Die Menschen sind meist viel freundlicher, die Landschaft ist angenehmer, das Essen schmackhafter, als man es sich meistens einbildet, wenn man zu viel deutsche Nachrichtenkanäle konsumiert hat. Man muss halt nur selber hinfahren. Neugierig auf die Welt hinterm Horizont. So wie einst im fernen Jahr 1912 Claire und Wolfgang. Die fuhren zwar mit dem Bummelzug nach Rheinsberg, und das ist eher Brandenburg. Aber so kann man auch nach Mecklenburg reisen.

Der Zug ruckte und ruckelte sich gemächlich durch Salatgärten, Hofmauern. Der Horizont flimmerte blendend weiß … War es eine Schönheit, diese Landschaft?“

Fragezeichen natürlich. Es steht ja nicht dran, was Landschaft ist und was nicht. Manches ist ja nur hingestellt, damit die Leute was zum Gucken haben. Manchmal ist es echt und hat auch früher ein Graf drin gewohnt, oder gar ein Thronanwärter oder eine Königin wie die preußische Königin Luise. Fährt man deshalb nach Mecklenburg?

Auch. Denn Schlösser und Schlösschen gibt es eine Menge, wie Torsten Kleinschmidt in diesem neuen Band aus der quadratischen Reihe des Buchverlags für die Frau erzählt, in der schon mehrere hübsche Landschaften ihr Plätzchen gefunden haben. Allesamt kulinarische Landschaften. Denn wer wirklich reist und was erleben will von der Welt, der kehrt auch ein in Gasthöfe und Cafés und lässt sich das Heimische und ganz Besondere servieren. Wenn man schon mal da ist.

In kulinarischen Landschaften

Der Harz wurde so schon lukullisch erobert, das Erzgebirge, Sachsen, Brandenburg und sogar Berlin. Jedes Buch eigentlich ein Reisebuch, das einem erzählt, wie schön es da ist, wo man noch nicht war. Und warum es sich lohnt, hinzufahren und sich dafür auch mal richtig Zeit zu nehmen. Und für Mecklenburg braucht man viel Zeit, wenn man nicht nur die üblichen Fotomotive mitnehmen will.

Denn Mecklenburgs gibt es sogar vier – rein landschaftlich betrachtet: die Ostseeküste mit Wismar, Rostock, Kühlungsborn usw., Mecklenburg-Schwerin mit Landeshauptstadt und Residenz Ludwigslust, dann noch die Mecklenburgische Schweiz mit atemberaubenden 100 Höhenmetern und Teterow, Demmin und Güstrow.

Aha, sagt da der Wolfgang. – Packst du die Koffer, fragt Claire.

Und die Kletterausrüstung wird auch eingepackt. Man kann ja nie wissen. Oder man biegt falsch ab und landet in der Mecklenburgischen Seenplatte gleich nebenan. Wo sich schon Hans Fallada so freudig über die schöne Abwechslung äußerte: Wasser, Wälder, Wasser, Wälder, Wasser, Wälder usf.

Zumindest ist man da mal ein bisschen heraus aus der Bärbeißigkeit der großen und halbgroßen Städte. Und der Blutdruck darf mal wieder sinken. Kleinschmidt erzählt jedenfalls alles Wichtige, was man über die Geschichte dieses Landstrichs wissen sollte, mit ihren 1.200 Jahre alten Eichen und dem Bismarck-Gefühl, das vielleicht ein bisschen trügt – dass hier alle Dinge immer 100 Jahre später passieren als anderswo.

Was auch egal ist. Denn viele Dinge, die andere Leute anderswo anstellen, passieren am besten gar nicht. Die Leute da eher so im Süden nehmen sich eh viel zu wichtig. Auch die noch weiter im Süden. Vielleicht, weil sie neidisch sind auf die lichten Wälder, die Seen, die Meeresküste, die sie nicht haben.

Und dieses Gefühl, man könnte hier aussteigen und die Uhren tatsächlich mal für eine Weile vergessen. „Für mich ist das Land ein Schlaraffenland der besonderen Möglichkeiten, mit seiner vielfältigen Landschaft, seiner ursprünglichen Küche, seiner Kultur, seinen Menschen“, schreibt Kleinschmidt.

Apropos Küche

Warum die Küche so ursprünglich ist, erzählt er auch. Denn so entstehen ja Landesküchen: aus den Zutaten, die einem vor der Nase wachsen oder aus dem See gefischt werden können. Früher wären die Leute gar nicht auf die Idee gekommen, dass man seine Erdbeeren aus Spanien und die Kartoffeln aus Ägypten importieren könnte.

Das wächst doch alles im Garten hinterm Haus. Sogar Wein wächst wieder in Mecklenburg. Bei Burg Stargard. Wo es jetzt überall wärmer wird, gedeihen die Reben auch wieder in Mecklenburg.

Dass Himmel und Erde in Mecklenburg zu Hause sind, muss niemand extra erklären: Äpfel und Erdäpfel in einem Gericht. Was Labskaus ist, erfährt der Leser genauso wie die Vorliebe der Mecklenburger für süßsaure Gerichte. Das ist also ganz und gar keine Erfindung, die extra aus Asien importiert werden musste.

Genauso wenig, wie man vitaminreiche Früchte einführen muss. Dem widmet Kleinschmidt extra ein kleines Kapitel – ein bisschen kämpferisch. Aber manchmal muss das sein. Das Wertvolle wächst uns oft direkt vor der Nase – so wie Sanddorn und Hagebutten. Auch sie werden gewürdigt.

Man erfährt, dass ein Backfischbrötchen nicht unbedingt etwas mit frühreifen Mädchen zu tun haben muss. Aber kann, dann nämlich, wenn man es mit ihnen gemeinsam genießt und ihm gleich den Titel aller Titel gibt: „So schön ist Mecklenburg“. Wenn man ein Backfischchen dabei hat, darf man gleich doppelt strahlen. Über beide Wangen. Man sollte sowieso nie allein losfahren, das haben Claire und Wolfgang ja vorgemacht.

Walters Humor

Dass der Schwedeneisbecher wohl nichts mit den schwedischen Besatzern zu tun hat, die lange einen guten Teil dieses hübschen Küstenstrichs beherrschten, erwähnt Kleinschmidt auch. Die Legende, dass Walter Ulbricht höchstselbst diesen Namen erfand, scheint zu stimmen. Also eine (Ost-)Berliner Erfindung, obgleich man den Schwedeneisbecher auch in mecklenburgischen Eiscafés bekommt.

Man erfährt, warum das schönste Schloss Mecklenburgs größtenteils aus Pappmaché gemacht wurde und warum die Schokoküsse aus Grabow einen Zipfel haben und tatsächlich etwas mit Küssen zu tun haben.

Wo ist Claire? Immer, wenn man sie mal braucht …

Man erfährt auch, dass man aus Graupen, Wruken, Kürbissen, Birnen, Bohnen und Speck tatsächlich lauter leckere Sachen zubereiten kann. Dass das Arme-Leute-Küche ist, können nur Leute sagen, welche die arbeitende Bevölkerung verächtlich durchs Monokel anschauen. Und das Gesinde kochen lassen. Also jene Humorlosen, die gern ihre Witze über andere Leute reißen und sich vorkommen wie eine Extraauslese.

Die werden weder den Humor von Fritz Reuter goutieren, noch den Stolz der Teterower auf ihren Ruf, das mecklenburgische Schilda zu sein.

Eine Geschichte, die Torsten Kleinschmidt hübsch eingebettet hat in ein Rezept für „Kohlroulade für Faule“ und eins für „Hähnchenleber mit Schmorzwiebeln“. Obwohl es eigentlich um einen Hecht geht – aber halt einen abhanden gekommenen.

Landschaft zum Reinbeißen

Und wo er das Gesunde und Vitaminreiche an der mecklenburgischen Landschaft schon erwähnt hat, hat Kleinschmidt auch ein ganzes Kapitel „Essbare Landschaften“ geschrieben. Bevor er seine Leserinnen und Leser einlädt, den Picknick-Korb zu packen und sich im Grünen zu tummeln. Denn draußen bei Sonnenschein und sonst noch schönem Wetter mahlzeitet es sich am schönsten. Und schmeckt es besser.

Du, Wolfgang? – Ja, Clairchen? – Wo sind die ganzen Speckpflaumen abgeblieben, die ich so liebevoll bereitet habe? – Nun ja, willst du nicht lieber die gefüllten Eierkuchen? – Ich will wissen, wo die Speckpflaumen geblieben sind. Du guckst so schuldbewusst! – Ich? Nie im Leben.

Packen Sie also genug in den Korb, bevor Sie sich in dieser Landschaft tummeln und am Abend, wenn die Füße rauchen, nach einem Eiergrog Ausschau halten. Oder einen Rotspon aus dem Stargarder Land.

Noch ein Glässchen, Claire? -– Aber nein, Wolfi. Ich bin dir gram. – Aber warum nur? – Wegen der Speckpflaumen. Ich habe sie mit so viel Liebe … – Ich weiß, Claire. So haben sie auch geschmeckt.

Aber hören wir lieber weg. Man lauscht nicht, wenn andere Leute turteln. Aber Mecklenburg ist ein Tipp, wenn es unsereins raustreibt aus dieser zänkischen, griesgrämigen Stadt. In eine Gegend, wo man „neumodischen Kram“ lieber links liegen ließ. Und sich lieber um Rüben und Kohl kümmerte. Und ein schönes, kühles Bier. Eine Zeitreise verspricht Kleinschmidt.

Auch das ist möglich in diesem seltsamen Deutschland, in dem man meist nur denkt, es bestünde aus lauter Autobahnen.

Torsten Kleinschmidt „Die besten Rezepte aus Mecklenburg“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 12,95 Euro.

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