Nein, es ist kein Buch voller Witze, gar ein Ratgeber für alle, die gern wissen wollen, welche Art Humor Linke nun pflegen, wo sie doch gerade für ihre absolute Humorlosigkeit bekannt sind. Und was, bitteschön, ist links? Dass es eine Lebenshaltung sein könnte, darf man ja zumindest vermuten. Vielleicht auch mehrere. Niemand ist sich uneiniger über linke Lebensweisen als Leute mit linkem Lebensgefühl. Punks eingeschlossen.
Und Schning ist Punk. Auch weil man im Osten oft gar nicht anders deutlich werden konnte, als bis zur Haarpracht klarzumachen, dass man mit dem sich tummelnden Neonazismus in Dorf und Provinz nichts zu tun haben wollte. Und den hat Schning erlebt, als er seine Kindheit und Jugend in thüringischen Provinzen zubringen durfte, bevor er sich endgültig entschloss, wegzugehen.
Auch wenn eine Wohnortverlagerung in Deutschland auch um das Jahr 2000 nicht unbedingt bedeutete, dass man die Dumpfbacken mit ihren rasierten Schädeln und ihrem „Deutschland den Deutschen“-Geblöke loswerden würde.
Tatsächlich erzählt er auch keine Anekdoten, auch wenn viele seiner Erlebnisse zum Anekdotischen tendieren. Eigentlich erzählt er in diesem Buch seine Lebensgeschichte und den Hindernisparcours, den man als junger Mensch erlebt, wenn man sich den Unterordnungsforderungen einer nach wie vor patriarchalischen und autoritären Gesellschaft nicht fügen will. Und das sind beileibe nicht nur die Punks, die sich dem am liebsten entziehen würden, wenn man denn ohne Geld durch den Alltag käme.
Arbeit als Zumutung
Manchen dieser Aussteiger begegnen sie ja dann bei den diversen Eingliederungs- und Beschäftigungsmaßnahmen der Arbeitsämter und Jobcenter. So wie auch Schning ihnen begegnet bei seinem kleinen Abstecher nach Gießen, wo er wenigstens noch in den Genuss einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) kommt, einem jener längst abgeschafften Instrumente eines zweiten Arbeitsmarktes, mit dem einst versucht wurde, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zurückzuholen.
Und auch wenn der Sinn der Maßnahme verständlich ist, steckt dahinter das alte Denken, Menschen müssten ihre Arbeitskraft unbedingt an den Markt bringen. Was ja dann zur Verschärfung der Gesetze durch „Hartz IV“ mutierte.
Was Schning damit tatsächlich erlebte, erzählt er am Ende nicht, fasst nach seinen Abenteuern als Gemusterter und Zivi nur kurz zusammen: „Nachdem mich das Amt wiederholt hart sanktioniert hatte und diverse Gerichtsvollzieher hinter mir her waren, war es mal wieder Zeit arbeiten zu gehen – zumindest bis der Anspruch auf Arbeitslosengeld wieder hergestellt war.“
Denn entkommen lässt die Leistungsgesellschaft letztlich niemanden. Auch keinen Jungen aus Thüringen, der schon in seiner ersten Lehre erlebt, wie lebendig das alte Denken aus Großväterzeiten in etlichen Chefs von heute noch ist – bis in den Sprachgebrauch hinein. Was damals in der durch „Wende“, Treuhandanstalt und Deindustrialisierung geprägten Landschaft des Ostens sogar wieder hoffähig erschien. Denn auf den Dörfern blühte der neue Nazismus. Wenn er denn neu war. Denn das Ende der DDR und ihrer Machtstrukturen bedeutete oft nur, dass sich jetzt in aller Öffentlichkeit austobte, was vorher schon unter der Decke muffelte.
Jugendliche zogen sich Springerstiefel an und machten sich daran, ihren Frust in Gewalt auszutoben – aber nicht gegen die Verhältnisse, an denen sie nichts ändern konnten. Sondern an den Schwächeren – darunter den Punks, die in den kleinen Nestern Thüringens immer in der Minderheit waren. Und lieber gut rennen lernten, wenn sie aus den immer neuen Begegnungen mit dem gewalttätigen Mob halbwegs heil entkommen wollten.
Die Gnade der Arbeit
Wenn dann auch noch ein miserabler Hauptschulabschluss dazu kommt, bleibt keine große Wahl. Blieb es zumindest um das Jahr 2000 nicht, dem letzten aus den trüben 1990er Jahren. Damals waren es die Lehrstellenbewerber, die sich zu Hunderten um eine Lehrstelle bewarben. Goldene Zeiten für gnadenlose Unternehmer, an williges Personal zu kommen.
Natürlich diskutiert Schning genau diese Frage, auch wenn er sie nicht explizit in den Mittelpunkt stellt. Auch mit den Implikationen, die man in den Fußgängerzonen der großen Städte sehen kann, wenn tapfere, illusionslose Punks dort die Leute um Geld anbetteln. Da sieht auch Schning nichts mehr vom einstigen Stolz des Punkdaseins. Und das lockt ihn tatsächlich nicht. Bei aller Aversion gegen geregelte Tätigkeiten, bei denen einem andere sagen, was man wann zu tun hat, und bei denen man sein Selbstbewusstsein lieber hinunterschluckt. Oder – wie dieser Schning – Tricks und Auswege sucht, sich der Bevormundung zu entziehen.
So gesehen ist seine Geschichte die Erzählung einer Verweigerung – mit allen Fragen, die daran hängen. Bis zu der, wie man dann zu den Brötchen auf dem Küchentisch kommen möchte, ohne wieder zum Fall fürs Jobcenter zu werden. Und als Verkäufer in einem Leipziger Späti hat er augenscheinlich einen guten Kompromiss gefunden, auch wenn er aus diesem Lebensabschnitt weitere Kamellen erzählen kann über die modere Arbeitswelt.
Denn es sind nicht nur diverse Arbeit-Geber, die mit ihrem Personal schikanös umgehen. Das beherrschen auch Kunden, die sich beim Einkauf im Späti um die Ecke benehmen wie die Wilden – und ihre Verachtung für den Burschen hinter der Kasse ausleben, bis die Tassen und Bockwürste fliegen.
Die Leerschwätzer bei Nacht
Spätestens da merkt man, wie erst gemeint diese Geschichte ist. Und dass es ganz und gar nicht um zertrümmerte Polizeiautos geht, wie auf der Titelkarikatur abgebildet. Es gibt zwar einige berühmte Maidemos, an denen Schning teilgenommen hat und von denen er erzählt. Aber zu den gewaltaffinen Autonomen, die auch gleich noch die eingesetzten Polizeikräfte angreifen, gehört er augenscheinlich nicht.
Womit man wieder bei der Auffächerung der vielen Spielarten des Linksseins wäre. Was einige jüngere Zeitgenossen ja nur zu gern mit nächtlichen Streifzügen mit Bierpulle in der Hand durch Leipzigs Straßen verwechseln. Oder den unüberhörbaren Schenkelklatschereien von Hipstern diverser Art, die glauben, mit dem lauten Geprahle in der Straßenbahn so eine Art linke Freiheit auszuleben. Oder einen alternativen Lebensstil. Oder was immer sie damit meinen, wenn sie ihre Plattitüden und Eitelkeiten so laut ausbreiten, dass nicht nur Schning kurz davor ist zu explodieren.
Was einen weiteren Aspekt ins Spiel bringt, den er im Kapitel „Logopädie“ skizziert, in dem eine Selbsthilfegruppe gezeigt wird, die versucht, ihre Sprechblasen loszuwerden, mit denen die Anwesenden versuchen, klug und gescheit zu wirken. All diese Füllwörter, die kaschieren, dass der Sprecher eigentlich dumm wie Stulle ist und gar nichts zu sagen hat – aber unbedingt gewichtig was reden will: „so allgemein“, „generell bildlich“, „also sozusagen“, „sozusagen irgendwie“. Da flippt nicht nur der innere Schning aus.
Ob es freilich nur eine ausgedachte Szene ist wie der schreckliche Albtraum, den Schning für das Jahr 2022 schildert, bleibt offen. Manchmal spielt sich unser Leben ja nun einmal in Wachträumen ab, in Geschichten, die sich ganz von allein weitererzählen, wenn man schon mal über einen eckigen Gedanken gestolpert ist.
Eine Gesellschaft des schönen Scheins
Was eben leider nicht heißt, dass es tatsächlich Heilungskurse für Schön-, Breit- und Dummschwätzer gibt. Denn die Kehrseite dieser Logorrhoe ist ja meistens, dass diese Leute von Kind auf gelernt haben, niemals konkret und greifbar zu sein. Die beste Voraussetzung, in einer Gesellschaft der Blender und Titelträger Karriere zu machen.
Noch so ein Grund, in einigen Teilen unserer Arbeitswelt lieber keine Frondienste verrichten zu wollen. Womit eben auch ein Aspekt sichtbar wird, der so gern ausgeblendet wird, wenn in Deutschland so selbstherrlich über „Sozialschmarotzer“ schwadroniert wird (auch so eine Art Logorrhoe): Dass manche Menschen sich einfach nicht so sehr verbiegen wollen, dass sie zu jeder Unaushaltbarkeit Ja und Amen sagen. Auch nicht zu Leuten, die einen mit Geschwätz und lautstarker Unwissenheit quälen.
Dass Andere das so bereitwillig erdulden – man sehe im Buch nur die armen Omis und Opis, die sich auf einer Kaffeefahrt so richtig behumsen lassen – ist durchaus auch eine gesellschaftliche Frage. Wie leichtgläubig sind die Menschen, wenn sie auf jedes schöne (Verkaufs-)Gerede hereinfallen? Oder lebt der ganze schöne Wohlstand gerade von dieser Leichtgläubigkeit? Dieser Bereitwilligkeit, auch noch die schillerndste Lüge für bare Münze zu nehmen?
Düstere Aussichten?
Natürlich taucht das nur anekdotisch auf. Als Sicht des fröhlichen (oder auch deprimierten) Punks auf eine Welt, welche durchaus befremdlich wirkt. Aber trotzdem ihre Macht ausübt – und wenn es über die Erziehungsversuche der deutschen Jobcenter ist.
Während die Behörden gleichzeitig regelrecht zahnlos wirken, wenn es um den um sich greifenden Neofaschismus in den deutschen Provinzen geht. Ein Thema, das man natürlich aus der Punk-Perspektive wesentlich deutlicher sieht als aus der Beschwichtigungsperspektive deutscher Wohnzimmermedien.
Am Ende malt Schning gar noch eine ganz finstere Dystopie. Denn wohin führt das eigentlich, wenn die rechtsradikale Geisteswelt wieder überall hervorsickert und sich Platz verschafft und der Osten tatsächlich zu scheitern droht, weil der unbewältigte Nazismus wieder nach die Macht greift und die Menschen verblödet?
Eine offene Frage, die natürlich ganz und gar nicht mehr anekdotisch ist. Aber vielleicht kann es nicht anders sein, wenn ein durchaus auch fantasiebegabter Bursche mitten im Leben versucht, seine Geschichte als Punk zu erzählen. Durchaus satirisch in vielen Kapiteln. Fine, die das Vorwort zum Buch schrieb, stellt eben nicht nur fest, dass einem das Lachen des Öfteren im Halse stecken bleibt, sondern auch, dass das „Leben vieler Menschen in Ostdeutschland nach der Wende“ in einem kleinen Einblick sichtbar wird.
Und damit eine Suche nach Orientierung, die nicht nur junge Leute mit eher linken Einstellungen umtrieb. Sie aber besonders, denn sie bekamen es massiv mit Aggression, Ablehnung und Gewalt zu tun. Sie waren die Gejagten in den Baseballschlägerjahren. Während die Mehrheit lieber das Vergessen wünschte und das Verschweigen all der versteckten und offenen Gewalt, die sich in den sächsischen und Thüringer Provinzen entlud. Freiraum für Schläger.
Aber nicht unbedingt ein guter Platz für junge Männer mit Iro und einer Aversion gegen stumpfsinnige Arbeit.
Schning „Lachen für Linke“, bookra Verlag, Leipzig 2023, 15 Euro.
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