Goethe hat hier regelrecht aufgeatmet, als er auf seiner Reise nach Italien in Südtirol ankam. Zumindest behauptet er das in seiner erst Jahrzehnte nach seiner Flucht veröffentlichen „Italienischen Reise“. Denn eine Flucht war es ja, die Goethe im September 1786 dazu brachte, von Karlsbad aus einfach mal für über ein Jahr Richtung Italien aufzubrechen. Und ein Leipziger Verleger war schuld.
Natürlich. Wer auch sonst? Georg Joachim Göschen hatte Goethe 1786 vorgeschlagen, eine zehnbändige Gesamtausgabe seiner Werke zu veröffentlichen. Also normalerweise etwas, was man am Ende eines schaffensreichen Lebens macht, um Bilanz zu ziehen und alles Wichtige mal komplett zu haben.
Zum Entsetzen für Goethe, der bei dieser freundlichen Anfrage erst merkte, dass er zwar schon zehn Jahre in Staatsdiensten am Weimarer Hof tätig war, aber in den letzten Jahren fast nichts mehr geschrieben hatte. Das Staatsamt hatte den Dichter geradezu lahmgelegt.
Dabei war er schon zur Kur in Karlsbad, als er kurzentschlossen Abschied nahm und sich über den Brenner auf den Weg ins Land machte, wo die Zitronen blühen. Und jenseits des Brenners muss er es wie eine Erlösung empfunden haben, als er nach dem tristen Wetter im Norden auf einmal in eine warme, kraftvolle Landschaft kam.
Ob das nur Einbildung war, kann niemand sagen. So ein Gefühl des Befreitseins von den Lasten eines Amtes hat er bei späteren Italienreisen nie wieder gefühlt. Durch Südtirol ist er eigentlich nur durchgefahren. Zwischen dem 8. und 10. September 1786 kam er hier durch.
Ötzi, Burgen, Bergbauernhöfe
Aber zumindest ein schönes Zitat hat er mit seiner „Italienischen Reise“ hinterlassen, mit dem Anja Stiller dieses kleine Büchlein einleiten kann, in dem sie den Leserinnen und Lesern auch erst einmal kurz und knapp erzählt, was Südtirol eigentlich ist, warum es seit über 100 Jahren zu Italien gehört und heute trotzdem noch dreisprachig ist, welches die größten Städte sind und die Dinge, die einem sofort einfallen beim Stichwort Südtirol.
Ötzi zum Beispiel, der Mann aus dem Eis, mit dem wir inzwischen eine Menge über die Kupferzeit erfahren haben. Aber das Denkmal für den Fundort von Ötzi in den Ötztaler Alpen erzählt eben auch davon, dass auch Tirol vom Klimawandel nicht verschont bleibt und wie lange das auch schon in den Alpen zu sehen ist.
Denn gefunden wurde der Mann in den Ötztaler Alpen 1991 – eben weil das Eis sich zurückzog und den über 4.000 Jahre im Eis konservierten Leichnam freigab.
Aber Anja Stiller geht es eigentlich weniger um Klimawandel und Politik, auch nicht um die italienische Küche und auch nicht so sehr um die 800 Burgen und Schlösser in Südtirol (darunter die berühmte Burg Runkelstein), sondern um die Südtiroler Küche. Und da auch eher um die Küche der Bergbauern in Südtirol.
Deren Gerichte sind „herzhaft und vor allem sind sie sehr nahrhaft. Genau das Richtige nach einem anstrengenden Tag auf dem Hof (oder einer langen Wanderung).“
Die Freuden der Arbeit
Wobei sie auch auf ein Angebot aufmerksam macht, das naturentfremdeten Großstädtern bestimmt Freude bereiten dürfte: Sie können sich auf einem Südtiroler Bauernhof auch als Knecht oder Magd verdingen. Dafür bekommen sie zwar kein Geld, haben aber jeden Tag richtig kräftige Bewegung und lernen was über die Herkunft von all den Dingen, die für gewöhnlich so anonym auf den Tisch kommen.
Und sie erfahren, warum es um 16 Uhr auf dem Bauernhof erst mal Marende gibt, was dann so eine Art kräftiges Vespern ist, das den seit Tagesanbruch so emsig Schuftenden noch einmal stärkt, bevor es zum Beispiel im Stall weitergeht mit der Arbeit.
Und die folgenden Gerichte sind dann natürlich ebenso deftig, abgestimmt auf ein Leben, bei dem Menschen noch richtig zupacken mussten. Ob nun kräftige Suppen wie Gerstensuppe oder Brennsuppe oder unüberhörbar heimische Gerichte wie Schlutzkrapfen, Gemüsestrudel, Schöpsernes und Bauernbratl.
Manches davon macht richtig Arbeit. Da muss die Köchin schon mal zwei Stunden in der Küche rackern, damit der Arbeitsgesellschaft dann etwas richtig Herzhaftes auf den Tisch kommt.
Die Freuden des Essens
Aber natürlich ist das alles auch eine deftige Erinnerung daran, wie kräftezehrend das Arbeiten einst in der Landwirtschaft war und auf Bergbauernhöfen heute noch ist. Und selbstverständlich, wie faul und bewegungslos in Wirklichkeit das Leben der Städter heute ist, die ja sogar davon träumen, im Urlaub mal vier Wochen lang als Knecht arbeiten zu dürfen.
Sich also das Essen richtig verdienen zu dürfen und am Tisch dann zu merken, wieviele Kalorien so eine Bauernhofarbeit tatsächlich kostet.
Kleine Überraschung: Diese Bergbauern in Südtirol mögen auch mal Süßes wie Apfelküchel, Kaiserschmarrn und Strauben. Und beim Krampus aus Hefeteig lernt man dann auch noch etwas von den derben Nikolaustraditionen in dieser Region kennen. Da lässt man am besten die Kinder zu Hause, wenn die Krampusse durchs Dorf ziehen.
Aber den Winter verbringt man ja in der Regel auch nicht auf den Bergbauernhöfen. Eher weiter oben in den noch existierenden Skigebieten. Oder weiter unten im Tal, von wo aus man – unter Palmen – auf schneebedeckte Bergspitzen hinaufschaut. Oder wo man im Spätherbst durch die Südtiroler Buschenschänken wandert, um dort den Wein zu kosten, der hier auch wächst. Was dann die Südtiroler ihrr Fünfte Jahreszeit nennen. Die in diesem Büchlein die letzte ist.
Danach gibt es noch ein paar Adressen, wo man sich kundig machen kann – zum Beispiel über die Bewerbung als Knecht oder Magd auf Zeit. Oder zu Burgen, die man besuchen kann, zum Beispiel auf den Spuren des Oswald von Wolkenstein.
Anja Stiller „Südtirol kulinarisch“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 6 Euro.
Keine Kommentare bisher