2018 erhielt Marc-Uwe Kling für seinen Roman „QualityLand“ den Deutschen Science Fiction Preis. Das Buch hatte er 2017 veröffentlicht. Ein Buch, wie auf den Nerv der Zeit geschrieben. Mit einem aufgeblasenen Präsidentschaftsbewerber, der mit Lügen und Protzerei die Wahlen zu gewinnen droht in einem Land, das so weit in der Zukunft eigentlich nicht liegt. Gute Science Fiction hält der Gegenwart den Spiegel vor, auch wenn die meisten Leute die Warnungen nie ernst nehmen.
2020 ließ Marc-Uwe Kling dann „QualityLand 2.0“ folgen, im selben Jahr, in dem Voland & Quist die erste Graphic Novel zum ersten Band vorlegte, in der Zachary Tallent den Figuren aus dem Roman ein Gesicht gab. Und auch die Szenen in Bilder fasste, in denen Kling seine Figuren die Probleme der Gegenwart diskutieren lässt.
Haudraufs und Schlagetots wird man bei ihm nicht fnden. Eher als Randgestalten, die von der Welt, in der sie oft scheinbar bestens positioniert sind, trotzdem überfordert sind und am Ende – wie Martyn Vorstand, Sohn des schwerreichen Bob Vorstand, nur noch Zerstörung als Lösung für ihr Problem sehen.
Dabei rangiert Martyn im Punktesystem von QualityLand weit über Peter Arbeitsloser, den man in der ersten Graphic Novel als mitfühlenden Roboterverschrotter kennengelernt hat, der es einfach nicht fertigbringt, die mit psychischem Defekt bei ihm angelieferten Roboter und Androiden einfach in die Schrottpresse zu stecken.
Lieber versteckt er sie in seinem Keller und hat damit so eine Art kybernetische Wohngemeinschaft. So, wie es heute möglicherweise schon viele Menschen mit ihren digitalen Hausgeräten haben.
Das System macht keine Fehler …
Aber auf der Punkteskala, die ihm das Bewertungssystem von QualityLand zugesteht, rangiert Peter ziemlich weit unten, da, wo eigentlich kein Raum dafür vorgesehen ist, dass jemand seine Persönlichkeit entfaltet oder gar – wie Peter – gegen die Rolle rebelliert, die ihm die Algorithmen zuschreiben.
Spätestens an dem Punkt dürften zumindest die aufmerksamen Leserinnen und Leser gespürt haben: Hoppla, hier geht es gar nicht um irgendeine ferne Zukunft. Hier geht es um eine Gegenwart, in der sich Millionen Menschen gedankenlos ihren elektronischen Apparaten anvertrauen, ihre Daten preisgeben, unbedacht in „sozialen“ Medien unterwegs sind und sich nicht einmal mehr darüber wundern, wenn sie mit personalisierter Werbung überschüttet werden und in immer seltsameren Blasen landen.
Für Peter wird das zum Problem. Denn spätestens, als ihm ein rosaroter Delfinvibrator per Drohne ins Haus geschickt wird, ist ihm klar, dass das Profil, das das System für ihn angelegt hat, nicht stimmt. Dass das System also einen Fehler begeht. Den man eigentlich korrigieren könnte. Aber er kann den Vibrator einfach nicht wieder loswerden. Das System beharrt darauf, dass das Teil zu seinem Profil passt.
Wenn Menschen mit Vorurteilen Algorithmen programmieren, bekommt man Algorithmen mit Vorurteilen. Und mit Band 1.2, den Zachary Tallent jetzt endlich vorlegen konnte, landet man mitten in der Diskussion um die Künstliche Intelligenz (KI). Die natürlich – auch wenn einige Leute etwas anderes glauben – auch nur aus Algorithmen besteht.
Die Leute, die sich wirklich ernsthaft mit der Entwicklung von KI beschäftigen, wissen das. Und sie wissen auch, was für Gefahren das in sich birgt. Denn wie kann man verhindern, dass diese lernfähigen Programme anfangen, sich immer weiter zu perfektionieren und der menschlichen Kontrolle entziehen? Immerhin ist ja alles weltweit vernetzt.
Das Problem des Unwissens in Zeiten der KI
Wer kann so einer sich selbst verbessernden Programmierung überhaupt die Regeln einbauen, die verhindern, dass die KI einfach eigenständig Entscheidungen trifft, die die Menschheit gefährden? Oder gar auslöschen? Eine Diskussion, die Peter in diesem Band mit dem Alten führt, der sich in seinem Haus regelrecht abgeschottet hat, weil er weiß, mit welchem Feuer die Menschen da gerade spielen.
Denn wenn eine Superintelligenz in den weltweiten Netzen nicht nur allwissend ist (weil sie alle Daten sammelt, die Menschen in den Netzen hinterlassen), Zugänge zu allen brisanten Infrastrukturen hat und damit in gewisser Weise allmächtig wird – und die auch noch allgegenwärtig ist …
Man merkt spätestens hier, dass Kling seinen Lesern etwas zumutet. So wie der Alte selbst oder wie John of Us, der Android, der glaubt, mit Wahrheit und Faktentreue die Präsidentschaft gegen den Fernsehkoch Koch gewinnen zu können. Aber genau das ist auch das, was Kling so besonders macht und deutlich abhebt von so vielen Leuten, die dicke SF-Bücher publizieren, aber davon ausgehen, dass ihre Leser wissenschaftlich völlig unbeleckt sind.
Denn leider hat die SF den Weg begangen, den so viele Medien gegangen sind, um das Einstiegslevel zu senken und den Lesern das Denken und Wissen zu ersparen – man hat sich auf die platten Heldenstorys vom Western-Niveau eingespielt.
Romane, die tatsächlich begründete Dystopien zeichnen, sind selten geworden in diesem Genre. Ganz zu schweigen davon, dass die SF so eine Art kleinen Käfig darstellt. Wer da als Autor erst einmal hineingesperrt wurde, wird von den „ernsthaften“ Feuilletonredakteuren gar nicht mehr wahrgenommen.
Wenn der Nutzer zur Ware wird
Obwohl einer wie Kling im Grunde nur fortschreibt, was in unserer gerade aus dem Lot geratenen Welt passiert. Und es passiert, weil Menschen bequem sind, sich nur zu gern verführen und verkaufen lassen und nicht begreifen wollen, dass alles in einer kapitalistischen Welt einen Preis hat.
Auch Persönlichkeitsrechte, Privatsphäre, Selbstentfaltung, jede einzelne menschliche Regung, die sich in digitalen Welten zu Geld machen lässt. Und wo sich aus all den Leidenschaften, die Menschen umtreiben, Geld machen lässt, wird genau das in Algorithmen eingebaut, mit denen gigantische Datenkonzerne ihre Profite erwirtschaften und – Kling macht es ja nur zu anschaulich – auch Macht entwickeln.
Eine unheimliche, kaum sichtbare Macht, die aber am Ende Wahlen entscheidet, Demokratien zerstört, Menschen gegeneinander aufhetzt, die sich dabei gar nicht kennen.
Denn wenn Algorithmen so funktionieren, wie sie es in QualityLand tun, dann bekommt jeder und jede immer nur das zu sehen, was „das System“ seinem Level zugesteht. Es filtert vor – und verkauft das als „personalisiertes Profil“. Was nicht nur Peter Arbeitsloser an einer Stelle richtig wütend macht.
Denn was passiert eigentlich, wenn Autofetischisten immer nur mit Autofetischisten zu tun bekommen, Rassisten nur noch auf andere Rassisten treffen, ein einziger Klick aufs falsche Video genügt, und man nur noch mit Querdenker-Botschaften gefüttert wird, gar nichts anders mehr im eigenen Nachrichtenkanal auftaucht?
Genau das, was wir längst in allen westlichen Staaten erleben können: eine Spaltung der Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen in abgeschotteten Informationsblasen wiederfinden, wo sich Ressentiments und Emotionen aufschaukeln und am Ende für die in der Blase Befindlichen das Gefühl erzeugen, dass alle anderen genau dasselbe denken. Die großen Bosse der „sozialen“ Netzwerke verkaufen das weiterhin als Freiheit und Wohltat.
Und nicht ohne Grund haben sie die unabhängigen Medien in ihren Netzen marginalisiert, hübsch in die Ecke gedrängt unter dem Label: Hier darf jeder seine Meinung äußern. Alles ist gleich wert. Nur halt mit dem Ergebnis, dass am Ende in der jeweiligen Bubble alle nur noch dieselbe Meinung haben und jeder, der auch nur Zweifel anmeldet, gemobbt und mit Shitstorms überzogen wird.
Können Produkte sich wehren?
Wie kommt man da wieder raus? Erst recht, wenn man wie Peter weiß, dass man im falschen Profil steckt und scheinbar gar nichts daran ändern kann. Also ein Peter-Problem hat, wie es der Alte nennt? Und auch ein Besuch beim Chefentwickler nichts nutzt, der sich in der Einsamkeit abgeschottet hat, aber gar nichts ändern will an einem Geschäftsmodell, das Nutzer zu Produkten macht.
Auch dies kaum Teil der aktuellen Diskussion um Datenschutz und Privatsphäre, dass Menschen, die die digitalen Angebote der Netz-Giganten nutzen, eben keine Kunden sind, sondern Produkte, deren Daten meistbietend an andere weiterverkauft werden.
Von der einst mit der Entstehung des Internets verbundenen Hoffnung auf eine wirklich freie Netzgesellschaft ist nichts geblieben, seit den Konzernen der Zugriff auf Netz und Nutzer gewährt wurde. Kling ist alt genug, um diese Entwicklung miterlebt zu haben.
Samt der Entstehung immer größerer Suchmaschinen, Netzhändler, Plattformanbieter. Mit dem Ergebnis, dass diese das Netz regelrecht okkupiert haben, denn hier zählt allein die Masse: Wer bei Nutzerzahlen die Nummer 1 ist, drängt alle anderen Player systematisch an die Wand.
Doch Peter rebelliert. Und findet dabei Unterstützung etwa von Kiki, der jungen Frau, die ihrerseits in den Abgründen des Netzes unterwegs ist und die Fehlstellen der neuen Klassenideologie auszunutzen versteht. Und auch Peters kaputte Roboter-Freunde sind mit dabei, als Peter sich zu wehren beginnt und vor allem den Weg an die Öffentlichkeit sucht. Denn dort wird heute entschieden, ob jemand überhaupt noch wahrgenommen wird und wenigstens ein bisschen recht bekommt.
Etwas, was populistische Politiker längst begriffen haben. Sie haben die digitalen Wüsten zu ihrem medialen Schlachtfeld gemacht und erreichen dort all die Menschen, die sich in seriöse Medien schon lange nicht mehr verirren und die Informations-Bubble, in der sie leben, für die einzig wahre Welt halten.
Bei einer solchen Schieflage der heutigen Medienwahrnehmung muss man sich über die Wahlerfolge von Populisten aller Haarfarben nicht mehr wundern. Und auch nicht darüber, wie schnell Aufregerthemen eskalieren und tatsächlich in echte Gewalt münden. Denn das Schüren der Emotionen hat in den Bubbles schon vorher stattgefunden.
Wenn Algorithmen Wahlen bestimmen
Am Ende akzeptiert auch John of Us, dass man mit der nüchternen Wahrheit keinen Wahlkampf gewinnen kann gegen einen völlig enthemmten Fernsehkoch. Denn wenn die News, die den Leuten auf ihre Handys gespielt werden, bestimmen, wie sie die Wahlchancen der Kandidaten einschätzen, dann muss man die Algorithmen ändern und die News aufmischen.
Politik ist Verführung und Manipulation geworden, erst recht, seit Meinungsforschungsinstitute im Wochentakt immer neue Umfragen veröffentlichen und Nachrichtenkanäle daraus jedes Mal Sensationsmeldungen machen. Als wüssten die Leute dort nicht, wie sie damit ihre eigenen Leser wieder manipulieren.
Aber wer bremst diesen Irrsinn?
Denn in gewisser Weise ist Klings Geschichte von Peter Arbeitsloser ja doch eine optimistische Heldengeschichte, in der Peter Freunde und Unterstützer findet und sich Öffentlichkeit verschafft. Und Öffentlichkeit verändert, weil es vielen anderen genauso geht, die sich nun ihrerseits zu Wort melden unter dem Mem „Ich will das nicht!“.
Auch all das nicht, was in die Erzählstrecke der Graphic Novel mit professionell gestalteter Werbung eingeblendet ist. Völlig sinnlose Produkte werden angepriesen, als wäre eine ganze Industrie nur damit beschäftigt, den Menschen das Glück per Drohne an die Haustür zu liefern. Dass Menschen selbst in der Politik Fakes und falsche Versprechungen nicht mehr erkennen, hat ja auch damit zu tun, dass professionelle Werbung sie daran seit Jahrzehnten gewöhnt hat.
Am Ende bekommt Peter sogar etwas, womit er nie gerechnet hat: Ein Gespräch mit dem neu gewählten Präsidenten. Alles scheint doch noch irgendwie gut zu werden. Wäre da nicht der völlig aus der Spur geratene Martyn. Ein Typ, mit dem man immer rechnen muss. Einer, der zu Gewalt greift, wenn ihn die Wirklichkeit überfordert.
Und natürlich endet auch die Graphic Novel 1.2 zu „QualityLand“ mit einer völlig offenen Szene. Denn Peter hat zwar ein paar Punkte gesammelt. Aber damit ist er noch lange kein Patient, der seine Rechnung im Krankenhaus bezahlen kann. Und der „beliebteste“ Versandhändler der Welt schickt ihm auch gleich schon das nächste Päckchen per Drohne, das er nicht bestellt hat.
Dabei ist er den Delphinvibrator gerade erst losgeworden …
Die Geschichte geht weiter. Und die Leser, die schon mit Klings Romanen zu „QualityLand“ munter geworden sind, werden auch mit dieser Graphic Novel ihre Freude haben – und wie auf glühenden Kohlen auf die Fortsetzung warten.
Marc-Uwe Kling QualityLand. Band 1.2 Voland & Quist, Berlin und Dresden 2023, 22 Euro.
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