Mit „Werte der deutschen Heimat“ ging es 1957 los in dieser Reihe komprimiert vorgestellter Landschaften in Deutschland. Inzwischen heißt die Reihe „Landschaften in Deutschland“ und mit „Zwischen Lommatzsch und Wilsdruff“ liegt jetzt der 83. Band vor. Er entführt seine Leser in ein sächsisches Ländchen, das meistens übersehen wird, wenn die großen touristischen Destinationen gepriesen werden. Dabei ist diese Eckchen im Schatten von Meißen und Dresden ein geschichtsträchtiger Acker.
Mit Betonung auf Acker. Denn hier findet man einige der fruchtbarsten Böden Sachsens. Dazu kommt die leichte Zugänglichkeit dieses Landstrichs südlich der Elbe, was schon vor 7.500 Jahren die ersten Ackerbauern und Viehzüchter, die aus dem Donaugebiet einwanderten, in die Region lockte. Und was den Begriff „Lommatzscher Pflege“ zu einem beachteten Topos in der Archäologie gemacht hat.
Erweiterte Präsentationsmöglichkeiten durch das Internet
Natürlich kommen auch die Archäologen zu Wort in diesem Band der Reihe „Landschaften in Deutschland“, aus der wir zuletzt die Bände „Eichsfeld“ und „Leipzig“ besprochen haben.
Im Lauf der Jahre wurde die Reihe immer weiter modernisiert. Nicht nur die Forschungsmöglichkeiten der beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen haben sich ja weiterentwickelt, auch die Darstellungsmöglichkeiten. Inzwischen gibt es auch die vom in Leipzig heimischen Institut für Länderkundde (IfL) betreute Website landschaften-in-deutschland.de, auf die kleine Infokästen zu den Textbeiträgen immer wieder verweisen, denn dort gibt es zusätzliche Informationen, Karten und Bilder.
Und es gibt richtige Routenvorschläge, wie man sich bestimmte Themen, die im Buch aufgegriffen werden, regelrecht erradeln und erwandern kann – etwa das Triebischtal, das Ketzerbachtal oder das Jahnabachtal. Womit schon die wichtigsten Flüsschen genannt sind, die das Gelände durchfließen.
Die Daleminzer und der Gau Glomaci
Natürlich ist so ein landeskundliches Kompendium mit Karten gespickt. Denn Karten fassen schließlich die großen Themen am besten zusammen, seien es die geologischen Formationen, welche die Lommatzscher Pflege und das Wilsdruffer Gebiet prägen, sei es die Herkunft der hier zu findenden Ortsnamen (die fast alle slawischer Herkunft sind), seien es die typischen Waldzusammensetzungen oder der Zustand der Fließgewässer.
Man staunt mit jedem neuen Band, als wie vielfältig sich eine Landschaft erweist, die auf den ersten Blick kaum etwas Sensationelles zu verbergen scheint. Aber gerade mit der Lommatzscher Pflege wird auch ein ganz spezielles Stück früher Geschichte der einstigen Markgrafschaft Meißen sichtbar. Denn hier lag die legendäre Burg an der Gahna oder Jahna, von der Widukind von Corvey in seiner „Sachsengeschichte“ berichtet, die 928/929 von König Heinrich I. erobert wurde, eine der Hauptburgen der damals hier lebenden Daleminzer.
Womit dann die mittelalterliche Verwirrung erst so richtig beginnt, denn für 981 wird hier ein Gau der Daleminzer „oder Zlomekia“ bekundet, was dann Thietmar von Merseburg (der ja auch Leipzig als erster urkundlich festhielt) annehmen ließ, Glomaci sei eine „althochdeutsche Bezeichnung“ für die Daleminzer. Aus Glomaci wurde dann im Lauf der Zeit Lommatzsch, heute eine der prägenden Kleinstädte in diesem Gebiet.
Reiche Böden
Die Städte und Dörfer in diesem Gebiet werden in diesem Band jeweils ausführlich porträtiert, sodass man auch hier noch einmal merkt, wie tief sie allesamt in der Geschichte verankert sind. Immer wieder trifft man auf alte – wahrscheinlich slawische – Burganlagen und Begräbnisfelder. Oft sind an dieser Stelle dann spätere Burgen und Schlösser entstanden, die man heute noch in restaurierter Schönheit bewundern und besuchen kann – außer dort, wo die Bodenreform besonders rabiat durchgeführt wurde und alte Gutsherrensitze ganz gezielt dem Abriss preisgegeben wurden.
Doch mit neuen Bodenerkundungsmöglichkeiten wurden auch flächendeckend die Spuren der Besiedelung seit 7.500 sichtbar gemacht. Der Reichtum dieses Landstrichs bestand all die Zeit vor allem aus seinen wertvollen Böden. Hier lagen Sachsens reichste Rittergüter. Hier lag auch die Vorzeige-LPG der DDR – die LPG „Helmut Just“ in Striegnitz. Hier waren es aber auch Landwirte wie Oskar Wallrabe, die nach Funden auf ihren Feldern erstmals deutlich machten, welch ein historischer Reichtum da dicht unter den Pflugscharen lag.
Karten zeigen die einst reiche Kultur der Wasser- und Windmühlen in dieser Landschaft. Man erfährt vom Bergbau, den es auch hier gab – etwa bei Scharfenberg und Munzig im Triebischtal. Unter anderem kam von hier einst auch das Kaolin für die Porzellanmanufaktur Meißen.
Aber die intensivierte Landwirtschaft zeitigte auch negative Folgen, bis heute. Die Bodenerosion wird genauso thematisiert wie der hohe Nitratgehalt in den Grundwasserkörpern. Logisch, dass einige Autor/-innen dringend mahnen, dass sich die Landwirtschaft in der Lommatzscher Pflege ändern muss, dass sie wieder zu einer bodenschützenden und die Natur pflegenden Landwirtschaft werden muss. Die Naturschutzgebiete kommen ins Bild – aber die sind natürlich nur winzige Inseln in einer landwirtschaftlichen Steppe, die nicht reichen, um dem einst hier zu findenden Artenreichtum ein Überleben zu sichern.
Offene Zukunft
Und natürlich rückt auch die Demografie ins Bild, die so vieles beeinflusst. Denn während Lommatzsch um seine Einwohner ringen muss, profitiert Wilsdruff von der Nähe zu Dresden und kann Bevölkerungswachstum verbuchen. Die Landwirtschaft selbst in ihrer heutigen Form bietet nur wenigen Menschen wirklich ein Auskommen. Da erzählen dann auch stillgelegte Bahnstrecken von einem Verschwinden wichtiger Infrastrukturen, auch wenn sich ein paar Kilometer Museumsbahn erhalten haben.
Natürlich findet man die Zukunft für so eine Region nicht in der Vergangenheit. Auch wenn es spannend ist, die Geschichte der einst von Thietmar von Merseburg erwähnten Heiligen Quelle, dem „Orakelsee“ der Slawen, zu erfahren. Zur Zukunft werden auf jeden Fall die regenerativen Energieanlagen gehören, die auch heute schon existieren – auch wenn die zugehörige Karte zeigt, dass auch hier der Regionale Planungsverband versucht hat, die Windkraftanlagen auf ein paar winzige Inseln zu beschränken.
Vier beigelegte Karten geben dann noch einmal einen Komplettüberblick über das Gebiet von Lommatzsch und Wilsdruff, sodass sich künftig kein Geografielehrer mehr beklagen kann, es gäbe nicht genug Material über die eigene Heimatregion. Wenn es überhaupt noch genug Geografielehrer gibt. Es ist ja nicht nur die Windkraft, bei der die sächsische Regierung einen Rumpelkurs gefahren hat. Die Bildungspolitik hat den ländlichen Regionen – zu denen natürlich auch diese hier zählen – genauso geschadet wie die Verkehrspolitik.
Weshalb der „unterschiedlichen Transformation der landschaftlichen Teilgebiete Lommatzscher Pflege und Wilsdruffer Hochland“ in diesem Band natürlich besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Denn eine lange, staunenswerte Geschichte ist zwar schön fürs Heimatmuseum, aber wie geht es weiter? Wie sieht die Zukunft hier aus? Wie kann sie aussehen?
Ansätze gibt es schon – wie der Druck zu einer bodenschonenden Landwirtschaft oder die Aufmerksamkeit für touristische Ansprüche. Längst existiert auch bereits das touristische Werbeschild an der Autobahn „Lommatzscher Pflege“. Der Besuch lohnt sich, das weiß man spätestens nach dem Durchblättern des Buches.
Hans-Jürgen Hardtke, Sarah Jacob, Karl Mannsfeld, Haik Thomas Porada, Michael Strobel, André Thieme, Thomas Westphalen (Hrsg.) „Zwischen Lommatzsch und Wilsdruff. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme“, Böhlau Verlag, Köln 2023, 30 Euro.
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Danke für den Buchtipp! Ich habe es mir beschafft und mit Interesse drin herumgelesen. Die “Lommatzscher Pflege” ist ein schönes Fleckchen Erde, das ich schon lange kenne. Es hat mich verblüfft zu lesen, daß die Striegnitzer LPG “Helmut Just”, die in Barmenitz ihren Hauptsitz hatte, allen Ernstes die leistungsstärkste aller LPGs gewesen ist. Mein Vater war von Anfang an dabei, und zwar als Landmaschinenschlosser (bis im Jahr 1973 oder 1974 die sog. Tierproduktion in eine andere LPG namens “Neue Heimat” Lommatzsch (mit Sitz in Rauba) ausgegliedert wurde, wo er dann weiterarbeitete). Der im entsprechenden Abschnitt im Buch herausgestellte LPG-Vorsitzende Gottfried Leder (1929-2020) war mir immer ein Begriff. Meine Mutter besorgte in Leipzig im Auftrag meines Vaters jahrelang die damals als Bückware gehandelten Ringbucheinlagen, die Leder in Lommatzsch nicht auftreiben konnte. Ich erinnere mich auch noch, wie Leder mit seinem Wartburg dort über Land fuhr und mein Vater mitten auf der Landstraße anhielt, um mit seinem Chef oder sogar Ex-Chef zu plaudern. Daß damals viele ausländische Gäste in Striegnitz und sogar Barmenitz auftauchten, war nicht ungewöhnlich. Mein Vater amüsierte sich, als er von den Küchenfrauen in Barmenitz damals hörte “Morchn gommd eener aus Dohkio” – der erwartete Gast aber in Wirklichkeit aus Togo stammte.