Wir leben in einer Welt, in der Kommunikation immer wieder scheitert. Scheinbar an lauter Leuten, die man einfach nicht ausstehen kann, die jedes Gespräch zum Straucheln bringen können, aggressiv und zerstörerisch agieren. Natürlich mit Absicht. Was denn sonst! Aber wenn man diesen 2012 erstmals auf Englisch geschriebenen Bestseller gelesen hat, weiß man: Manchmal ist man auch selbst ein Teil des Problems.
Natürlich denkt man bei den 10+3 schlimmsten Feinden jeder Kommunikation ziemlich schnell an einige sture, laute, rücksichtslose Zeitgenossen, die auf Straßen, in Internetforen und auf dubiosen Kanälen unterwegs sind und sich geradezu zu Märtyrern und Opfern einer Mehrheitsgesellschaft erklären, die ihnen nicht zuhört, ihnen ihre Rechte oder gar die herrliche Meinungsfreiheit beschneidet oder sie gar wegnimmt, was ja schon beim bloßen Zuhören verblüfft: Da stehen sie und brüllen ihre Meinung frei heraus – und glauben trotzdem, dass ihnen genau das verboten ist.
Wir waren schon immer so
Gut möglich, dass die beiden Ärzte und Autoren Dr. Rick Brinkman und Dr. Rick Kirschner 2012 gar nicht an diese öffentlichen Erscheinungen dachten, als sie ihr Buch schrieben und veröffentlichten. Denn es ist ja nicht am Rand von Demonstrationsgeschehen entstanden, sondern bündelt die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit, die sie schon 1982 begonnen haben, damals im Auftrag einer Organisation für seelische Gesundheit, die ein Programm im Umgang mit schwierigen Menschen wünschte.
Und diese schwierigen Menschen gibt es ja überall. Jeder kennt sie. In den 10+3 Mustertypen erkennt man sie alle wieder, die einem den Alltag so schwermachen können, Projekte scheitern lassen können, Ehen und Freundschaften in die Brüche gehen lassen und jedem noch so motivierten Team auch noch den letzten Nerv und das letzte bisschen Begeisterung rauben können. Sie sind überall: die Nörgler, die Besserwisser, die Stichler, die Neinsager, die Nichtssager, die Märtyrer und die selbstgerechten Richter.
Wenn man davon ausgeht, dass diese Typen einfach so sind, wie sie sind, dann darf man sich vor jeder Konferenz, jedem Projekt, jedem Gruppenausflug fürchten. Vor längerfristigen Projekten wie Ehen, Freundschaften und anderen Partnerschaften erst recht.
Die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe
Aber die beiden Ärzte, die sich seit 40 Jahren praktisch nur noch der Erforschung gescheiterter Kommunikation widmen, setzen gleich zu Beginn des Buches ein wichtiges Stoppzeichen. Denn Menschen reagieren nicht deshalb mit einer zerstörerischen Kommunikation, weil sie unbedingt Lust daran hätten (auch wenn es solche Menschen natürlich auch gibt). Die meisten tun es tatsächlich genau aus der gegenteiligen Haltung: Sie wollen, dass es klappt. Dass Dinge richtig gemacht werden, gut gemacht werden, dass das Gemeinsame gelingt.
„Die Lupe des Verständnisses“ nennen es die beiden Autoren, wenn sie aus all ihren langjährigen Erfahrungen aus Workshops zeigen, worin tatsächlich die Motivation von Menschen besteht, die scheinbar nichts anderes tun, als immerzu all ihre Mitmenschen auf die Palme zu bringen.
In der Regel wollen sie genau dasselbe, was ihre Kollegen auch wollen: Eine Sache gut machen, sie pünktlich zu Ende bringen, und zwar zu einem guten Ende, auf das alle stolz sein können.
Und noch viel besser: In der Regel wollen sie auch nichts anderes, als mit ihren Mitmenschen auskommen (und sie nicht verärgern, wütend machen oder gar verletzen) und dabei auch noch Wertschätzung zu erfahren, das verflixte Gefühl, dass die anderen einen wahrnehmen und gernhaben für das, was man macht und ist.
Und dann so etwas! Überall Missmut, anschwellender Ärger, miese Atmosphäre, zunehmende Aggression, offene Wut und das um sich greifende Gefühl, dass alles bergab geht, keiner einen achtet und die anderen sowieso nur Böses wollen.
Das Gefühl der Machtlosigkeit
Da hat man gleich wieder die Bilder von sächsischen „Spaziergängen“ vor Augen. Natürlich gehören die auch hierher, obwohl die Fallbeispiele, die Brinkman und Kirschner anführen, fast alle aus dem ganz gewöhnlichen Arbeitsalltag in ganz gewöhnlichen Unternehmen stammen.
Natürlich wird da die Motivation der Personen deutlicher, die mal immerzu nörgeln, mal wie Panzer durch die Gänge brettern, mal über ein genuscheltes „Vielleicht“ nicht hinauskommen oder gar vor lauter Ja-Sagen ihre Arbeit nicht mehr schaffen.
Arbeitskollektive sind ein Spiegel unserer sozialen Befindlichkeiten. Und natürlich der Strategien, die wir alle in der Kindheit gelernt haben, mit denen wir Probleme bewältigen und oft genug unser eigenes, verletzliches Selbst verteidigen. An einigen Stellen bringen die beiden Ricks auch die oft genug desolaten Erziehungsmethoden der Eltern ins Spiel.
Denn die im Erwachsenenalter so typischen Verhaltensweisen sind allesamt Überlebenszubehör aus der Kindheit. Das, was im Umgang mit teils schwierigen Eltern geholfen hat, wird zur Gewohnheit. Die erwachsen Gewordenen, die sich da scheinbar so „kindisch“ verhalten, haben es genau so gelernt.
Und es hilft nicht die Bohne, ihnen das vorzuwerfen. Denn dann greift man auch das an, was diese Menschen als ihren eigenen Schutzraum verstehen. Und vor allem greift man ihr Selbstwertgefühl an.
Aber was tun?
Kann man überhaupt etwas tun?
Strategien für den Umgang mit schwierigen Menschen
Das kann man, zeigen die beiden Verhaltensforscher auf und erläutern es an jedem der 13 Musterbeispiele von Kommunikationszerstörern, zeigen Punkt für Punkt auf, wie man die Strategien der Kommunikationsverweigerung aushebelt, Vertrauen herstellt und eine Basis, auf der man dann gemeinsam den Ursachen für die misslingende Kommunikation auf den Grund und zu gemeinsamen Arbeitsweisen und Problemlösungen kommen kann. Alles sehr einleuchtend – aber nicht immer einfach.
Denn man hat es ja mit Schutzschilden zu tun, die sich Menschen vor Jahrzehnten zugelegt haben. Mit Strategien der Unangepasstheit/Anpassung, die tatsächlich sogar wertvoll sein können für ein Team. Immer wieder gilt schließlich, wie die beiden Autoren feststellen: Eigentlich wollen die scheinbar so verstörenden Mitmenschen trotzdem, dass die Sache gelingt. Und dass sie gemocht und akzeptiert werden.
Weshalb die Strategien, die Gesprächsverweigerung aufzulösen, oft sehr komplex und zeitaufwendig sind. Aber, so betonen die beiden Autoren: Es lohnt sich. Denn wenn man es dann tatsächlich schafft, zu einer gemeinsamen Basis zu finden und die Motive der „Unausstehlichen“ zu verstehen, erspart das künftig eine Menge Zeit, Streit und Missverständnisse.
Gerade bei den heftigsten Typen – etwa den Nörglern, Granaten und Einmischern – merkt man schnell, dass ihr Agieren vor allem ein Schrei nach Aufmerksamkeit ist. Menschen wollen dazugehören, wollen Teil der Mannschaft sein und bei der Verwirklichung von Plänen und Visionen ihr Bestes geben. Sie wollen gefragt, gemeint und berücksichtigt werden.
Ein schönes Thema für die heutige Presse und ihre Berichterstattung.
Zuhören allein reicht nicht
Was nun trotzdem nicht heißt, dass man als Politiker einfach alles akzeptieren und zu allem nicken muss. Das ist das Problem falscher Gesprächs-Führung. Die bleibt an der Oberfläche, verschafft den Nörglern und Rechthabern meist nur jede Menge Resonanz, ohne das eigentliche Problem überhaupt zu erfassen, das dahinterliegt und Menschen erst zu lautstarken Besserwissern oder gar Möchtegern-Besserwissern macht.
Oder eben zur verbreitetsten Erscheinungsform im armen deutschen Osten: zum (Dauer-)Nörgler. „In unserer unvollkommenen Welt glauben Nörgler, dass sie nicht die Macht haben, Veränderungen herbeizuführen. Da die Ungewissheit darüber, was alles schiefgehen kann, sie belastet und überwältigt, geben sie jede Hoffnung auf Lösungen auf“, heißt es zum Beispiel in der Beschreibung der Nörgler.
„Stattdessen konzentrieren sie sich mit einem zunehmenden Gefühl der Hilflosigkeit auf alle Probleme, die sie als Beweis für ihre düstere Weltsicht verwenden können. (…) Damit treiben sie natürlich nur alle anderen in den Wahnsinn, und die sich verschlechternde Stimmung ruft noch weiteres Gejammer hervor.“
Man merkt schon: Auch die scheinbar so klar auszusortierenden Miesepeter sind deutlich komplexer, als es ein verurteilendes Verdikt sichtbar macht. Aber das versteht man erst, wenn man sich wie Dr. Rick Brinkman und Dr. Rick Kirschner in die Perspektive dieser Menschen versetzt, die da mit am Tisch sitzen und scheinbar alles nur zerreden, wegschweigen, schlechtmachen oder trotzig blockieren.
Wenn man so einmal die Perspektive wechselt, merkt man erst, wie sehr dahinter Strategien des Selbstschutzes stecken, des innigen Wunsches, dazuzugehören und das Beste zu geben, und sogar die Strategie, möglichst niemanden zu kränken.
Oder gar zu reizen. Sehr kindliche Strategien, die ahnen lassen, wie das Kind dereinst verzweifelt nach einer Regel gesucht hat, sich gegen Erwachsene zu behaupten, die weder einfühlsam noch respektvoll waren, sondern meist rücksichtslos, fordernd und überfordernd.
Das ist keineswegs Vergangenheit, sondern Gegenwart. Und zwar nicht nur in „sozial schwachen“ Haushalten, wo Eltern ihre Überforderung an den Kindern auslassen.
Ein kleines bisschen Machtgefühl
Und das Wichtigste dabei ist wohl der Hinweis, dass wir alle – auch die, die glauben, immer kooperativ und kommunikativ zu sein – von Zeit zu Zeit selbst solche unausstehlichen Menschen sind. Es kann auch nicht anders sein. Denn natürlich sind wir nicht für alle Situationen mit komplizierten Mitmenschen gerüstet. Manche Mitmenschen überfordern uns ja tatsächlich und unsere Ratlosigkeit mündet dann in Reaktionen, die äußerst fatal sein können.
Und viele dieser dysfunktionalen Situationen benötigen eine Menge Selbstbeherrschung, Konzentration und Zeit. Die wir oft glauben, nicht zu haben. Oft wissen wir auch nicht einzuschätzen, wie sehr unser Gegenüber in seiner Sichtweise feststeckt.
Dann kann schon der Versuch, überhaupt eine Vertrauensbasis aufzubauen, unheimlich anstrengend sein. Bei manchen Leuten ist es sogar besser, die Sache lieber zu vertagen oder abzubrechen, um sich selbst zu schützen.
Denn ihre Art zu kommunizieren lebt dann oft davon, dass sie das Gefühl von Macht und Wirksamkeit dadurch erzielen, dass sie wütende und verzweifelte Gegenreaktionen auslösen.
Wenn man sich dann aber selbst in zuweilen sehr schrägen Reaktionsmustern sieht, ahnt man, dass es den scheinbar so unausstehlichen Typen eigentlich genauso geht. Und dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist zu lernen, wie man die Muster durchbricht, aus heillosen Situationen wieder aussteigt und es einfach einmal anders probiert.
Denn selbst Typen wie den Möchtegern-Besserwissern geht es letztlich um Anerkennung: „Möchtegern-Besserwisser haben zumindest eine einzigartige Fähigkeit: Sie können sich weit genug in ein beliebiges Thema einfuchsen, um darüber reden zu können. Sie haben auch eine besonders schlechte Angewohnheit. Sie sind süchtig nach Übertreibung, denn damit lässt sich Aufmerksamkeit erregen.
Eigentlich müssten sie wissen, dass sie wie Lügner klingen, aber sie halten sich gewiss nicht für Lügner. Sie glauben, was sie sagen, auch wenn sie es zum ersten Mal hören. Je defensiver sie werden, desto öfter wiederholen sie sich. Wenn sie sich reden hören, glauben sie, dass andere ihnen zustimmen. Auf diese Weise legen sie sich einen Konsens zurecht, der allerdings nur in ihrem Kopf existiert.“
Da hat man natürlich gleich ein Bild vor sich.
Wenn Medien Kommunikation zerstören
Aber dabei gilt: Auch hier geht es um Aufmerksamkeit. Und mit der richtigen Strategie kann man auch die Möchtegern-Besserwisser aus ihren Schleifen holen und eine Basis herstellen, auf der dann über das Eigentliche gesprochen werden kann.
Darum geht es letztlich immer. Auch wenn die digitalen Medien – wie die beiden am Ende des Buches feststellen – nicht unbedingt geeignet sind, eine bessere Verständigung herzustellen. Verblüffenderweise noch anhand von Telefon und E-Mail. Man merkt schon, dass das Buch im Jahr 2012 erschien und seither in 20 Sprachen übersetzt wurde.
Aber es hat die zerstörerische Macht entfesselter „sozialer Netzwerke“ noch nicht aufgegriffen, die eben nicht dabei helfen, dass Menschen lernen, auch mit schwierigen Gesprächspartnern umzugehen.
Sie bewirken das Gegenteil und verstärken falsche Kommunikationsmuster und versammeln die Menschen mit ihrer Sucht nach Anerkennung und Wertschätzung in lauter verschiedenen Blasen, Cliquen und Kohorten, die dann durchs Internet wüten, als wären die ganzen „Gutmenschen“ da draußen schuld daran, dass sie sich alle so unwert, verachtet und machtlos fühlen.
Aber das Buch behandelt das noch nicht. Es erinnert freilich daran, dass alle diese „kaputten“ Typen vorher schon da waren und dass keine dieser Verhaltensweisen neu ist oder so sonderbar, dass nicht auch brave Mitmenschen manchmal derart aus der Rolle fallen. Man kann dran arbeiten.
Aber man darf sich auch die Frage stellen, was passiert, wenn mächtige Plattformen gerade das Zerstörerische an unserer Kommunikation befördern und zur Grundlage ihrer Geschäfte machen. Denn das deuten die beiden Autoren ja früh an: Mit „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ schafft man keine Vertrauensbasis, im Gegenteil: Man zerstört die mögliche Basis für ein Gespräch. Und man bestärkt die Aversionen und die fatale Sucht nach schneller Anerkennung.
Der Raum der Wirksamkeit
Es ist ein Buch, das gerade deshalb so brandaktuell ist, weil es altbekannte Phänomene gestörter menschlicher Kommunikation sehr lebendig und lehrreich auf den Punkt bringt und zumindest in dem Lebenszirkel, in dem wir uns tatsächlich bewegen und darin auch wirksam sind, zeigt, wie man tatsächlich Teammitglieder, „die man nicht ausstehen kann“, in ihrer menschlichen Not begreift und mit etwas Einfühlungsvermögen zum Sprechen bringt.
Und zu wichtigen Mitgliedern im Team macht, von denen man nicht nur ihre Schwächen kennt, sondern auch ihre Stärken. Und die stecken manchmal genau in der Verhaltensweise, mit der sie sonst die gesamte Mannschaft zum Verzweifeln bringen können.
Dass das auf der größeren gesellschaftlichen Ebene genauso gilt, liegt auf der Hand.
Aber gerade da merkt man, dass auch das nur eine Ausflucht ist, wenn die Nörgler darüber klagen, dass „die da oben“ oder irgendeine große Allgemeinheit an allem schuld ist. Wirksam aber werden wir alle nur im Kleinen, da, wo wir leben und arbeiten. Das kann sehr entlastend sein, wenn man lernt, sich nicht mehr für alles oder gar das „Große und Ganze“ verantwortlich fühlen zu müssen.
Auf einmal gehören Wertschätzung, Selbstbestätigung und Wirkmächtigkeit in einen Rahmen, den man überschauen kann. Und wo man dann ohne den allgegenwärtigen Groll, dass „alles falschläuft“, über die Herausforderungen reden kann, die man vor Ort und im eigenen Leben anpacken kann. Na hoppla: Es geht ja. Und die Motivation ist auf einmal auch wieder da.
Nichts ist so hilfreich wie ein paar gute Strategien, wie man katastrophale Gesprächssituationen auflösen und Menschen wieder ins Team holen kann, die letztlich auch nichts anderes wollen, als von allen gemocht und respektiert zu werden.
Auf geht’s. Das Buch ist da.
Dr. Rick Brinkman, Dr. Rick Kirschner „Wie man mit Menschen klarkommt, die man nicht ausstehen kann“, YES Publishing, München 2022, 19,99 Euro.
Es gibt 3 Kommentare
Allen welche sich hier versuchen zu verwirklichen wünsche ich ein gutes Neues Jahr. Sicherlich hat Herr Freitag das Buch mehrmals aufmerksam studieren können, viele Grüße ..
” Da stehen sie und brüllen ihre Meinung frei heraus – und glauben trotzdem, dass ihnen genau das verboten ist.”
Interessanter Satz, da von Leipzig nimmt Platz genau das versucht wird. Diese Leute durch Gegenprotest zum Schweigen zu bringen.
Lieber Herr Julke,
sicherlich gehört auch zu den Strategien der Kommunikationsverweigerung eine pauschalisierende Einordnung wie ” natürlich denkt man” Also bitte erstmal die eigene Denke kritisch hinterfragen bevor man ein allgemein gehaltenes Buch zur menschlichen Interaktion für seine eigene ideologischen Zwecke des Leipziger Allerleis verbäckt.