Natürlich passt nicht alles hinein. Es kann nur ein kleiner Ausflug sein in die 900-jährige Geschichte von Juden in Thüringen, ihren immer neuen Vertreibungen und ihrem immer neuen hoffnungsvollen Beginnen, wenn sich die Zeiten wieder besserten und der Antisemitismus mal nicht Doktrin der Herrschenden war. Eine Geschichte voller Tragik und erstaunlicher Biografien.

Und mit einem Schatz darin, der an ein Ereignis im Jahr 1349 erinnert, als Erfurt noch eine blühende jüdische Gemeinde hatte. Bis sich ein paar Erfurter verschworen und ein Pogrom gegen die Mitbürger anzettelten, bei dem die jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde. Ein Ereignis, das in den Geschichtsbüchern bestenfalls mal eine Fußnote war.

Bis dann Bauarbeiter 1998 jenen reichen Schatz fanden, den 1349 der jüdische Bankier Kalman von Wiehe versteckt hatte. Ein Schatz, der heute an diese reiche jüdische Geschichte erinnert, die immer wieder durch Pogrome, Ausweisungen und Ansiedlungsverbote unterbrochen wurde.

Die Pest und das Pogrom

Das Pogrom von 1347 gehört in den Zusammenhang mit der damals in Europa grassierenden Pest und Erfurt war nicht die einzige Stadt, wo die Bewohner irrational reagierten und Schauergeschichten über die Juden zum Anlass nahmen, mit Gewalt gegen die andersgläubige Minderheit vorzugehen. Dass das in Erfurt freilich von einer kleinen Gruppe von Männern angezettelt wurde, die zu den Honoratioren der Stadt gehörten und damit wohl auch finanzielle Interessen verbanden, erzählt Rainer Kreidel etwas ausführlicher.

Denn es ist durch Gerichtsakten belegt. Und es macht etwas deutlich, was in den allgemeinen Erzählungen über die Pest und die mit ihr verbundenen Judenverfolgungen meist untergeht: Dass die Stimmungsmache gegen die jüdische Minderheit meist von den Mächtigen ausging, die Sündenböcke suchten und in der sowieso schon ausgegrenzten Minderheit auch fanden.

Trotzdem kehrten Juden immer wieder auch nach Thüringen und Erfurt zurück. Von vier Synagogen kann Rainer Kreidel berichten und natürlich von den spektakulären Funden der Mikwe am Ufer der Gera und des Goldschatzes nahe der Alten Synagoge, die ihrerseits überdauert hat – was schon eine seltene Ausnahme in Deutschland ist. In diesem Fall überdauerte sie, weil sie über Jahrhunderte anders genutzt wurde. So hat Erfurt heute einen Ort, an dem die mittelalterliche Geschichte der jüdischen Gemeinde sichtbar wird.

Ein Hofjude in Weimar

Weimar hatte zwar nie eine solch große jüdische Gemeinde – aber auch die Herzöge im Weimarer Schloss griffen für ihre Finanzgeschäfte auf jüdische Bankiers – oder genauer – in diesem Fall auf einen Hofjuden zurück. Jacob Elkan hieß er. Sein Wohnhaus in Weimar existiert noch heute und selbst Goethe erwähnt ihn in einem Gedicht und war selbst Kunde bei Elkan – genauso wie Schiller, Eckermann und die Familie von Stein. Und der kleine jüdische Friedhof, den Elkan damals initiierte, ist heute noch zu besichtigen, wenn man weiß, wo er liegt.

Womit Kreidel ja auch das zweite Motiv erzählt, das immer wieder in der Motivation der Antisemiten auftaucht. Denn da Christen im Mittelalter die Erhebung von Zinsen verboten war, waren es nun einmal jüdische Bankiers, die über Jahrhunderte Geldgeber der Fürsten im Lande waren. Ihnen wiederum waren fast alle bürgerlichen Berufe verboten. Daraus entstand dann das antisemitische Bild vom jüdischen Weltkapital, das bis heute – mal offen, mal unterschwellig – in der Argumentation der Antisemiten aller Farben auftaucht. Zuletzt als ganz zentrales Motiv in der „Querdenker“-Szene.

Kaufhäuser und Waffen

Dass etliche klingende Namen aus der deutschen Wirtschaftsgeschichte mit jüdischen Unternehmen zusammenhängen, ist vielen Menschen gar nicht bewusst. Kreidel erzählt in diesem Büchlein die Geschichte des Kaufhausgründers Oscar Tietz aus Gera und der Simsons aus Suhl, die einst eine der großen Waffenschmieden für das deutsche Heer gründeten und begehrte Automobile bauten. Ihr Name überlebte später, als in DDR-Zeiten Mopeds mit diesem Markennamen gebaut wurden, die heute unter Moped-Fans ihrerseits wahre Legenden sind.

Mit Eduard Rosenthal aus Jena würdigt Kreidel den Schöpfer der ersten Thüringer Landesverfassung, was erst einmal nicht so spektakulär klingt, aber Farbe bekommt, wenn man weiß, welch ein schwieriges Unterfangen es war, aus den vielen kleinen Thüringer Herzogtümern überhaupt erst einmal ein eigenständiges Land Thüringen zu machen.

Und mit dem Tagebuch von Eva Schiffmann wird auch die Welt eines jüdischen Mädchens aus Gotha lebendig, das aber glücklicherweise rechtzeitig aus Deutschland entkommen konnte und in Israel eine neue Heimat fand. Das grausame Schicksal von Anne Frank blieb Eva Schiffmann glücklicherweise erspart. Das Tagebuch aber fand seinen Weg wieder zurück nach Gotha und regte die Schüler jener Schule, an der Eva 90 Jahre zuvor in der Schulbank saß, dazu an, sich mit ihrer Lebensgeschichte zu beschäftigen.

Bruchstücke einer reichen Geschichte

Es ist ein kleiner Ausflug in die jüdische Geschichte Thüringens, aber einer, der durch den Fokus auf wenige prägende Ereignisse und besondere Menschen deutlich macht, wie reich diese Geschichte tatsächlich war.

Und natürlich auch, dass es sich tatsächlich lohnt, bei Thüringen-Besuchen auch die jüdischen Spuren zu erkunden und dabei auch ein Gefühl dafür zu bekommen, dass die üblichen Mittelaltergeschichten viel zu simpel und einseitig sind und selten wirklich zeigen, wie reich und lebendig zum Beispiel die Welt der mittelalterlichen Städte ausfiel.

Auch durch die jüdischen Gemeinden, die sich schon früh auch in Thüringen ansiedelten – in Zeiten, die – verglichen mit späteren Epochen – toleranter waren. Man kann regelrecht zuschauen, wie Verschwörungsideologien gemacht werden und den Wut aufgestachelter Menschen auf eine wehrlose Minderheit lenkten, weil die scheinbar Mächtigen versagten und überfordert waren. Ein Mechanismus, der in Krisenzeiten immer wieder funktioniert hat. Eine Warnung auch für die Gegenwart.

Rainer Kreidel „Jüdisches Leben in Thüringen“, Tauchaer Verlag, Leipzig 2023, 13 Euro.

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