Romy bringt Staubsauger zu Menschen. Zumindest sieht das, was in ihrem Kofferraum liegt, aus wie ein kleiner Staubsauger, während Romy im leisen E-Auto durch eine entfernte Zukunft düst. Sie bringt ihre Ladung, den „S A Z – Sicher abtreiben zuhause“ zu ungewollt schwangeren Paaren und wird von deren Kind an der Tür begrüßt. Sie holt die benutzten Modelle von drei Menschen ab, die sich gar nicht kennen, sondern nur zum Abtreiben verabredet haben.
Oder die S A Z werden Romy unbenutzt zurückgebracht, weil die Natur bereits ihr Übriges getan hat oder die Personen sich umentschieden haben. Das Leuchten in den Augen aus Vorfreude auf Kinder oder aus Erleichterung – Romy findet, es sieht ganz ähnlich aus.
Diese kleine Utopie von Yael Inokai, in der Abtreibung nur eine Frage der Form ist, steht am Anfang von „Glückwunsch – 15 Erzählungen über Abtreibungen“, einem Sammelband, herausgegeben von Charlotte Gneuss und Laura Weber. Er enthält Texte unter anderem von Theresia Enzensberger, Jayrôme C. Robinet oder Monika Helfer.
Die Geschichte setzt den Ton des eigentlichen Themas: Sie zeichnet die Möglichkeit von veränderten gesellschaftlichen und sozialen Umständen der Abtreibung. Das Thema ist deutlich weniger Tabu, es ist nicht mehr durchmedizinisiert und -beraten und vor allem selbstbestimmt. Deshalb ist diese erste Erzählung weder leicht noch unemotional. Sie zeigt auf, welche guten Wege möglich sind, wenn eine Gesellschaft anders mit dem Thema umgeht.
Verboten, aber straffrei
„Wir brauchen Erzählungen, die sich den differenzierten und facettenreichen Erfahrungen von ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen widmen, die Frauen millionenfach machen. Literarisch lässt sich versprachlichen, was im sozialen und privaten Raum unmöglich scheint, was politisch möglicherweise (noch) nicht erlaubt ist“, schreiben Charlotte Gneuss und Laura Weber im Vorwort.
Verboten, aber straffrei: Das ist das rechtliche Konstrukt, das momentan in Deutschland für Abtreibungen existiert. Abtreibungen sind bis zur 14. Schwangerschaftswoche erlaubt, wenn sich die Person, die abtreiben will, bei einer Ärztin vorgestellt hat und bei einer Beratungsstelle war.
Vor dem Wegfall des § 219a StGB, für den sich unter anderem die Ärztin Kristina Hänel starkgemacht hatte, war die sogenannte „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verboten: Deshalb konnte Aufklärung in der Öffentlichkeit nur von nicht-ärztlicher Seite betrieben werden, zum Beispiel durch gut informierte Shows (wie etwa die Show von Mai Thi Nguyen-Kim „MaiThink X“) oder politische Gruppen wie die Linksjugend.
Weltweit sterben laut WHO jährlich „39.000 Personen an der Behandlung illegal abtreibender Ärzt*innen, ‚Engelmacher:innen‘ oder bei dem Versuch, sich des Fötus eigenhändig zu entledigen“, heißt es im Vorwort. Sie bezeichnen das Gesetz in Deutschland als „unentschieden und verschämt“ und ebenso den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen, die abtreiben.
„Glückwunsch, Sie sind nicht mehr schwanger“
Aus dem Schweigen und der Scham heraus soll der Sammelband den Figuren Raum für ihre Geschichten geben. Da geht es um eine Frau, die Olga, Natascha, Irina oder Mascha heißen könnte und in der Sowjetunion in einer Klinik einen Schwangerschaftsabbruch machen möchte. Sowjetunion: Weltrekordhalterin mit vier Abtreibungen auf eine Geburt.
Es geht um ein Mädchen, das in einem streng christlichem, vielleicht schon sektenartigen Umfeld zu einer Frau heranwächst. Es geht um Maria, die keine „Engelmacherin“ ist, aber eine Möglichkeit findet, Abtreibungen zu Hause anzubieten, bis etwas schiefgeht. Es geht um eine Sklavin, die abtreibt, um fliehen zu können und um ihren Herren nicht noch weitere Arbeitskräfte zu liefern.
Und „Glückwunsch, sie sind nicht mehr schwanger“, sagt die Anästhesistin zu Charlie, ihre Freundin mit einem Kaffee in der Hand daneben, als sie aus der Narkose erwacht.
Charlotte Gneuss und Laura Weber (Hrsg.) „Glückwunsch“, Hanser Verlag, München 2023, 23 Euro.
Mit Texten von Theresia Enzensberger, Sophia Fritz, Charlotte Gneuß, Lena Gorelik, Annett Gröschner, Monika Helfer, Yael Inokai, Tilman Rammstedt, Raphaëlle Red, Jayrôme C. Robinet, Emilia Roig, Daniel Schreiber, Karosh Taha, Stefanie de Velasco und Katharina Volckmer.
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