Wie bringt man ein System, das keine Grenzen akzeptiert, dazu, Grenzen zu akzeptieren? Denn das ist ja das Hauptproblem des Kapitalismus, wie wir ihn heute erleben, der ohne grenzenloses Wachstum nicht glaubt existieren zu können. Und lieber trickst und täuscht und sich ein grünes Mäntelchen umhängt, auch wenn er weiter Klima und Artenvielfalt zerstört. Vielleicht sollte man mit dem Gut Umwelt umgehen wie mit Geld, meint Jonas Beer.
Denn augenscheinlich ist nur das die Sprache, die Manager verstehen. So sagt er es zwar nicht. Aber sein Buch erscheint ja auch nicht zufällig in einem Verlag, der sich hauptsächlich mit Finanzen beschäftigt. Studiert hat Jonas Beer Volkswirtschaft. Und er hat sich besonders mit etwas beschäftigt, was Konzernbosse in der Regel nicht die Bohne interessiert, Politiker aber desto mehr interessieren sollte: dem Marktdesign. Denn was er ebenfalls gelernt hat, ist, dass Märkte, wie sie so gern genannt werden, von sich aus keine Lösungen für Fragen finden, die mit dem augenblicklichen Profit des Unternehmens nichts zu tun haben. Es ist ihnen völlig wurscht. Und deshalb tendieren „Märkte“ ins Uferlose, wenn sie nicht reguliert werden.
Das Marktdesign müssen demokratisch gewählte Politiker schaffen. Denn nur so können sie beeinflussen, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickeln muss. Und zwei Marktdesigns hat Beer explizit unter die Lupe genommen, weil sie auf ihre Weise schon funktionieren – noch nicht stringent genug. Aber sie zeigen, dass es funktioniert, und zwar auf einer Ebene, die dem politisch Hickhack der Nationalstaaten entzogen ist – in diesem Fall auf europäischer Ebene.
EZB und Emissionshandel
Das eine ist die Funktionsweise der Europäischen Zentralbank (EZB), die sich darum kümmert, dass die Geldflüsse im Euro-Raum nicht ins Stocken geraten und auch die Inflation nicht aus dem Ruder gerät. In Krisenzeiten kauft sie dann auch schon mal haufenweise Papiere vom Markt.
Und das andere Konstrukt, das inzwischen zunehmend greift, ist der Handel mit Emissionszertifikaten, von denen es viel zu lange zu viele kostenlos gab, sodass der Preis für die Zertifikate an der Börse so gering war, dass er eben nicht dafür sorgte, dass fossile Energieerzeugung unrentabel wurde. Aber das änderte sich gerade in den vergangenen zwei Jahren und hat natürlich auch damit zu tun, dass die Menge der ausgegebenen Zertifikate seit 2013 systematisch reduziert wird. Auch da dauerte es eine Weile, bis die Folgen deutlich wurden. Die ersten Sprünge des Preises für eine Tonne CO₂ gab es 2018, als augenscheinlich die ersten Unternehmen gezwungen waren, sich Emissionsrechte zuzukaufen.
Wurden die Papiere jahrelang unter 10 Euro die Tonne gehandelt, sprang der Preis jetzt auf 25 Euro. Mitten in der Corona-Pandemie, als eigentlich alle Länder ihren Energiebedarf herunterfuhren, trat aber der erstaunliche Effekt ein, dass der Börsenpreis trotzdem stieg – und zwar steil hinauf auf über 80 Euro je Tonne. Und das ist genau die Grenze, an der viele fossile Kraftwerke unrentabel werden. Was zwar Sachsens Umweltminister Wolfram Günther den sächsischen Medien immer wieder erzählt. Aber trotzdem kommt ein Kohlebegeisterter nach dem anderen und fordert blauäugig, die Kohlekraftwerke sollten bis zum vereinbarten Ende der Laufzeit am Netz bleiben.
Was sie aber nicht tun werden. Denn mit 80 Euro je Tonne CO₂ wird Kohleverstromung unrentabel. Wenn auch noch der Ausbau der Erneuerbaren endlich weitergeht, werden diese Kraftwerke auch ihren Strom nicht mehr wettbewerbsfähig absetzen können. Dann kann es passieren, dass ein Meiler nach dem anderen deutlich vor 2030 abgeschaltet wird.
Und das ist Markt, ein Markt, der mit einem letztlich durchaus klugen Steuerungsinstrument dorthin gestupst wird, wo er hin soll, nämlich zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise.
Schluss mit dem Greenwashing
Der EU-Zertifikatehandel ist noch ausbaufähig. Das ist eine der Grundthesen von Jonas Beer, der sich mit dem Thema durchaus intensiv beschäftigt hat – intensiver als so mancher Wirtschaftsredakteur, der immer noch nicht auf dem Schirm hat, was es jetzt bedeutet, wenn auch die Luftfahrt, die Schifffahrt und der Straßenverkehr mit einbezogen in das European Union Emissions Trading System (EU ETS).
Wobei sich Beer deutlicher als viele andere dessen bewusst ist, dass ein System allein für Europa keinen Sinn macht. Auch für die Europäer nicht. Dass sich gerade die größten und schmutzigsten Unternehmen sogar regelrecht freigekauft haben, indem sie ihre Emissionen mit Zertifikaten irgendwo in Ländern auf anderen Kontinenten kompensiert haben, die nicht ansatzweise auch nur die behauptete Kompensation darstellen, das hat ja augenblicklich sogar die „Zeit“ in einer großen Geschichte thematisiert.
Auch deshalb geht ja beim weltweiten Klimaschutz so gut wie nichts voran. Gerade die größten Umwelt- und Klimazerstörer haben sich mit schön angemalten Kompensationen ein grünes Image verpasst, obwohl sie noch genauso dreckig wirtschaften wie zuvor. Und die Europäer bilden sich sonst was auf ihre CO₂ -Reduktion ein, obwohl sie einen riesigen Berg von Emissionen einfach externalisiert haben, wie es Stephan Lessenich in seinem Buch „Neben uns die Sintflut“ beschreibt. Die schmutzige Produktion wurde einfach in Länder Asiens oder Südamerikas verlagert. Und die CO₂-Last wird einfach ignoriert, wenn die Produkte dann in die EU importiert werden.
Eine Klimabank und eine Ressourcenbank
So geht das natürlich nicht. Es braucht ein Zertifikate-System, das auch die CO₂ -Emissionen außerhalb der EU einbezieht, was dadurch möglich wäre, dass man nach dem Vorbild der EZB auch eine Bank schafft, die dann keine CO₂ -Zertifikate mehr ausgibt (und zurückkauft und vom Markt nimmt), sondern Erderwärmungszertifikate, wie es Beer nennt.
Also so eine Art europäische Klimabank, welche die Menge der ausgereichten Erderwärmungsrechte steuert und die Menge verknappt, wenn zu viel auf dem Markt ist. Was freilich nur funktioniert, wenn der Mindestpreis für die Erwärmungsrechte auch Bestandteil des Zolls wird, sodass die europäischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und nicht immerfort mit Dumpingkonkurrenz aus Ländern zu tun bekommen, welche die simpelsten Umweltstandards nicht einhalten.
Und es geht schon lange nicht mehr nur um CO₂ und andere klimarelevante Gase. Die Zerstörung unseres Klimas geht ja direkt einher mit der Zerstörung des Artenreichtums auf unserer Erde und der Zerstörung wertvoller Ressourcen wie Wälder, Böden und Gewässer. Also brauche es auch eine Systemlösung für die Biodiversitätskrise, stellt Beer fest. Und zwar ebenfalls eine, die über zugeteilte Zertifikate – in diesem Fall Ressourcenzertifikate – funktioniert.
Auch hier soll sich die Steuerungswirkung über eine zunehmende Verknappung der Zertifikate einstellen. Denn wer weniger Ressourcen in Anspruch nimmt, braucht natürlich weniger Zertifikate. Und irgendwann sollte es schon das Ziel sein, deutet Beer an, dass Europa aufhört so zu wirtschaften, dass jeder Europäer so viele Ressourcen verbraucht, als hätten wir drei Erden zur Verfügung.
Das kann nicht funktionieren. Aber augenscheinlich genügt es nicht, dass den Europäern jedes Jahr vorzurechnen. Das ändert nichts an ihrem Verhalten. Das Verhalten ändert sich erst, wenn ressourcenschonende Produkte preiswerter sind als ressourcenverschlingende. Und auch hier wäre dann so etwas wie eine Bank das zentrale Steuerungsinstrument, so Beer. In diesem Fall also eine Europäische Biodiversitätsbank.
Europa ist keine Insel
Die aber eben nicht nur die Belange der Europäer regeln soll, sondern den europäischen Markt quasi auch zum Steuerungsinstrument für alle Handelspartner macht, die in Europa ihre Produkte loswerden wollen. Auch hier soll ein entsprechender Zollaufschlag für den Grenzausgleich sorgen. Wobei es sogar zielführend wäre, wenn auch Länder außerhalb der EU sich dem System der Biodiversitätsbank anschließen würden. Denn es geht ja nicht nur um die EU. Die Natur ist weltweit unter Druck. Und alle Länder müssen es schaffen, die natürlichen Ressourcen zu retten.
Das Problem ist natürlich, dass sich erst einmal ein paar Entscheidungsträger finden müssen, die in der Lage wären, zwei solcher neuen Banken zu schaffen, die zwar der Kontrolle der EU unterliegen, aber von nationalen Einflüssen frei sind und nichts anderes zum Ziel haben, als mit der Steuerung der ausgereichten Zertifikate sowohl die Klimaziele der EU zu erreichen, als auch die Rettung der biologischen Vielfalt weltweit.
Indem Jonas Beer hier ein System vorschlägt, das die Energiewirtschaft inzwischen schon kennt und das sich so langsam als wirksames Steuerungsinstrument für den Pfad zur Klimaneutralität erweist, macht er einen Vorschlag, der diesmal eben nicht beim „guten Gewissen“ und dem Wunsch des Einzelnen ansetzt, möglichst umweltschonend zu leben, sondern der Politik einen Weg aufzeigt, wie man den enthemmten Kapitalismus dazu bringt, die Hausaufgaben ernst zu nehmen. Und das klappt eben nur mit klaren Preisen.
Was normalerweise auch über Steuern passieren könnte. Aber warum Steuern gerade auf dem internationalen Terrain nicht wirklich gut funktionieren, diskutiert er auch. Und ebenso, warum man das Thema nicht unbedingt nationalen Regierungen überlassen sollte, die sich mit jeder Wahl wieder anders orientieren können.
Jeder kann etwas tun
Dass das Ganze aber auch sehr trocken ist – eben ein richtiges Finanzer-Thema –, ist ihm sehr wohl bewusst. So dass er den letzten Teil seines Buches einfach dazu nutzt zu zeigen, wo man im ganz individuellen Entscheidungsbereich schon jetzt klimabewusst und biodiversitätsschonend handeln kann. Denn natürlich braucht auch die Einrichtung eines derart großen Zertifikatesystems wieder Zeit, bis es überhaupt erst einmal funktioniert.
Vorher müssten sich erst einmal hunderte kluger Politiker/-innen dafür erwärmen und verstehen, dass man einem entfesselten Markt doch Grenzen setzt, indem man Grenzverletzungen prinzipiell bezahlen lässt und Umweltschädigungen mit einem klaren (Mindest-)Preis versieht, der die Marktakteure zwingt, ihr Verhalten zu ändern.
Bis dahin muss niemand warten. „Jeder kann etwas tun“, sagt Beer. Und deutet damit an, dass der Konsument ganz und gar nicht hilflos ist der Marktmacht der großen Konzerne gegenüber. Auch wenn immer mehr Einzelne ihr Verhalten ändern, hat das Auswirkungen auf die Konzerne, die dann ihre Produktpalette ändern und mehr von dem herstellen, was nachgefragt wird, und weniger von dem, wofür die Käufer seltener werden.
Man muss also nicht den Kopf in den Sand stecken, kann den eigenen Energieverbrauch genauso umweltfreundlich machen wie das eigene Essverhalten – etwa indem man sich auch den Wasserverbrauch für die Fleischproduktion vor Augen hält. „In jedem der vorgestellten Bereiche kann man mit seinen Entscheidungen die Zukunft beeinflussen“ schreibt Beer. Und das passiert schon, wenn man seine Gewohnheiten nur Schritt für Schritt anpasst und seine Freude an „nachhaltigen Routinen“ entwickelt.
Was im Grunde im Kleinen zeigt, was sein Vorschlag für die beiden neuen Zertifikate-Banken im Großen ist. Denn da geht es genau um dasselbe Thema, nur sind es hier die großen Konzerne, die die „Freude am nachhaltigen Handeln“ lernen müssen. Und zwar auf dem Weg, den die Kalkulierer in den Konzernvorständen nun einmal verstehen: über das Geld. Und wenn Umweltzerstörung einen klaren (und nicht zu niedrigen) Preis bekommt, wird sie tatsächlich kalkulierbar – bzw. unkalkulierbar, wenn das Unternehmen sein Verhalten nicht ändert.
Jonas Beer „Europäischer Klimaplan“, Finanzbuch Verlag, München 2022, 18 Euro.
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