihren Büchern geht es fast immer um „Liebe“. Schön in Anführungszeichen gesetzt, denn viele Menschen wissen gar nicht, was das ist. Sie landen in irgendwelchen Partnerschaften und halten Abhängigkeit und Machtmissbrauch für das Zeug, was das Leben zusammenhält. Das hat Gründe. Einer davon ist das Geld. Geld, das man sich verdienen muss und an dem immer die Frage klebt: Hast du es wirklich verdient?
Die Frage stellt Anna Herzig seit 2018 immer wieder in anderer Form – manchmal mitfühlend, manchmal auf schöne ironische Österreicher-Art. Mit Schmäh beim Erzählen.
2018 veröffentlichte sie bei Voland & Quist ihren Erstling: „Sommernachtsreigen“, 2020 folgte dort „Herr Rudi“, der nicht ganz zufällig Gerichtsvollzieher war. Und nicht wirklich aufhören kann, es zu sein. Wenn der Herr Gerichtsvollzieher auftaucht, weiß man, dass Liebe, Leben und Partnerschaft in die Geldfalle gelaufen sind. Und nun muss gezahlt werden. Auf Heller und Pfennig. Das Leben als ein Kaufvertrag.
Denken in Besitzansprüchen
2022 folgte dann „Die dritte Hälfte des Lebens“ im Otto Müller Verlag und mit „12 Grad unter Null“ ist sie nun zu einem österreichischen Verlag heimgekehrt. Mit einer Geschichte, die genauso gut im thüringischen Sonneberg spielen könnte wie in irgendeiner Stadt im bayerischen Süden. Der Ort ist egal. Um das Denken geht es, das letztlich das Gewebe unserer Gesellschaft ist – ein Denken in Machtstrukturen, in Besitzansprüchen, in alten, bis zur Unsichtbarkeit getarnten patriarchalischen Stereotypen. Oder chauvinistischen. Das läuft auf dasselbe hinaus.
Und in einer Stadt namens Sandburg, die so fiktiv gar nicht ist, läuft es darauf hinaus, dass ein von mehreren gescheiterten Ehen gekränkter Mann seinen Einfluss nutzt, ein Gesetz durchzudrücken, nach dem Frauen den ihnen zugehörigen Männer (nicht nur Ehemännern , sondern auch Söhnen und Geliebte usw.) all das Geld schulden, das diese Männer in diese Frauen „investiert“ haben. Die meisten Partnerschaftsdramen in unserer vom Geld besessenen Gesellschaft resultieren genau daher: Dass Männer glauben, in Frauen „investiert“ zu haben, wenn sie Tag für Tag in gut bezahlten Jobs „das Geld heranschaffen“ für Eigenheim, Frau und Kinder. Und dafür etwas erwarten.
Das klingt nach fernsten, grauen Jahren – 1950er Jahre zum Beispiel. Aber Anna Herzig nimmt ja auch wahr, was in der Welt geschieht. Und wie sehr Männer in stockkonservativen Parteien alles tun, um die Zeit zurückzudrehen, all die Freiheiten, die Frauen in den vergangenen Jahren „gewährt“ wurden, wieder abzuschaffen. Das wetterleuchtet hinein in diese kleine, bitterböse Geschichte, in der der Verursacher des ganzen Dramas einfach seinen familiären Einfluss nutzt, um endlich mal so eim richtiges „Männergesetz“ zu machen. Wobei: Männergesetze zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie am Ende schlimmere Folgen haben, als sich die kleinen Narzissten vorher dachten, als sie ihren Frust in ein Gesetz gossen.
Der lange Schatten des Patriarchats
In Herzigs Buch trifft es die schwangere Greta mitten in ihrem Traum von einher richtig schönen Partnerschaft. Denn ihr „Freund“ Harald entpuppt sich, kaum ist das Gesetz da, als ein völlig fremder Mensch. Einer, der jetzt gleich mal all seine Investitionen in die finanziell klamme Künstlerin Greta zurückhaben will.
Klingt nach einer Dystopie. Aber ist es auch eine? In einem Land, in dem Frauen wie selbstverständlich Haus- und Care-Arbeit zugemutet werden, das Kinderkriegen und -aufziehen sowieso, sodass sie ein Leben lang weniger verdienen als Männer. Und durch das, was eigentlich das Schönste ist an einer Partnerschaft, in Abhängigkeit geraten. Und dann in der Klemme stecken. Jeder Ausbruch aus der Partnerschaft bedeutet wieder Unsicherheit, Ärger, Gerichtstermine. Denn besitzergreifende Männer lassen ungern los. Manche. Aber auch viel zu viele.
Was ein anderer Teil der Geschichte erzählt – der der Mutter von Greta und Elise, die es jahrelang in einer Ehe mit einem Mann aushält, der Frau und Töchter tyrannisiert, kontrolliert, peinigt und demütigt. Ein Chauvinist vor dem Herrn. Aber auch ein Erfolgsmensch, wie er so gern gefeiert wird in unseren Landen, Chef eines Männermagazins, der „das Geld heranschafft“, während die Frau dabei für das pünktliche Servieren der Suppe zuständig ist und dafür, dass alles am Schnürchen läuft. Was er trotzdem nicht honoriert. Denn Familie bedeutet ihm: Macht. Die Frauen haben zu spuren. Und richtig machen sie sowieso nie etwas.
Dass der Bursche ein Scheinleben führt und am Ende berechtigterweise mit dem Gesicht in der heißen Suppe landet, gibt der eigentlich beklemmenden Geschichte eine nicht ganz so erwartete Wendung. Aber eine, die Kriminalbeamte nur zu gut kennen. Denn das halten auch Frauen nicht ewig aus, sich ein Leben lang derart der Willkür eines Mannes zu fügen, der keinerlei Achtung vor Frauen hat. Und es gibt diese Typen. Und sie tauchen eben leider auch viel zu oft in Machtpositionen auf, wo sie ihre Herrschsucht erst so richtig ausleben können, nichts als Unterordnung verlangen und mit Stereotypen hausieren gehen, die aus der Klamottenkiste des Patriarchats stammen.
Den Kerlen alles recht machen …
Und das Beängstigende ist – und Anna Herzig gestaltet es ja mit emotionaler Verve: Das funktioniert immer noch. Das bringt populistischen und chauvinistischen Parteien enormen Zulauf. Auch weil die Rezepte dieser Männer scheinbar so einleuchtend sind.
Aber auch, weil Kinder durch eine solche Welt der schwarzen Pädagogik geprägt werden. Und verunsichert fürs Leben. Denn was Eltern vorleben – und seien es zerstörerische Konzepte der Machtausübung – prägt die Kinder, verunsichert sie und überschattet alle ihre künftigen Partnerschaften. Was auf den ersten Blick oft märchenhaft aussieht. Auch Greta ist ja glücklich und fest der Überzeugung, sie würde ihrem Harald, der sich dann zu Henri verwandelt, nur alles recht machen müssen, dann wäre alles gut.
Aber das geht gewaltig schief. Und eigentlich müsste die Dystopie, die Anna Herzig hier schildert, so gar nicht fern von den feuchten Träumen etlicher heute lebender Patriarchen, letztlich in einer Katastrophe enden. Aber das wäre auch für Anna Herzig keine Lösung. Sie gehört zu einer Generation, die sich eben nicht mehr alles gefallen lässt und die sehr wohl begriffen hat, dass gerade Schwache und Rechtlose sich wehren müssen. Und dass man den Murks, den zu echter Empathie unfähige Männer anrichten in dieser Welt, bekämpfen darf. Und sei es nur dadurch, dass man diesen Kerlen die Rote Karte zeigt und den Laufpass gibt.
Geld und Macht
Was aber nur gelingt, wenn sich die Schwachen gegenseitig stärken und eben nicht zu einzelnen Opfern machen lassen. Aus Verzweiflung wird Wut. Und zwei Geschwister finden wieder zueinander, weil sie endlich Tacheles darüber reden können, was ihr Vater in ihrer Kindheit wirklich getan hat und wie er seine ganze Familie manipuliert hat. Ein durchaus frustrierend-schönes Buch, das eben nicht nur eine Gesellschaft beschreibt, wie sie sein könnte, wenn sich die gefühllosesten Männer mit frauenfeindlichen Gesetzen durchsetzen.
Tatsächlich stammen die Emotionen, die Anna Herzig mit lustvoll deutlicher Sprache in Text gebracht hat, aus unserer politischen Gegenwart, wo all diese Männer, denen es immer nur um Geld und Macht geht, viel mehr Einfluss haben, als gesund ist für unsere Welt. Denn es drängt sie dorthin, wo sie ihre verklemmten Phantasien in Macht und Einfluss verwandeln können. Nicht nur in Österreich.
Viel zu viele Frauen dürften sich in Elise und Greta wiedererkennen. Am Ende überlegt sich Elise, was sie ihrer verzweifelten jüngeren Schwester eigentlich sagen müsste: „Es ist hart zu nehmen, Greti. Aber wir waren ihm beide egal. Nur Werkzeuge, das waren wir für ihn. Um der Mutter wehzutun. Jede Frau, die nicht getan hat, was er wollte, hat er abgrundtief verachtet. Und damit war er nicht alleine auf der Welt.“
Die „perfekte Ehefrau“ ist eine Erfindung von Männern für Männer, „um Frauen und ihre Töchter und deren Töchter für immer in einer Schuld zu halten, die nie bezahlt sein wird.“
Und das ist eben mit den dickleibigen Patriarchen der 1950er Jahre nicht verschwunden. Greta erlebt es mit ihrem „smarten“ Henri, der ihre „Schuld“ genau so versteht: als zu begleichende finanzielle Wiedergutmachung für alles, was er „investiert“ hat. Ausgestorben sind diese Typen nicht, denn sie leben auf den Prämissen einer Gesellschaft, die alles in Geld verwandelt. Auch die menschlichen Beziehungen. Und manche merken es rechtzeitig und befreien sich. Und andere landen in einer nie zu tilgenden „Schuld“ und wissen nicht, wie ihnen das passieren konnte.
Anna Herzig „12 Grad unter Null“, Haymon Verlag, Innsbruck und Wien 2023, 19,90 Euro.
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