Kinder merken das zwar, dass andere Menschen anders sind. Aber warum das so ist, erklärt ihnen in der Regel niemand. Und da geht es noch lange nicht um das, was sich dann bei einigen Erwachsenen als Rassismus manifestiert. Obwohl der ja die direkte Folge dieses Nicht-Redens über Unterschiede ist. Denn wer das Anderssein nicht als Bereicherung empfindet, der steckt dann für gewöhnlich dauerhaft in seinen Vorurteilen fest. Aber wo beginnen die Unterschiede?

Natürlich schon ganz früh. Sie gehören zum Rätseln über die Welt, in der man da als Kind gelandet ist und die man ja irgendwie begreifen muss. Das Vergleichen beginnt früh. Und natürlich ist es ein besonderer Spaß, wenn Annie Barrows in diesem aus dem Englischen übersetzten Buch den kleinen Jungen sich erst mit einer Tomatendose und dann auch noch mit einem Schwimmbecken vergleichen lässt. Ähnlichkeiten gibt es ja schon. Aber natürlich ist kein Kind wie eine Tomatendose.

Sei kein Pilz!

Gewidmet haben Barrows und der Illustrator Leo Espinosa das Buch allen, „die sich schon mal gefragt haben, ob da noch so jemand ist wie sie“. Denn die Verwirrungen fangen ja nicht bei der Tomatendose an oder beim Pilz, der im Wald wächst, der aber nicht wegrennen kann und auch nichts zu sagen hat. Pilze „haben keinen Mund. Sie haben auch keinen Grips.“ Bild für Bild nähert sich die Geschichte Lebewesen, die uns natürlich deutlich näher stehen, auch wenn man manche – wie die Hyäne – am besten nicht am Sonntag in die Wohnung lässt. Selbst, wenn sie zu ihren Hyänenkindern sehr nett ist. Was eben nicht bedeutet, dass sie es auch zum kleinen Bruder sein muss.

Schon das ja ein durchaus wichtiges Kapitel beim Lernen: Nicht alles, was da draußen herumläuft und ein knuddeliges Fell hat, ist auch zum Knuddeln da. Oft ist es wirklich gefährlich. Man tut also ganz gut daran, lieber vorsichtig und misstrauisch zu sein.

Was dann auf die eigentlich spannende Frage hinführt: Wie ist das eigentlich mit den anderen Kindern in der Klasse? Die man ja als sensibles Kind auch erst einmal als fremd erlebt. Sehr fremd. Viele erleben ja in der Schule zum ersten Mal, dass man sich dort auch selbst als fremd erlebt – auf einmal von anderen beobachtet, vom Lehrer aufgerufen und auf einmal bis zu beiden Ohren von lauter Scham gepackt. Denn da ist man tatsächlich selbst gemeint. Und steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Die Blicke der anderen Kinder sind wie Spiegel. Aber was lesen wir da hinein? Wie sehen wir uns selbst?

Das Bild von sich und von Anderen

Das Buch führt mit seinen großen bunten Bildern langsam hin auf dieses kleine Ur-Problem des Selbstbildes, das wir in uns tragen. Und mit dem viele von uns nicht wirklich gut zurechtkommen. Was dann im Leben zu jeder Menge komischer Probleme führt. Nicht nur zu Minderwertigkeitskomplexen, sondern auch zu Missverständnissen, weil so mancher von uns eben tatsächlich ein ziemlich zerbeultes Selbstbild hat. Vollgepackt mit lauter Emotionen und Ängsten, die sich dann auch im Bild von all den anderen reproduziert. Denn das kaputte Bild, das man von sich hat, bestimmt ja auch die Sicht auf die anderen.

Das Buch endet mit einem ganz großen Bild von lauter Leuten, die „nicht genau wie wir“ sind. „Aber sie sind viel mehr wie du, als dass sie anders sind.“

Was es ja bekanntlich nicht einfacher macht. Auch wenn man diesen freundlichen Blick auf die anderen Menschen natürlich übernehmen kann. Die Autorin kommt dann zwar wieder auf den Pilz zurück. Aber letztlich geht es ja nicht um den Pilz, sondern eher darum, sich selbst nicht wie ein Pilz zu fühlen und zu benehmen. Und es auszuhalten, dass andere Menschen im Grunde ganz ähnliche Gefühle und Gedanken haben, mal sehr vertraut sind, mal sehr fremd. Aber letztlich auch in derselben Lage sind, sich selbst zu behaupten unter anderen Menschen. Und all die kleinen Unterschiede als Bereicherung zu sehen.

Was man aber erst kann, wenn man aus seiner Außenseiterrolle herauskommt. Das ist die Einladung dieses Buches, wenn Annie Barrows schreibt: „Ich bin mehr wie du als wie die meisten Dinge auf der Welt. Da bin ich aber froh.“

Wenn man das sehen kann, kann man Barrieren niederreißen und Abstände überwinden. Und auch die Scheu vor den anderen Menschenkindern, die alle irgendwie ein bisschen anders sind. So ein klein bisschen, wie alle Menschen anders sind. Aber wenn alle gleich wären, wäre das natürlich schrecklich langweilig. Spannend wird es ja erst, weil man bei Menschenkindern immer mit Überraschungen rechnen kann. Meistens richtig aufregenden, schönen und unerwarteten. Vielleicht nicht mal ahnend, dass sie dabei auch nur wieder auf einen selbst reagieren. Das kleine schüchterne Bisschen aus der letzten Reihe, das so schnell rot wird, wenn es angesprochen wird.

Bin tatsächlich ich gemeint? Das ist ja die Frage, die in dieser ganzen Geschichte steckt. Eine Frage, die sich ein Pilz oder eine Tomatendose niemals stellen würden.

Annie Barrows, Leo Espinosa „Zum Glück bist du kein Pilz!“, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2023, 16 Euro.

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