Einen gewissen Vorläufer hat dieses Buch schon. Nicht nur wegen der Titelkarikatur „Autor und Verleger“ aus dem 18. Jahrhundert, die auch 1982 schon den Band „Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe?“ aus dem Reclam Verlag zitierte. Es geht ja auch um dieselbe Epoche, als sich das moderne Verlagswesen herausbildete. Zu dem auch die Übersetzung brandaktueller Titel aus anderen Ländern gehört.

Ein ganz zentrales Thema der Aufklärung. Weshalb diese Untersuchung von Mark Lehmstedt ursprünglich auch „Quellenstudie zur Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung“ hieß, als er sie 1987 schrieb. Mit „einer gelegentlich naiven Fassung“, wie er jetzt launig in der Vorbemerkung erklärt. Doch da auf diesem Forschungsgebiet seither nicht allzu viel Neues passiert ist und die Untersuchung doch sehr grundlegend ist, hat er sich entschlossen, die Arbeit nun als Buch zu veröffentlichen, damit Forschende diese auch als Quellenmaterial und Anregung nutzen können. 

Wie so manch andere Veröffentlichung aus dem Lehmstedt Verlag, der nicht ganz grundlos in Leipzig zu Hause ist. Zuletzt machte der Verlag mit der dreibändigen Ausgabe der Briefe von Christian Felix Weiße Furore, der natürlich auch in Lehmstedts Arbeit zu Buchmarkt und Übersetzungswesen wieder auftaucht.

Ein Projekt der Aufklärung

Denn Aufklärung war ja nie nur eine lineare Entwicklung oder eine Erscheinung in der Philosophie. Sie beschränkte sich nicht nur auf Deutschland. Und sie ist auch nicht die Ursache für die Technikgläubigkeit des Kapitalismus, wie heute gern mal behauptet wird. Mark Lehmstedt als Germanisten ist es selbstverständlich, die Entwicklung des modernen Verlagswesens aufs engste verbunden zu sehen mit der Entstehung eines gebildeten Lesepublikums und dem europaweiten Austausch der Gelehrten, die sehr genau verfolgten, welche wichtigen Schriften in den anderen Ländern erschienen.

In seiner Untersuchung hat Lehmstedt versucht, genauer auszuleuchten, wie die aktuellen Titel aus Frankreich und England damals erstaunlich schnell auch in Übersetzung in deutschen Verlagen erschienen. Das nimmt man heute für selbstverständlich. Aber professionelle Übersetzerbüros gab es damals genauso wenig wie ein belastbares Copyright. Während gleichzeitig die knallharten Marktgesetze zur Wirkung kamen, mit Raubdrucken und einem Fechten um Erstveröffentlichungsrechte, was sofort jenen Zeitdruck schuf, der heute das Verlagswesen noch immer bestimmt. Denn wer einen spannenden Titel als erster auf die Leipziger Messe brachte, der konnte mit verlegerischem Gewinn rechnen.

Einer dieser erfolgreichen und mit allen Wassern gewaschenen Verleger war Philipp Erasmus Reich, erst Geschäftsführer, später Inhaber der Weidmannschen Buchhandlung. Er veröffentlichte so viele hochaktuelle Titel aus Frankreich und insbesondere England in Übersetzung, dass es sich geradezu anbot, anhand seines Verlages die Entstehung jener Netzwerke zu zeigen, die erst dafür sorgten, dass aktuelle Publikationen tatsächlich schnell zum deutschen Lesepublikum kamen.

Mit einigen problematischen Nebeneffekten, die auch schon in „Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe?“ zur Sprache kamen. Und Mark Lehmstedt steigt nicht ganz grundlos mit dem Klagen über die „Flut von Uebersetzungen“ und ihre schlechte Qualität ein. Denn natürlich haben Zeit- und Preisdruck Folgen. Wer den Messetermin einhalten und mit einem oft mehrbändigen Titel Erfolg haben wollte, brauchte nicht nur beste Kenntnis der aktuellen Neuveröffentlichungen in Paris und London, sondern auch Leute, die ihm die dickbändigen Titel auch noch in Windeseile übersetzten.

Der gelehrte Tagelöhner

Das damals geprägte Wort „Uebersetzungsfabriken“ geht am Kern dieser Entwicklung nur insofern vorbei, als dass die armen Übersetzer natürlich nicht in Fabriken saßen, sondern eher allein in ihrer kalten Kammer. Aber die in der offen und herzhaft geführten Debatte benutzten Begriffe zeigten eben doch, dass die Autoren sehr wohl verstanden, wie sehr die Misere der Übersetzer ein Teil der kapitalistischen Marktentwicklung war.

Denn während sich das gebildete Publikum und insbesondere Aufklärer wie Moses Mendelssohn natürlich gute und verlässliche Übersetzungen wünschten, waren Verleger immer schon Akteure zwischen Baum und Borke, mussten ihr aufklärerisches Anliegen (das auch Reich niemand absprach) immer mit dem Kalkül des Geschäftsmannes verbinden, der seinen Jahresabschluss nicht mit einer roten Zahl beenden durfte.

Der also auch beim Herstellen seiner Bücher auf den Herstellungspreis schauen musste. Auf den Verkaufspreis ebenfalls. Darauf geht Lehmstedt auch ein – und kommt zu dem durchaus wichtigen Fazit, dass Bücher damals für die meisten Menschen unerschwinglich teuer, also ein Luxusgut waren. Entsprechend klein waren die Auflagen und entsprechend begrenzt der Markt der Kunden. Wer da tatsächlich erst als Zweiter mit seinem Titel herauskam, hatte das Nachsehen.

Aber natürlich versuchten die Verleger, den Druck weiterzugeben. Wobei sie sich – wie Lehmstedt sehr anschaulich schildert – auf ihre Netzwerke gleichgesinnter Männer verlassen konnten, die das Anliegen teilten, wichtige Schriften aus den spannendsten Buchmärkten Europas möglichst bald auch der deutschen Gelehrtenrepublik, wie sie Klopstock nannte, zur Verfügung zu stellen.

Überhaupt wird so erst sichtbar, wie sehr „die Aufklärung“ ein Netzwerk der Briefpartnerschaften war. In Briefen tauschte man sich aus, gab sich Hinweise, sprach über Geld und Arbeitsbedingungen. Bettelte auch um Aufträge, wie einige der armen Übersetzer, die in Lehmstedts Arbeit Kontur gewinnen. Wie der emeritierte Leipziger Professor Christian Garve oder der vielbeschäftigte Johann Gotfried Gellius.

Garve selbst nannte sich sogar einen „Tagelöhner“, weil er dringend auf die Übersetzerhonorare angewiesen war und trotzdem nur schlecht und recht über die Runden kam. Andere Aufklärer wie Johann Gottfried Herder lehnten Übersetzungswünsche sogar ab, weil sie das geforderte Tempo nicht halten konnten oder wollten – meist verbunden mit dem nur zu verständlichen Anspruch, eine gute und gültige Übersetzung zustande zu bringen.

Vom Schreiben und Übersetzen leben können

Leute wie Herder oder Weiße waren deshalb eher als Vermittler tätig und verhalfen damit etlichen ihrer ärmeren Standesgenossen zu einem Zubrot. Ihnen war augenscheinlich sehr wohl bewusst, dass das ohne qualitative Abstriche und ein geradezu automatisches Übersetzen nicht ging. So mancher fühlte sich da tatsächlich wie eine Maschine, die übersetzte. Was einen an das durchaus bemerkenswerte Buch des französischen Aufklärers Julien Offray de La Mettrie „L’Homme-Machine“ erinnert.

Aber indem Lehmstedt diese Verbindungen und gerade entstehenden Arbeitsstrukturen in der Verlagswelt der Aufklärung herausarbeitet, wird eben auch sichtbar, wie gnadenlos die Mechanismen eines neuen, noch durch kein Copyright geschützten Marktes für alle Beteiligten wirkten, wie sehr aber genau diese entstehenden Arbeitsstrukturen auch Teil des aufklärerischen Projektes waren.

Und auch die Sache mit den Klagen bekommt eine ganz andere Nuance, wenn Lehmstedt hier zeigt, dass genau in dieser Zeit überhaupt erst die Basis geschaffen wurde dafür, dass Autoren und Übersetzer von ihrer Arbeit ein Einkommen hatten, von Lebensunterhalt noch nicht zu reden. Denn natürlich schauten auch gut situierte Verleger wie Reich darauf, dass sie die Übersetzungen schnellstmöglich und zu einem möglichst kleinen Preis bekamen. Auch wenn sich Reich mit einem direkten Engagement in England weit aus dem Fenster lehnte.

Hier kann Lehmstedt die zeitweise enge Zusammenarbeit Reichs mit dem in London lebenden Vetter Friedrich Schillers, Johann Friedrich Schiller, ein Stück weit beleuchten. Und auch zeigen, wie wertvoll die in London lebenden deutschen Gelehrten waren – neben Schiller unter anderem Rudolf Erich Raspe, der ja bekanntlich mit seinen „Münchhausen“-Geschichten Furore machte, oder der Naturforscher und Schriftsteller Georg Forster.

Proletarische Scribenten

So wird auch ein nicht unwesentlicher Teil der damaligen Gelehrtenrepublik sichtbar, Männer, die zwar allesamt studiert hatten, aber oft gar kein oder erst spät ein Amt oder eine Anstellung fanden, die ihnen ein Auskommen ermöglichten. Und mit einem Blitzlicht zeigt Lehmstedt die Universität Leipzig auch als eine Universität der nicht so reichen Landeskinder, die sich während ihres Studiums irgendwie im Nebenjob noch etwas dazuverdienen mussten. Sie waren ein ganz wesentlicher Teil der „Uebersetzungsmanufactur“.

Die „proletarischen Scribenten“ haben dann freilich noch nichts mit Marx’ späterer Forderung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ zu tun, sondern mit dem Tagelöhner-Charakter der Arbeit als Übersetzer, die in der Regel nicht nach Qualität bezahlt wurde, sondern nach Bogenzahl.

In der Debatte von Moses Mendelssohn mit Gellius spiegelt sich ja das ganze Dilemma – hier die nur zu berechtigte Forderung, gute und genaue Übersetzungen zu bekommen, dort das Leid des Übersetzers, der seine Termine einhalten und Quantität liefern muss und genau weiß, wie wenig Geld tatsächlich bei den „Tagelöhnern“ hängen blieb.

Lehmstedt schaut aber eben mit seiner Untersuchung mitten in den Prozess der Entstehung des modernen Verlagswesens. Als frühe Form eines gewissen Schutzes des Erstveröffentlichungsrechts entstand damals – auch auf Reichs Anregung – das Leipziger Bücherprotokoll. Bis zur Berner Übereinkunft 1886, die dann tatsächlich endlich einen Urheberschutz definierte, sollten noch über 100 Jahre vergehen.

Natürlich sind die Leser schuld

Logisch, dass es Reich dann noch mit ziemlich egoistischen Konkurrenten zu tun bekam, die auch mit unlauteren Methoden um verkaufsträchtige Titel kämpften. Aber nicht zu übersehen ist, wie sehr die Entstehung des modernen Verlagswesens am Anfang ein aufklärerisches Projekt war, vorangetrieben in einer brieflich dokumentierten Kommunikation der Autoren, Gelehrten, Verleger und Übersetzer.

Fast vergisst man dabei den Hunger der gebildeten Leserschaft, die natürlich mit Ungeduld auf die neuen Titel wartete, die in den Literaturzeitschriften der Zeit schon angekündigt waren. Denn Neugier ist eine Haupttriebkraft der Aufklärung: wissen wollen, was los ist in der Welt und was die bekannten Autoren aus den Hochburgen der französischen und der englischen Aufklärung dazu schreiben. Und ganz aktuell, gerade in der Zeit von Reichs Wirken: Was ging da im fernen Amerika eigentlich vor sich, mit der Bostoner Teaparty, der Unabhängigkeitserklärung und der Erklärung der Menschenrechte?

Etwas, was man in William Robertsons „Geschichte von Amerika“ lesen wollte, die schon ab 1774 für Gesprächsstoff sorgte, aber deren erster Band dann doch erst 1777 herauskam. Dieses Buch nutzt Lehmstedt für eine Fallstudie, um exemplarisch aufzuzeigen, wie so ein Buch den Weg in die Weidmannsche Buchhandlung fand.

Natürlich hat Lehmstedt recht, wenn er betont, dass es zu diesem Kapitel der Aufklärung und des deutschen Verlagswesens noch eine Menge aufzuarbeiten gibt – auch wenn wichtiges Quellenmaterial – wie die wertvollen Verlagsarchive – im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verschollen ist. Aber einmal mehr erfährt man hier, wie sehr die Aufklärung ein Projekt intensiv miteinander korrespondierender Gelehrter, Verleger und Autoren war. Und wie sehr Buchtitel zugleich ein Treibstoff dieser Debatte, welche die geistige Landschaft Europas radikal veränderte.

Mark Lehmstedt „‚Uebersetzungsmanufactur‘ und ‚proletarische Scribenten‘. Buchmarkt und Übersetzungswesen im 18. Jahrhundert“, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2023, 28 Euro.

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