Geschlagen, aber nicht verloren. So könnte man die Generation jener jungen Wilden nennen, die als Beat Generation in der Literatur ihre Spuren hinterlassen haben. Jack Kerouac, dessen Roman „On the Road“ 1957 erschien, ist der berühmteste aus dieser Truppe, die auch ihre Folgen für die (west-)deutsche Literatur hatte. Von denen Simon Sahner in diesem Essay-Band erzählt. Es geht um Widersprüche, Missverständnisse und Außenseiterrollen.

Und natürlich um die Rückblende in eine Zeit, die von vielen jungen Menschen damals als spießig, borniert und stockkonservativ empfunden wurde. Nicht nur in den USA. Der Krieg war gewonnen. Die Wirtschaft boomte. Doch über allem wucherte eine biedere bürgerliche Moral, die den jungen Leuten der Beat Generation das Gefühl gab, zu ersticken. Unbedingt ausbrechen zu müssen.

Was Jack Kerouac in „On the Road“ als Lebensgefühl mit dem wohl wirkmächtigsten amerikanischen Topos in Verbindung brachte: dem Unterwegssein auf endlosen Straßen, einfach aufzubrechen wie einst die Pioniere, westwärts, raus aus dem erstickenden Hier, nur weg, irgendwohin. Andere Leute treffen, andere Städte heimsuchen, die Grenzen suchen und drübergehen. Auch im Mentalen. Mit Alkohol oder Drogen.

Was dann der Dichter Allen Ginsberg mit seinem Langgedicht „Howl“ auch noch poetisch in Verse setzte. Die Sache mit den Drogen war dann bei William S. Burroughs zentrales Thema. Aber diese Leute faszinierten nicht nur durch ihr Exzesse. Sie suchten auch neue Wege, die starren Regeln der Literatur aufzubrechen, anders zu erzählen. Das Spontane, Gleichzeitige und Unreglementierte zu Text zu machen, sodass ihre Arbeiten selbst wie ein Rausch wirken.

Der Muff in D.

Und das hatte natürlich Wirkung auch im piefigen Adenauer-Deutschland, wo sich die braven Mitläufer des Nazi-Reiches jetzt als Gewinner des sogenannten Wirtschaftswunders feierten. Das eben gar kein Wunder war, sondern nur die Fortsetzung der alten Effizienz mit neuem Anstrich. Und einer ebenso muffigen Moral, die wie ein nasses Handtuch über dem Land lag.

Das vergessen all die Kritiker der ’68er so gern, dass es erst diese rebellische Jugend der 1960er Jahre war, die diese Stimmung aufbrach und den „Muff aus tausend Jahren“ entweichen ließ. Nicht ganz, wie wir wissen. Einige Talarträger haben den alten Muff ja freundlich bis in die Gegenwart bewahrt.

Sahner macht den Widerhall der amerikanischen Beatniks vor allem an drei deutschen Autoren fest: Carl Weissner, Jürgen Ploog und Jörg Fauser. Der Erstgenannte war noch dazu Übersetzer von Charles Bukowski, so dass sich hier auch die Übernahme der amerikanischen Undergroundliteratur verknüpft, für die Bukowski steht. Und während es Weissner quasi auch als Neuschöpfer des „deutschen Bukowski“ gelang, den Dichter binnen weniger Jahre zu einem Erfolgsautoren in Deutschland zu machen, hatten Ploog und Fauser anfangs ganz und gar nicht den Erfolg, den sie sich erhofft hatten.

Sie gründeten Magazine, schrieben wortgewaltig an gegen den etablierten Literaturbetrieb. Aber sie blieben trotzdem Außenseiter, veröffentlichten in kleinen Außenseiterverlagen. Kaum vorstellbar war damals, in den frühen 1970er Jahren, was für einen Hype es etwa um das Werk des 1987 mit 43 Jahren verstorbenen Jörg Fauser nach der Jahrtausendwende geben würde.

Jetzt gilt er fast als Klassiker.

Abgestürzt im Wirtschaftswunderland

Sahner forscht dieser Wirkungsgeschichte nach, beleuchtet die Szene, in der Fauser, Ploog und Weissner unterwegs waren, ihre enge Vernetzung mit der amerikanischen Beat-Szene. Als Literaturwissenschaftler nimmt er auch ihre Schreibtechniken unter die Lupe. Denn natürlich kann jede Literatengeneration das enfant terrible spielen. Das ist nicht mal neu. Die Literaturgeschichte ist voll davon. Aber am Ende steht die Frage: Was bleibt? Denn das Brechen der Regeln ergibt wenig Sinn, wenn am Ende nichts bleibt. Nicht mal das Gefühl, dass diese Literatur etwas Wichtiges erzählt über die Zeit und ihre Außenseiter.

Etwas scheint da zu sein. Bei Weissner mindestens seine bis heute prägenden Bukowski-Übersetzungen. Bei Fauser auch, dem heutige Kritiker durchaus attestieren, dass seine ungezähmte, brutale Schilderung der Welt der Außenseiter und Abgestürzten authentisch ist. Und dass er damit jene Wirklichkeit beschreibt, die bei den großen Autoren der Gruppe 47, die damals die deutsche Literatur dominierten, nicht vorkommt.

Es ist die schäbige Seite des Wirtschaftswunderlandes, das jenseits der persilweißen Werbung ihre Verlierer und Ausgestoßenen produzierte, die in der Welt der Kneipen, Bahnhöfe, Kioske und Bahnhofstraßen irgendwie vor sich hin lebten. Oder – wie auch Fauser zeitweise – nur noch damit beschäftigt waren, sich irgendwo den nächsten Schuss zu besorgen.

Dass der Versuch, eine deutsche Beat-Literatur zu erschaffen, eigentlich scheiterte, steckt schon im gewaltigen Unterschied zwischen den USA und dem kleinen, engen Germany. Sahner: „Der nordamerikanische Kontinent als Topografie und als Teil eines ideellen Konstrukts bildet die zentrale Grundlage für die Funktionsweise dieser Literatur“.

Die deutschen Leser von Kerouac und Ginsberg begegneten hier also ihrem eigenen Traum von den Weiten und „unbegrenzten Möglichkeiten“ der USA: „Der Reiz, den dieses Lebensgefühl für die jungen Leserinnen und Leser der Beatliteratur in der BRD ausmachte, ist der Reiz einer Differenz zur eigenen Kultur. Aufregend war Beatliteratur eben nicht zuletzt, weil sie einen way of life vermittelte, der weit entfernt war von der spießigen Gemütlichkeit der Wirtschaftswunderjahre in der westdeutschen Bundesrepublik.“

Alte Bilder einsamer Männlichkeit

Sahner erwähnt zwar, dass „On the Road“ auch noch 1978 als Lizenzausgabe in der DDR erschienen ist. Aber wie die dort veröffentlichten Texte der Beat Generation wirkten, analysiert er nicht. Das wäre ein eigenes Thema. Denn selbst gegen die als eng und überschaubar betrachtete Bundesrepublik war die DDR noch viel kleiner, enger und überschaubarer. Und die Sehnsucht nach dem großen Road-Trip noch viel größer.

Aber Sahner schaut auch mit den Augen des Bewohners der 2020er Jahre, der Texte auch daraufhin abklopft, welcher Zeitgeist in ihnen lebt, wer die Helden sind und welche Werte sie eigentlich vertreten. Denn für die amerikanischen Beat-Autoren gilt genauso wie für ihre deutschen Nachahmer: Es dominierten weiße Männer mit teils sehr vorgestrigen Vorstellungen von Männlichkeit. Die selbsterklärten Außenseiter waren seltsame Rebellen, die auch in der eigentlichen Rebellion dieser Zeit ihren Platz nicht fanden. Auch nicht haben wollten.

„In der Figur des Carl entwirft Fauser ein Bild von Männlichkeit, das in der Gesellschaft im Umbruch der Siebzigerjahre keinen Platz mehr findet“, schreibt Sahner. „Diese Form der Männlichkeit steht spätestens in dieser Zeit ökonomisch, kulturell und sozial im Abseits“. Und dann folgt ein sehr erhellender Satz: „Der Typus Mann, der hier beschrieben wird, wurde in der sich verändernden Gesellschaft zurückgelassen oder sah sich zumindest selbst in dieser Rolle.“

Das kann man auch im Präsens schreiben. Denn diesen Typ Männlichkeit hört man heute überall wüten, jammern, sich beschweren, dass er nicht (mehr) gehört wird. Dass er gegängelt und erzogen werden soll und er seine Vorstellung von rauer, ungezähmter Männlichkeit nicht mehr ausleben darf.

Der befremdliche Fauser-Hype

Dass hinter der Außenseiter-Rolle auch ein Element steckt, das anschlussfähig ist für ein geradezu toxisches Weltbild, macht Sahner auch am Fauser-Hype deutlich. „Es ist befremdlich, diese Begeisterung für eine Lebenswelt zu lesen, die alles andere als erstrebenswert erscheint“, schreibt Sahner.

„Das hier beschriebene Milieu entstand nicht zuletzt, als die Gesellschaft und ihr Wirtschafts- und Sozialsystem versagten und indem toxische Ideologien von Männlichkeit unreflektiert weitergetragen wurden“.

Doch die Faszination dieser selbstzerstörerischen und auch gewalttätigen Männlichkeit ist ja nicht verschwunden. Sie lebt in Filmen und Politik fort. In rechtsextremen Schriften wird sie geradezu verklärt und zum Bild des einsamen Wolfes stilisiert, der gegen eine Gesellschaft aufbegehrt, in der er scheinbar seinen angestammten Platz verloren hat.

Und da entpuppt sich die Beat-Literatur, die so gern nach Aussage ihrer Autoren unpolitisch sein wollte, als höchst politisch. Im Grunde fegt Sahner hier die Irrtümer der Autoren vom Tisch, auf die auch Rezensenten so gern hereinfallen. Literatur ist immer politisch. Bis in die Sprache ihrer Protagonisten hinein. Es kann gar nicht anders sein. Es reproduziert sich selbst in der Außenseiterliteratur, was in den Rollen- und Sprachbildern einer Gesellschaft lebendig ist. Gerade das wird angesprochen und als authentisch empfunden. Und nur zu oft sind auch Literaturkritiker nur zu bereit, den Stoff zu rühmen, auch wenn die unterschwelligen Botschaften ein Menschenbild kolportieren, das man in der Realität nicht akzeptieren und goutieren würde.

Lauter einsame Wölfe

So gesehen wird Beat-Literatur tatsächlich zu Flucht-Literatur – dem literarisch verdichteten Ausbruch aus einer als erstarrt empfundenen Gesellschaft und das Annehmen von Rollen, die sich radikal vom drögen Büromenschendasein, das die meisten Leser leben, unterscheidet. Da sind Bilder von „Freiheit“, wie sie bis weit ins konservative Milieu leben und in Deutschland ihren klassischen Topos mit der unbeschränkten Freiheit auf der Autobahn gefunden hat. Das darf man nicht übersehen, wenn man den Politikern zuschaut, die verbissen gegen jedes Tempolimit kämpfen.

Denn das berührt ihre alte On-the-Road-Mentalität, auch wenn sie nicht als Tramper am Highway stehen, sondern in ihrem klimatisierten Fahrzeug am Steuer sitzen und Gas geben wollen auf der Fahrt durch deutsche Landschaften, die so überhaupt nichts von den amerikanischen Überlandstraßen haben. Man ist ja immer gleich da, wenn man nicht gerade im nächsten Stau landet.

Hinter Mannheim kommt das nächste Nest. Man kommt ständig irgendwo an. Das Gefühl, wirklich unterwegs zu sein, ohne zu wissen, wo es einen hin verschlägt, baut sich gar nicht erst auf. Weshalb der Titel, den Sahner seinem Buch gegeben hat, ein wenig irreführt, denn es geht nicht um die Fußgänger. Höchstens um das Gefühl, dass man zu Fuß nicht allzu weit kommt. Man braucht schon die Straße und die Bewegung in ein unbegrenztes und noch unbeschriebenes Land, um sich wirklich „on the road“ zu fühlen. Und vielleicht auch die Angst loszuwerden, ohne die heimischen Sicherheitspolster vielleicht nicht überleben zu können.

Was ja die Rückseite des heutigen „Freiheits“-Denkens ist: Die Angst vor dem Draußen, außerhalb der Sicherungssysteme, die den Bewohner der Wohlstandswelt davor bewahren, schutzlos dem Leben preisgegeben zu sein.

Was ja eine sehr gute Erklärung dafür ist, warum die Beat-Literatur bis heute so fasziniert. Auch wenn die Angst der Wohlstandsbewohner vor dem völligen Herausfallen aus dieser Welt noch gewachsen ist. Was man etwa bei Volker Surmann in „Extremly Cold Water“ nachempfinden kann. Denn mit dem mehr oder weniger offiziellen Ende der Beat-Epoche war die Zeit der Aussteiger-Geschichten ganz und gar nicht vorbei.

Die Beatniks von heute

Da verblüfft es schon, dass Sahner nur den deutschen Sturm und Drang erwähnt, um die literarische Vorgeschichte der Beatniks wenigstens anzudeuten. Dabei ist der klassische Roman zum Thema ja Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. In dem er ja schon im Titel deutlich gemacht hat, wie die arrivierten Bürger von jeher auf die jungen Leute geschaut haben, die sich den geltenden bürgerlichen Normen nicht fügen wollten.

Aber der Verweis ist wichtig, denn ganz so insular, wie die mit wenigen Namen markierte Geschichte der Beat-Literatur zu sein schien, war sie nie. Mit Kerouac and friends gewann sie nur eine zusätzliche Dimension, die sie als Topos in den „american dream“ einfügte. Und mittlerweile selbst zur Utopie geworden ist. Wer den Habitus der Beatniks nachlebt, schlüpft in eine Rolle.

Der macht sich selbst zum Zitat einer Lebenswelt, die sich längst überlebt hat. Und so ist auch die Beat-Literatur mittlerweile in den Kanon aufgenommen worden, wie Sahner feststellt: „Die deutsche Beat- und Undergroundliteratur hat ihre Spuren in der Literaturlandschaft hinterlassen, als widerständige Literatur gegen etablierte Strukturen taugt sie jedoch nicht mehr. Allenfalls leistet sie noch Widerstand gegen den Fortschritt. Den literarischen Aufbruch bilden heute keine weißen Männer aus bürgerlichen Verhältnissen mehr, die sich gegen ihre Elterngeneration wenden.“

Harte Worte.

Aber wer sagt das den harten Jungs, die heute brav gekämmt in den Chefetagen sitzen und eine Tempobegrenzung für den Untergang aller Freiheit halten? Die Fauser-Gesamtausgabe im Regal und die Harley in der Garage, die sie am Wochenende raus holen, um sich mal wieder so richtig frei zu fühlen …

Simon Sahner „Gegen die Fußgängermentalität. Deutsche Beat- und Undergroundliteratur“, edition text + ktitik, München 2023, 24 Euro.

Tipp: Simon Sahner liest am Donnerstag, dem 27. April, um 16 Uhr auf der Leipziger Buchmesse, genauer auf der Leseinsel Junge Verlage, Halle 5, Stand C200.

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