Zuletzt war das Schloss Hubertusburg 2013 noch einmal groß in den Schlagzeilen. Damals wurde der Hubertusburger Frieden von 1763 auch mit einer Ausstellung in sechs Räumen der riesigen Schlossanlage bei Wermsdorf thematisiert, für die auch die aktuelle sächsische Regierung nach neuen Nutzungen sucht. Denn eine solche riesige Herbstresidenz kann auch ganz schön Kopfzerbrechen bereiten.
Was das Landesamt für Denkmalpflege hier als „Arbeitsheft 30“ vorgelegt hat, hat natürlich mit einem handlichen Heft nichts mehr zu tun. Es sind zwei opulente, reich bebilderte Bände, die praktisch alles versammeln, was man in sächsischen Archiven zum Schlossbau bis 1880 finden kann. Schon das ein ungemein reiches Material, das besonders die beiden wichtigsten Bauetappen unter Johann Christoph Naumann 1721–1732 und Johann Christoph Knöffel 1733–1752 sichtbar macht.
In einer kleinen Auswahl gibt es dazu auch noch Planzeichnungen aus der Zeit nach 1880, die sich in einem Planschrank des Krankenhauses Hubertusburg befunden haben. Dieses Material freilich hätte diese beiden Bänden völlig gesprengt.
Denn auch in dieser Zeit wurde die riesige Schlossanlage immer wieder angepasst und umgebaut – wurden als Strafanstalt genutzt, als Lazarett, Landeshospital, Unterbringung für weibliche Geisteskranke, Kommandantur und Fachkrankenhaus. Manche Regierung war froh, dass es diesen riesigen Schlosskomplex gab. Aber für August III., der 1733 August dem Starken auf dem sächsischen und dann auch auf dem polnischen Thron folgte, war das Kapitel Hubertusburg zutiefst tragisch. Wenn man das so aus Sicht eines simplen steuerzahlenden Bürgers sagen kann.
Was die Leipziger nicht wollten …
Denn natürlich verbauten erst August der Starke ab 1721 und dann auch sein Sohn August III. in Wermsdorf gewaltigen Summen an Steuergeldern. Die Summen fehlen leider im Buch. Da muss sich vielleicht noch ein richtiger Finanzfachmann dransetzen, um das einmal alles zusammenzutragen und damit auch sichtbar zu machen, wohin die sauer verdienten Groschen der Sachsen damals eigentlich flossen. Nicht nur nach Dresden. Auch Hubertusburg erzählt vom Repräsentationsbedürfnis der beiden sächsisch-polnischen Könige.
Die eigentlich in Wermsdorf schon ein Jagdschloss aus der Renaissance-Zeit besaßen. Das übrigens spätere sächsische Könige wieder nutzten, wenn sie zur Jagd in die Dübener Heide aufbrachen. Insbesondere für König Albert spielte Schloss Wermsdorf dabei eine zentrale Rolle, wie Jens Kunze in seinem Buch zu erzählen weiß.
Aber die Dimensionen von Hubertusburg versteht man erst, wenn man in den im ersten Band versammelten Essays erfährt, dass das von Naumann und Knöffel geschaffene Bauensemble eben auch die vollen Funktionen einer Herbstresidenz erfüllen musste. Und übrigens ein Schloss ersetzte, das August der Starke nicht gebaut bekam – nämlich das im Leipziger Rosental geplante Schloss, gegen das sich die Leipziger mit allen Tricks wehrten. Erstaunlicherweise mit Erfolg. Sodass August der Starke in Leipzig weiterhin „nur“ im Königshaus am Markt logieren konnte und seinen ganzen Hofstaat nicht mitbringen konnte zu den Messen, die er regelmäßig besuchte.
Ein rachsüchtiger Preußenkönig
Was dann den Weg öffnete zum Bau einer Residenz quasi auf halber Strecke zwischen Dresden und Leipzig, in die jeden Herbst tatsächlich der gesamte Hofstaat umzog – um die 800 Personen, die in dem Schlosskomplex untergebracht werden mussten, weshalb es auch große Stallanlagen für Pferde und Hunde gab, Kasernen für die Wachmannschaft, Küchen, eine Hof-Konditorei und eine Hofkellerei.
Letztere auch lokalisierbar. Denn natürlich lag ein Fokus der Autorinnen und Autoren für den Essay-Band darauf, im heute noch existierenden Bauensemble auch die ursprünglichen Nutzungen aus jener kurzen Zeit zu lokalisieren, in der das Schloss tatsächlich seine Rolle als Residenz erfüllte. Und das waren tatsächlich nur die wenigen Jahre bis 1761, als Friedrich II. von Preußen den Befehl gab, das Schloss zu plündern.
Ein regelrechter Racheakt, der selbst nach damaligen feudalen Sitten nicht üblich war. Schon gar nicht, wenn einer wie Friedrich II. den Krieg gegen Sachsen und seine Alliierten eigentlich schon gewonnen hatte. Es ist eine Geschichte voller Anekdoten, denn den Frieden wollte Friedrich seinen Gegnern eigentlich in Leipzig diktieren. Da aber gab es 1763 nicht genug Platz für die anwesenden Stäbe und Hofgesellschaften. Also musste man ausweichen – ausgerechnet in das geplünderte Hubertusburg. Da war zwar genug Platz – aber die reiche Innenausstattung hatte Friedrich ausräumen und versteigern lassen.
Allein die reiche Bildersammlung, die August III. in der Gemäldegalerie in Schloss Hubertusburg versammelt hatte, ist einen eigenen – reich bebilderten – Essay wert. Denn die Forscher wollen natürlich wissen, was aus den 210 Gemälden eigentlich geworden ist und wo sie möglicherweise heute hängen. August III. hätte zwar alles zurückkaufen können. Aber das war dann wohl eine der üblichen Gesten von Friedrich II., dem geschlagenen sächsischen Kurfürsten auch noch durch das ganz und gar nicht großzügige Rückkaufangebot Geld abzupressen, nachdem er vorher insbesondere Leipzig nach Strich und Faden ausgenommen hatte.
Ein preußischer Generalmajor sagt: Nicht mit mir …
So landeten die meisten Gemälde auf holländischen Auktionen und zerstreuten sich in alle Welt. Die wahrscheinlich schönsten vier Gemälde kaufte die russische Zarin. Doch auf der Überfahrt über die Ostsee sank das Schiff. Die Bilder: verschollen für immer.
Nur einer beteiligte sich nicht an dieser Plünderung: der preußische Generalmajor Johann Friedrich Adolf von der Marwitz, der es gegen seine militärische Ehre sah, sich derart zu betätigen. Er riskierte damit letztlich auch seine Karriere, wird dafür aber nicht nur in diesem Buch ehrenvoll erwähnt.
In seiner kurzen Biografie wird auch der Grund genannt, warum Friedrich das Schloss Hubertusburg zur Plünderung freigab: „Marwitz bekam das Schloss von König Friedrich II. geschenkt, mit dem Auftrag, es gründlich zu plündern (dies sollte die Rache des Königs für die Plünderung des Schlosses Charlottenburg im Jahre 1760 durch Russen, Österreicher und Sachsen sein, bei der der König seine schöne Antikensammlung verlor).
Auf die Aufforderung des Königs, das wertvolle Mobiliar wegzuschaffen, antwortete Marwitz, ‚es würde sich allenfalls für den Offizier eines Freibataillons schicken, nicht aber für einen Kommandeur Seiner Majestät Gensdarmes‘ und ersuchte um Abschied aus der Armee. Friedrich schenkte das Schloss seinem Adjutanten Quintus Icilius, der es ausplünderte und verkaufte. Später gewann Marwitz den größten Teil der schönen Büchersammlung aus Hubertusburg dem Quintus Icilius in einem Kartenspiel ab.“
Dass Friedrich II. Marwitz das Schloss geschenkt hätte, entspringt dann aber wohl eher der Fantasie des Wikipedia-Artikel-Autors.
Einzig erhalten blieb erstaunlicherweise die Kapelle des Schlosses, die heute praktisch als einziger Raum an die damalige Pracht der Residenz erinnert. Ihr ist natürlich ein genauso profunder Essay gewidmet wie den historischen Gartengestaltungen und jener Aktion im Sommer 2019, als auch Marwirtz noch einmal gewürdigt wurde.
Inzwischen wurden die diversen Gärten auch archäologisch untersucht, denn natürlich veränderten sich auch hier die Nutzungen im Lauf der Jahrhunderte. Und besonders intensiv untersucht Tim Tepper in „Wandel und Spuren“ natürlich die Baugeschichte des Schlosses und das, was heute davon noch zu finden ist. Was ja dann die Frage einschließt, was aus dieser gewaltigen Schlossanlage eigentlich einmal werden soll. Ein Teil des Gebäudes wird inzwischen vom Sächsischen Staatsarchiv genutzt, das sich für 26,4 Millionen Euro das Archivzentrum Hubertusburg hat herrichten lassen.
Die mittlerweile vier Ausstellungen aber haben auch gezeigt, dass Hubertusburg durchaus auch Potenzial für landesweit ausstrahlende Ausstellungen besitzt.
Ein Schloss sucht seinen Inhalt
Aber gleichzeitig machen die Essays natürlich auch sichtbar, warum das Schloss immer wieder auch aus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gleitet, anders als die aufwendig wieder hergerichteten Schlösser in und um Dresden, die stets im Zentrum der touristischen Werbung stehen. Denn mit der Plünderung 1761 brach die Residenzgeschichte des Schlosses abrupt ab. Die Nachfolger von August III., der 1763 starb, dachten nicht einmal daran, das Schloss wieder als Residenz herzurichten. Sie suchten eher nach anderen Nutzungen wie der als Magazin und Militärlazarett, auch wenn sie die Anlage nie dem Verfall preisgaben.
Im Grunde ist die Geschichte von Hubertusburg die Geschichte eines Schlosses, das über 250 Jahre schon nach seiner Rolle in der Wirklichkeit sucht. Zahlreiche Fotos im Buch zeigen auch den heute immer noch anheimelnden Eindruck der Räume im Schloss. Es sind Fotos, die auch unter dem Label „lost places“ stehen könnten. Nur dass dieser Ort nicht verloren ist und gerade dieser beiden Bände davon erzählen, wie akribisch die Bau- und Umbaugeschichte des Schlosses heute erforscht wird. Die beiden Bände dürften ja nicht nur Denkmalpfleger interessieren, die sich für das Schaffen der barocken Baumeister Naumann und Knöffel begeistern.
Und ist schon der erste Band reich mit Bildern bestückt – besonders umfassend die Rekonstruktion der Gemäldesammlung August III. – , so bietet der zweite Band als Katalog im Grunde sämtliche überlieferten Grundrisse und Architekturzeichnungen, die den Bau des Schlosses begleiteten und in den folgenden Jahrhunderten immer dann entstanden, wenn umgebaut wurde oder auch ein Kanalsystem und Wasserleitungen entstanden.
Man ahnt die Konturen des Opernhauses, das sich August III. in Hubertusburg bauen ließ, die Arbeit der Hofgärtnerei und das Ringen um eine barocke Parkanlage, die in dieser Form ebenfalls mit Versailles konkurriert hätte.
Im Essay zur Hof-Konditorei bekommt man einen kleinen Eindruck von der Prachtentfaltung an der kurfürstlich-königlichen Tafel. Aber wie man weiß, war es ja mit der sächsischen Herrlichkeit nach dem Siebenjährigen Krieg, der mit dem Hubertusburger Frieden beendet wurde, vorbei. Die nächsten Jahrzehnte hieß es in Sachsen Sparen und Konsolidieren.
Wozu dann auch gehörte, einigen bedürftigen Untertanen im leeren Schloss eine preiswerte Unterkunft zu geben. Was dann auch noch eine Persönlichkeit ins Bild kommen lässt, die man im Schloss eher nicht erwartet hätte: den Orgelbauer Johann George Friedlieb Zöllner, der in Hubertusburg wohnte und einige der eindrucksvollsten sächsischen Orgeln schuf.
Wer feuert die Öfen? Wer deckt die Tafel?
Man träumt ja manchmal davon, selbst in einem Schloss zu wohnen. Aber der Aufwand, der dazu gehörte, der wird in einigen Essays zumindest skizziert. Denn ohne hunderte dienstbarer Geister, die die vielen Öfen befeuerten, die Wäsche wuschen, das Essen zubereiteten, den Wein heranfuhren, das Brot buken und für die Hygiene sorgen, hätte das alles nicht funktioniert. Ganze Trakte waren ja nur für diese emsig beschäftigte Dienerschaft vorgesehen. Von den Ställen und Funktionsgebäuden außerhalb des Schlosses ganz abgesehen.
Zumindest angedeutet wird, wie eng die verschiedenen Wirtschaftsabteilungen des sächsischen Hofes ineinander griffen und wie akribisch die riesigen Transporte nach Wermsdorf organisiert waren, damit alles bereitstand, wenn der König mit seiner Entourage eintraf und sich auf ein paar Wochen auf der Jagd freute.
Auch die Grundrisse und Karten lassen diese emsige Geschäftigkeit ahnen, auch wenn die Pferdeknechte, Wachsoldaten, Gärtner und Küchenmeister selbst nicht sichtbar sind. Es ist also nicht nur Pracht, die hier in originalen Plänen zu sehen ist, sondern auch Zweck und Zweckmäßigkeit werden sichtbar. Denn damit beginnen ja auch schon die ersten Essays, wenn sie erkunden, wie zweckmäßig eigentlich die Räume im Schloss angeordnet waren und was sich die beiden Architekten gedacht haben. Der Betrieb musste schließlich möglichst reibungslos laufen. Was dann zumindest auch die Frage aufwirft: War Hubertusburg eigentlich ein mustergültig gebautes Schloss?
Was sich wahrscheinlich erst beantworten lässt, wenn man wirklich wieder allen Räumen ihre ursprünglich angedachte Nutzung zuweisen kann. Dass beide Bände auch noch mit umfangreichen Quellenangaben und Listen angereichert sind, versteht sich bei diesem wissenschaftlichen Anspruch von selbst.
Dass es manchmal richtig stressig war, den Aufenthalt des Hofes abzusichern, wird u.a. in den Belegen der Hofkellerei sichtbar, wenn da für den Herbst 1741 beinah ein bisschen gestöhnt wird über „derer vielen Gesandten und ihrer mit sich gehaltenen Domestiquen“. Auch so etwas, was man bei sächsischen Königserzählungen oft vermisst, dass ja auch die Regierungsgeschäfte weitergehen mussten und der sächsische Hof europaweit vernetzt war.
Nur die heute üblichen Fernsehreporter standen damals nicht vorm Schlosstor und orakelten über das, was an der Tafel vielleicht besprochen wurde. Manchmal haben wenigstens ein paar Gesandte ihre Memoiren geschrieben, sodass man mit Abstand von 280 Jahren wenigstens ein bisschen durchs Schlüsselloch schauen kann. Oder sich auch die durchaus kritische Meinung gefallen lassen darf, die da der ein oder andere Gesandte zur etwas kitschigen Prachtentfaltung am sächsischen Hof niedergeschrieben hat.
Gerade der Essayband ist voller solcher kleinen Entdeckungen. Wer noch kein Schloss hat, kann sich diese Bände zulegen. Dann hat er beinahe eins.
Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.) „Schloss Hubertusburg“, 2 Bände, Sax-Verlag Beucha und Markkleeberg 2022, 40 Euro.
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Dass der eigentlich so Kunst und Kultur interessierte Friedrich der Zweite das Versailles verwandte Schloss derart martialisch verwüsten ließ, hat nicht nur mit dem Sieg im Siebenjährigen Krieg und der damit einhergehenden Demütigung des Kriegsgegners zu tun. Es war ein später Racheakt an seinem brutalem der Jagd frönenden Vater, dessen Demütigungen der schutzlos im Jagdschloss Königs Wusterhausen ausgeliefert war. Diese gipfelten im Todesurteil über seinem Liebesfreund Katte, was im Jagdschloss KW von seinem Vater unterschrieben wurde. Ohne diese übergriffige Projektion ist es durchaus realistisch, dass Wermsdorf ansonsten unbeschädigt geblieben wäre.