„Der Trend der Autofiktion hält an, kulminiert gar in diesem Buch, das von nichts anderem zu erzählen weiß, als von der Alltagswelt einer jungen Frau, die sehr leicht mit der Autorin verwechselt werden kann. Man folgt ihr auf Dates, beobachtet sie beim Scheitern einer Liebe, muss sich fremdschämen, für all ihre Peinlichkeiten und Dummheiten“, schreibt Marlen Hobrack selbst auf Seite 233.
Zwischen Gängen zum Jobcenter, einer Psychoanalyse und einer Chat-Romanze, schlägt Hanno, irgendein wichtiger Mensch hinter den Kulissen des Literaturbetriebs, der Dresdner Protagonistin Mara vor, sie als Autorin groß zu machen – als Fake-Autorin eines Buchs, das eigentlich ein alter weißer Mann geschrieben hat.
Sonst verbringt Mara ihre Tage damit, trotz Depression, Arbeitslosigkeit und unglaublich viel Einsamkeit zu existieren, im Bett an die Decke zu starren, ihre Mutter oder ihre Freund/-innen zu besuchen oder mit dem Versuch, auf Instagram Influencerin zu werden. @schroedingers_grrrl heißt sie dort und ist gleichzeitig Lüge und Realität.
„Dieser Roman ist ein Wohlfühlroman, denn so hart auch das Schicksal, die Existenz dieser jungen Frau sein mag, literarisch darf sich der Leser gut eingehegt fühlen, denken und fühlen jedenfalls muss er nicht, die Erzählstimme nimmt es ihm ab.“
Alles nur Fake?
So dachte ich es am Anfang zumindest. Die Erzählstimme schwankt zwischen einer Erzählung im „ich“ und im „sie“, immer auf Mara fixiert. Trotzdem komme ich Mara nicht näher. Ihre Gefühle werden an der Oberfläche gezeigt. Viel mehr beschäftigt sie sich damit, was sie über andere Menschen denkt. Das fängt bei den Menschen im Bus an, geht über ihre Chat-Liebe Paul bis hin zu sich selbst: Menschen werden in diesem Buch als wandelnde Klischees betrachtet.
Auch die Handlung ist sehr vorhersehbar. Trotzdem las ich das Buch gerne und in kurzer Zeit, weil mich die Sprache flüssig und umstandslos immer weiter trug. Und ja, natürlich auch, weil es schön ist, eine Handlung voller Klischees zu lesen, mit denen mensch sich identifizieren kann, die aber gesellschaftlich abgewertet sind und die trotzdem durch das ganze Buch durchgezogen werden.
Zum Beispiel das Rumliegen, das Aufmerksamkeit-auf-Social-Media-Suchen, das Die-Katze-Vernachlässigen, das Schöner-Und-Dünner-Sein-Wollen. Das Ganze mit einem Sexismus, Klassismus und richtig anstrengenden Männern, was manchmal kaum auszuhalten ist, und ohne explizite Kapitalismus- oder System-Kritik. Es ist keine Heldinnen-Geschichte, in der Antidepressiva oder die persönliche Revolution eine Lösung sind.
Macht das Buch das mit Absicht?
Irgendwann kam ich allerdings nicht mehr mit. Ich verstand Maras Handlungen nicht. Kleine Ansätze von Zweifel und Stolpern, die ich an Maras Welt von Anfang an hatte, wuchsen sich zu großem Unverständnis aus.
Zuerst fand ich es in Ordnung, dass mir die Dialoge nicht realistisch erschienen, denn dadurch wurde mein Abstand zu Mara und dieser Welt, in der alles ein bisschen wie in einer Klischee-Serie ist, aufrechterhalten. Das Buch treibt Klischees und Unechtheit so sehr auf die Spitze und lässt sich nicht davon abbringen. Es brachte mich dazu, meinen eigenen Blick auf die Klischees zu hinterfragen, wenn sie so ernsthaft über mehr als 200 Seiten durchgezogen wurden.
Schließlich jedoch verstand ich gar nicht mehr, warum Mara sich in die Liebe zu Paul so sehr hineinstürzt. Ich verstand die Geschichte mit dem Fake-Buch im Buch nicht, denn sie war kaum noch Thema. Ich verstand es nicht als Stärke des Buches, viele Themen gleichrangig zu vereinen. Ich hatte das Gefühl, dass Themen an Tiefe verlieren und an Spannung, die sie haben können – und gleichzeitig die Frage: Will das Buch denn nur an der Oberfläche kratzen? Geht es nicht um genau das? Versteht nicht auch Mara im Buch die Mara vom Buch im Buch selbst nicht?
Oft nahm ich dem Buch seine eigene Welt nicht ab. Die Geschichte mit dem Fake-Buch wurde zu absurd. Außerdem ist es ein Märchen, dass niemand mehr das Gelaber der „alten vertrockneten Säcke“ (vgl. S. 133) lesen möchte und dass junge weiße Frauen deutlich erfolgreicher seien. Ich glaubte nicht mehr, dass die Figuren wirklich nie aus ihren Klischee-Rollen herausfallen, dass sie ernsthaft diese Rollen sind.
Mich verwirrten die Wechsel zwischen erster und dritter Person und auch selten die Wechsel zwischen den Perspektiven – sie erzählten mir nur, was ich schon wusste. Trotzdem las ich das Buch gerne, ich weiß nicht genau warum. Ich denke, es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks und davon, wie weit der/die Leser/-in bereit ist, die eigenen Vorstellungen und Wünsche an ein Buch zu hinterfragen.
Um welche Welt geht es?
Und da kommen wir zurück zur Autofiktion: Das ist dieses Buch natürlich in keinem Fall. Aber ebenso, wie Maras Name auf dem Cover eines Buchs landet, das sie nicht geschrieben hat, fragte ich mich immer wieder, woher das Buch kommt, das ich in den Händen halte. Parallelen in der Handlung der beiden Bücher, Buchkritiken an dem Buch im Buch, die genauso gut als Reflexionen auf „Schrödingers Grrrl“ und die außerbuchliche Welt verstanden werden können.
Das Gefühl, dass das Buch meine Gedanken vorhergesehen hat und genau damit spielt, meine Wünsche nicht zu bedienen, verstrickten mich immer mehr zwischen meiner Welt, der Literaturbetrieb-Welt und der Buch-Welt.
Dazu kommt: Wer @schroedingers_grrrl auf Instagram sucht, findet Maras Account, von Marlen Hobrack gemacht. Schließlich hatte ich so viel Spaß an den Verschachtelungen der Realitäten, dass ich einige der Absätze in dieser Rezension einfach aus „Schrödingers Grrrl“ geklaut habe.
Marlen Hobrack „Schrödingers Grrrl“, Verbrecher Verlag, Berlin 2023, 24 Euro.
Keine Kommentare bisher