Man kennt sie meistens nicht, denn Botschafterinnen und Botschafter arbeiten meist ohne Aufsehen, wenn sie für ihr Entsenderland Beziehungen knüpfen und politische Kontakte herstellen. Nur wenige werden zum medialen Ereignis wie der ukrainische Botschafter Andrij Melnik, der 2022 die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Ihn vermisst man schon ein bisschen in diesem diplomatischen Kochbuch.
Das in seinen Texten da und dort durchaus auch anklingen lässt, dass Diplomatie kein ganz einfaches Geschäft ist und auch die emsigsten Botschafter es nicht immer schaffen, Konflikte aus der Welt zu kriegen und die Narreteien ihrer Regierungen zu reparieren. Sie sind ja immer zwischen Baum und Borke, müssen für gute Beziehungen sorgen, auch dann, wenn die Regierung, die sie entsandt hat, daheim völlig frei dreht.
Das lässt Slama dann freilich selbst auf sehr diplomatische Weise in seinen kurzen Texten zu den 40 ausgewählten Botschafterinnen und Botschaftern anklingen, von denen zwei auch gar keine sind und sein dürfen, weil es sonst zu heftigen internationalen Ärgernissen kommt – Prof. Dr. Jhy-wey Shieh, Repräsentant der Republik Taiwan, und Dr. Kouloud Daibes, Repräsentantin der PLO als Vertretung Palästinas in Berlin.
Was sind das eigentlich für Leute, diese Botschafter?
Aber allein schon die Idee, diese emsigen Brückenbauerinnen und Brückenbauer mit einem Buch zu würdigen, ist bezaubernd. Denn wann lernt man diese Menschen überhaupt einmal näher kennen, ihre Herkunft, ihre Bildung, ihre Wünsche und Vorstellungen von einem besseren Miteinander?
Über 160 Staaten haben ihre diplomatischen Vertretungen in Berlin. Jede, so liest man, hat der Journalist Peter M. Slama in den vergangenen 20 Jahren besucht und die Botschafterinnen und Botschafter interviewt. Das tat er für die Kolumne „Diplomaten Spiegel“ in der Zeitschrift „Behörden Spiegel“.
Nicht alle der Interviewten haben in dieses Buch gefunden. Slama hat 40 von ihnen ausgewählt und kurz und diplomatisch porträtiert. Und er hat jedes Mal die Gelegenheit genutzt, sich bei den befragten Diplomaten nach National- bzw. landestypischen Gerichten zu erkundigen. Also nicht nach dem, was bei Botschafterempfängen für gewöhnlich auf der Tafel steht, sondern was die Befragten vielleicht sogar selbst gern kochen oder sich kochen lassen. Denn natürlich haben einige auch zugegeben, dass Kochen nicht so ihr Ding ist. Aber trotzdem fielen allen Befragten Gerichte ein, die sie für ihr Land und die Küche ihrer Heimat für typisch hielten. Und es sind fast alles auch Alltagsgerichte, denen man in den internationalen Kochbüchern aus dem Buchverlag für die Frau auch da und dort begegnen kann.
Außerdem sind sie allesamt leicht zu fertigen, können also auch von neugierigen Hobbyköchen leicht nachgekocht werden. Und natürlich zeigen die Gerichte auch, dass sich die Völker beim Essen tatsächlich viel näher sind als in der hohen Politik. So empfahl Dr. Kouloud Daibes, die Palästina seit 2013 in Berlin repräsentiert, ein Reisgericht namens Maklube. Und Jeremy Issacharoff, israelischer Botschafter von 2017 bis 2022, ein Hähnchen-Reis-Pilaw.
Manchmal fragt man sich wirklich, warum sich die Politiker beider Länder nicht einfach zum gemeinsamen Essen an einen Tisch setzen und dabei die strittigen Fragen endlich so klären, dass man hinterher miteinander in Frieden leben kann.
Essen ist Diplomatie
Natürlich ist das Buch auch eine kleine Weltreise, denn Slama hat Botschafterinnen und Botschafter von allen Kontinenten versucht ins Buch zu bringen und auch ebenso in Kapitel gepackt: Afrika, Amerika, Asien, Australien und Europa. Schön alphabetisch – und das dann natürlich auch mit den einzelnen ausgewählten Ländern, sodass eben diesmal nicht die großen Nationen den Anfang machen, sondern in diesem Fall Dr. Badr Abdelaty, der sein Land Ägypten von 2013 bis 2019 in Berlin vertrat. Er empfahl eine Grüne Suppe namens Molokhia, deren Entstehung wir natürlich nicht verraten. Das muss jeder selbst herausfinden, der sich für die Lieblingsrezepte von Diplomaten interessiert.
Natürlich ist Essen auch Diplomatie. Denn Essen erzählt auch von Eitelkeiten, Selbstbehauptung und Gastfreundschaft. Je nachdem. Und natürlich auch davon, dass hinter dem gepflegten Auftreten immer auch ein Mensch steht. Manchmal einer mit Humor, wie John Bonnell Emerson, der von 2013 bis 2017 die USA in Berlin vertrat und ein Pumpkin-Pie-Rezept beisteuerte. Oder Sir James Sebastian Lamin Wood, der für Großbritannien bis 2020 in Berlin residierte und eine Mulligatawny Soup empfahl. Schon die Jahreszahlen verraten, dass die Botschafterjahre in Berlin ganz bestimmt keine stillen waren. Immerhin musste Wood die ganzen Verstimmungen rund um den Brexit irgendwie glätten, was ihm wohl – mit britischer Unaufgeregtheit, so Slama, – auch ganz gut gelang.
Und so wirklich beneidenswert wird auch der Job von Dr. Péter Györkös nicht sein, der Ungarn seit 2015 in Berlin vertritt. Da erzählt Slama lieber von der Vorbildwirkung Ungarns in der Vergangenheit – dem ungarischen Aufstand 1956 und der Grenzöffnung zu Österreich 1989. Regierungen wechseln, auch wenn das oft lange dauert. Aber das, was ein Land Gutes getan hat, wird eben nicht so leicht vergessen.
Zu Besuch im Botschafterviertel
Und an vielen Stellen kann Slama auch würdigen, wie historische Wunden geheilt sind. Denn so manche Botschaft, die Länder wie Frankreich oder die USA schon vor der NS-Diktatur in Berlin hatten, wurde ja im Krieg zerstört, lag Jahrzehnte im Niemandsland, wurde aber mit dem Umzug der deutschen Regierung von Bonn nach Berlin wieder aufgebaut und ist heute wieder selbstverständlich Teil der diplomatischen Begegnungen, die meist ohne Beobachtung der Öffentlichkeit stattfinden und dennoch einen gewaltigen Teil der deutschen Außenpolitik ausmachen. Eigentlich auch der Wirtschaftspolitik, wie mehrere Botschafter betonen, die stolz darauf sind, wenn sie in ihrer Amtszeit neue Verträge mit dem Wirtschaftspartner Deutschland aushandeln konnten.
Es sind eben nicht nur die berühmten Telefongespräche von Regierungschefs miteinander, die dann so etwas wie internationale Politik ergeben. Die sind vornehmlich nur das Sahnehäubchen, nachdem in hunderten Botschaften zuvor emsig gearbeitet, vorgefühlt, abgeklärt und abgesichert wurde. Überwiegend von Menschen, die ihr Gastland Deutschland schon vorher bestens kannten – manche haben hier studiert oder gar in ihren erlernten Berufen hier gearbeitet, kennen also auch die Mentalität und die oft genug schrägen Selbstbilder der Deutschen.
Der Blick von außen
Auch das so eine schöne Erkenntnis aus diesem Buch: Dass wir so als deutsche Gesamtbevölkerung von außen oft völlig anders wahrgenommen werden, als es unsere Besserwisser aus den großen Zeitungskolumnen immer behaupten. Oft sogar positiver, offener und zugänglicher. Vielleicht sollten wir doch öfter andere zum Wort kommen lassen, wie sie uns sehen. Und weniger von „unseren Werten“ schwadronieren, die meist gar keine Werte sind und auch nichts darüber erzählen, wer wir wirklich sind in einer Welt, in der keine politische Tugend wertvoller ist als eine unermüdliche wohlwollende Diplomatie. Denn deren Erfindung geht ja nun einmal davon aus, dass alle Konflikte, die Völker und Nationen miteinander haben, bei offenen und ehrlichen Gesprächen miteinander geklärt werden können.
Gern bei einem guten und landesüblichen Essen, wie es selbst Dr. Nikola Eterovic, der apostolische Nuntius in Berlin, empfiehlt. Denn er kommt aus Kroatien und empfiehlt kroatische Hackfleischröllchen und Gemüsereis, wie man sie in seinem Heimatland gern auf den Tisch bringt. Und manchmal helfen die Gerichte eben auch, Länder, die man aus deutschen Medien nur einseitig kennenlernt, ein bisschen besser zu verstehen. Etwa wenn Abdul Basit, der Pakistan von 2012 bis 2014 in Berlin vertrat, mit Gemüse gefüllte Teigtaschen (Samosas) empfiehlt. Oder wenn Raúl Becerra Egana, der Kuba bis 2013 vertrat, einen Cuba Libre auftischt. Wieder so ein Land, das in der Bredouille steckt, seit die USA vor über 60 Jahren ihr Handelsembargo über die Insel verhängten. Als wenn man die gegenseitige Verstimmung nicht bei einem Cuba Libre oder einem Mojito klären könnte.
Aber das verhindern ja meist Leute, die von Diplomatie gar nichts halten und immer gleich die großen Geschosse auspacken, um richtig Krawall zu machen. Weshalb dann wahrscheinlich einige dieser Länder lieber draußen blieben aus diesem Buch. Auch, um diplomatische Verstimmungen zu vermeiden.
Peter Maria Slama „Botschafter mit Geschmack“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2023, 22 Euro.
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