Und nun zum Buch selbst. Denn warum Stefan B. Meyer seinen neuen Krimi „Eine Frau, ein Mord“ geschrieben hat, darüber hat er im Interview mit David Gray hier schon gesprochen. Denn dass in Leipzig der Stoff für gute Krimis auf der Straße liegt (oder im Grundbuch steht), das beschäftigt auch einen Autoren wie Meyer, den blutige Leichen auf den ersten Seiten eines Kriminalromans nicht wirklich reizen.
Er gehört zu jenen sächsischen Kriminalautoren, die sehr wohl ein Gespür dafür haben, dass das Verbrechen nicht nur in den finsteren Milieus der Ganoven und Randexistenzen zu Hause ist, sondern mitten unter uns. Genau dort, wo Amt und Einfluss es ermöglichen, sich die Reichtümer der Gesellschaft und anderer Leute anzueignen. Möglichst straflos, weil eine Hand die andere wäscht und Amtsmissbrauch und Korruption ermöglicht.
Und zwei große Affären, die einst die Leipziger Medien beschäftigten, sind ja nie wirklich mit einem klärenden Prozess zu Ende gegangen. Beide hat Stefan B. Meyer in seinem Krimi motivisch verknüpft.
Das eine ist der Leipziger Zweig des sogenannte „Sachsensumpfes“, über den wir an diese Stelle zuletzt 2018 eine Geschichte brachten. Das andere ist die Affäre um die „Herrenlosen Häuser“, zu der wir zuletzt 2016 berichteten.
Ehrenwerte Herren und tadellose Mitbürger
Doch wenn solche Vorgänge keinen wirklichen aufklärenden Abschluss finden, bleibt nicht nur die Öffentlichkeit unzufrieden zurück. Es wächst auch das Misstrauen in staatliche Institutionen und ihre Vertreter.
Gerade der große Komplex des „Sachsensumpfes“ erzählt nach wie vor von Behördenversagen und amtlichen Vernebelungsaktionen, über die nur deshalb nicht mehr ausführlich berichtet wird, weil dem längst weitere Affären gefolgt sind, die den staunenden Bewohnern des Freistaats vor Augen führten, dass es mit der Selbstkontrolle ihrer gut bezahlten Staatsdiener nach wie vor nicht zum besten bestellt ist.
Erinnert sei nur an das Fahrradgate von 2019, die Unfähigkeit der sächsischen Behörden, dem in Zwickau heimischen NSU vor 2011 das Handwerk zu legen, oder die jahrelange Jagd nach dem Phantom einer „Antifa-Sportgruppe“.
Kein Wunder, dass Stefan B. Meyer für sich beschloss, wenigstens in die beiden erstgenannten Affären jetzt mal Bewegung zu bringen und sie zu einer möglichen Lösung zu treiben. Zumindest in der Fiktion. Und natürlich löst bei ihm die Polizei nicht die Fälle, auch wenn mit Hauptkommissar Drossel in diesem Fall ein durchaus sympathischer Polizist ins Bild kommt.
Auf seine Art Mensch geblieben in einem System, in dem leitende Staatsanwälte gern mal Beweisstücke konfiszieren und Fälle schon deshalb versacken, weil an höherer Stelle kein größeres Interesse daran besteht, dass sie gelöst werden.
Es könnten ja gute Freunde, Vorgesetzte und Mitwisser vor dem Kadi landen oder gar auf den Titelseiten großer Nachrichtenmagazine. Das mögen Saubermänner, ehrenwerte Herren und tadellose Mitbürger nun einmal nicht.
Auch dann nicht, wenn sie ihre kleinen und großen Geschäfte mit durchaus bekannten Persönlichkeiten der Leipziger Unterwelt getätigt haben. Einem gewissen Freddie in diesem Fall, der einen durchaus an das ein oder andere Schwergewicht aus Leipzigs grauenhaften 1990er Jahren erinnern dürfte.
Eine Zeit, die inzwischen so weit weg zu sein scheint, dass sich auch kaum noch jemand an die damaligen Skandale, Räubertouren und grauen Geschäfte erinnern kann, die Leipzig letztlich auch zu dem gemacht haben, was es heute ist: einer Boomtown, in der die Reichtümer genauso ungleich verteilt sind wie in anderen Boomtowns der Welt und die noblen, schön sanierten Häuser in der Regel Leuten gehören, die man beim Einkaufen im benachbarten Supermarkt garantiert nicht treffen wird.
Ein Kerl wie Philip Marlowe
Da trifft Johannes Staiger, der Privatermittler, den Meyer in seinen Romanen auftreten lässt, eher das schwarz-bunte Völkchen des jährlichen Leipziger Wave Gotic Treffens. Man merkt schon: Dieser Fall handelt genau zu Pfingsten. Warum Meyer einen Detektiv in seinen Romanen agieren lässt und keinen abgehalfterten Polizeibeamten, das hat er im Interview mit David Gray erklärt.
Zumindest zum Teil. Womit er aber recht hat. All diese vom Dienst und den Bedingungen im deutschen Polizeiapparat frustrierten Kommissare werden auch irgendwann langweilig. Aber sie haben noch ein zusätzliches Problem, das Meyer mit seinem Hauptkommissar Drossel sehr deutlich ausmalt: Sie können nicht, wie sie wollen.
Sie sind eingezwängt in bürokratische und Hierarchiekorsette, sind ständig diversen Vorgesetzten Rechenschaft schuldig, die ihrerseits Fälle auch nur zu gern behindern oder völlig unnötigen Druck aufbauen. Und wenn ihnen die Ermittlungen von oben aus der Hand genommen werden, machen sie sich sogar strafbar, wenn sie weiter ermitteln.
Etwas, worauf der robuste Privatermittler Staiger keine Rücksicht nehmen muss. Eine Type, die in vielem an Raymond Chandlers Philipp Marlowe erinnert, was schon 2015 in Meyers Kriminalroman „Kein großes Ding“ spürbar wurde. Das könnte man eine literarische Hommage nennen. Aber es erzählt eben auch davon, dass das Sachsen von 2022 den USA der 1930er Jahr in manchen Dingen doch sehr ähnlich geworden ist.
Was nun einmal auch an den Mechanismen liegt, mit denen Leute im fröhlich entfalteten und deregulierten Kapitalismus zu Geld, Macht und Reichtum kommen. Und wie sie dann über den Rest der Gesellschaft, über Gesetze, Staat und Justiz denken.
Der Außenseiter darf das sehen und sagen, was der in Dienstpflichten fest steckende Polizist nicht sagen darf. Oder in sich hineinfrisst – so wie Drossel, den Staiger mit ganz ähnlich markigen Worten zeichnet, wie das Chandlers Marlowe mit seinen Klienten und Verdächtigen tut.
Was braucht der Mensch wirklich?
Und auch Staiger pflegt das Image des Bedürfnislosen, schläft auch schon mal in seinem Büro, das er sich neben einer Anwaltskanzlei in der KarLi gemietet hat. Und da er sich mit seinem Freund Hubert noch ein kleines, gut gehendes Geschäft mit Türsanierungen aufgebaut hat, ist er auch nicht mehr darauf angewiesen, jeden Auftrag anzunehmen.
Er muss auch seinem alten Freund Schommer, der ihn nur zu gern öfter mit Aufträgen eindecken würde, nicht jede Bitte erfüllen. Es lebt sich durchaus etwas freier, wenn man all die Albträume deutscher Wohlstandsbürger nicht hat, die sich nicht als Mensch fühlen, wenn sie kein Haus haben, kein fettes Auto und all den anderen Wohlstandsmüll, der so teuer ist.
Es steckt auch ein Lebensideal in diesem Staiger, das Meyer durchaus faszinierend findet. Denn wenn man sich nicht um Wohlstandsmüll kümmern muss, bleibt deutlich mehr Zeit für schöne lange Grillabende mit Hubert und diversen anderen Zufallsgästen am Grill, für die geliebte alte Schallplattensammlung und einen wilden Musikmix, der zwischen Metal und Beethoven jede Menge Platz für musikalische Gefühle lässt.
Und natürlich für „Erkundigungen“, für die Staiger eigentlich nicht bezahlt wird. Aber da ihm eine mysteriöse Frau mit Sonnenbrille nicht nur 200 Euro anvertraut hat, sondern auch noch eine DVD mit brisanten Informationen und Dateien, fühlt er sich trotzdem verpflichtet, irgendetwas zu tun. Und zwar spätestens, als dann der Tod der Journalistin Carmen Holt in der Zeitung steht, umgebracht kurz nach Staigers Treffen mit der sonnenbebrilten Dame in der Leipziger Innenstadt.
Platz für das Gute
Als dann auch noch diverse Leute anfangen, ihn und sein Büro heimzusuchen, weil sie augenscheinlich scharf sind auf die DVD, macht er sich systematisch wie Marlowe daran, der Sache auf den Grund zu gehen. Und macht dabei nicht nur nähere Bekanntschaft mit Drossel und seinen Kollegen, sondern auch mit den hawaiibehemdeten Typen aus Freddies Dunstkreis, womit dann endgültig klar ist, dass er sich nicht mehr heraushalten kann.
Erst recht nicht, als er erfährt, dass die Ermittlungen zum Mord an Carmen Holt augenscheinlich auch wieder auf dem Dienstweg abgewürgt werden sollen. Nur ist er eben keiner, der sich von ein paar hemdsärmeligen Buddies einschüchtern lässt. Von Polizisten schon mal gar nicht.
Und weil er bei seinen Erkundigungen auch auf diverse Leute trifft, die durchaus noch das Herz am rechten Fleck haben und ihm helfen, an Informationen zu kommen, ist er auch nicht ganz allein. Da hat man wieder so einen schönen Grund, warum der Kriminalroman in Deutschland seit einigen Jahren derart geliebt wird: Hier darf das Gute sich noch zu Wort melden und keiner kann es einfach mit einem Gerichtsbeschluss mundtot machen.
Es ist ja dieser Herzenswunsch von Krimileser/-innen: dass es in dieser sichtlich von Korruption, Gier, Eigennutz und Unverschämtheit besessenen Welt Platz für das Gute gibt.
Die Lüge ist sowieso da. Die begegnet Staiger bei seinen kurzentschlossenen Hausbesuchen bei diversen Mitspielern und Mitspielerinnen ebenfalls. Denn natürlich funktionierten diese Krimis auch deshalb, weil sie trotz aller Fabulierlust etwas Wesentliches über uns und unsere Wirklichkeit erzählen.
Etwas, was nicht nur Staiger nicht aushält, auch wenn er in seiner Laufbahn als Privatermittler gelernt hat, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Und die Menschen in ihrer fadenscheinigen Anpassungsfähigkeit ebenso. Denn dass das Böse sich immer wieder einnisten kann, auch in staatlichen Behörden, hat nun einmal damit zu tun, dass viel zu viele Menschen sich wegducken, wenn es eigentlich ein „Nicht mit mir“ gebraucht hätte.
Wer hat Carmen Holt ermordet?
Und das tun sie natürlich, weil sie in Hierarchien erzogen wurden und in der Angst, dass sie unter die Räder kommen, wenn sie widersprechen. Es gibt nicht viele Plätze in unserer Gesellschaft, an denen man lernen kann – so wie Staiger – dieser ganzen Hörigkeit eine Absage zu erteilen.
Da ist man dann zwar meist kein Engel mehr und braucht ein dickes Fell und einen etwas robusteren Umgang mit den Mitmenschen. Aber man muss sich nicht – wie ein armes Würstchen von Amtsleiter – umbringen, wenn ein dubioser Vorgang hochkocht und der öffentliche Verlust der Ehre droht.
Was Staiger nicht erspart, dennoch in eine ganze Reihe brandgefährlicher Situationen zu geraten und aufs Ende hinzunehmend das Gefühl zu bekommen, von irgendjemandem geradezu verarscht worden zu sein. Aber seinen Kopf hat er ja noch nicht verloren. Und manchmal braucht es ein paar lange Nächte im Liegestuhl, um die Stelle zu finden, an der die eigenen Ermittlungen eine dünne Stelle haben.
Aber da hat er der Polizei ein paar Hauptverdächtige schon auf dem goldenen Tablett serviert. Nur die Frage ist noch offen, wer Carmen Holt nun tatsächlich umgebracht hat. Das will er tatsächlich noch wissen, auch weil es ihn ungemein nervt, dass die Polizei nicht wirklich ambitioniert versucht, genau das herauszufinden.
Sind die alten Fälle von „Sachsensumpf“ und „Herrenlosen Häusern“ tatsächlich mit diesem Mord verbunden? Ist die Angst der Verdächtigen vor einer Veröffentlichung des brisanten Materials tatsächlich so groß gewesen, dass sie vor einem weiteren Mord nicht zurückschreckten? Oder wer könnte sonst noch Interesse daran haben, die unermüdliche Journalistin umzubringen, um an das Material zu kommen?
Natürlich klärt das Staiger am Ende, während noch mitten in den sich überstürzenden Ereignissen in einem berühmten Online-Magazin die Berichte zu den alten Affären erscheinen, an denen Carmen Holt noch mitgearbeitet hat.
Die Leser/-innen dieses Krimis werden jedenfalls bestens unterhalten, wahrscheinlich auch wach gehalten. Es sei denn, sie haben so ein robustes Gemüt wie Staiger. Aber die eigentliche Beunruhigung bleibt am Ende ja trotzdem.
Denn auch wenn Meyer für seinen Krimi eine schöne filmreife Lösung für die beiden alten Leipziger Affären findet, bleibt für die Realität das Fazit, dass beide Affären eben nicht mit einer großen Aufklärung endeten, sondern eher so im Schweigen der Schlagzeilen verschwanden.
Überholt von neueren Affären, die ihrerseits die Zweifel schüren, ob es in sächsischen Amtsstuben immer mit rechten Dingen zugeht.
Stefan B. Meyer dürfte so der Stoff natürlich nicht ausgehen. Und wer durch seinen Privatermittler Johannes Staiger angeregt wird, sich die alten Chandler-Krimis noch einmal zu Gemüte zu führen, der hat die richtige Wahl getroffen für das manchmal viel zu stille Weihnachtsfest.
Stefan B. Meyer Eine Frau, ein Mord Edition Outbird 2022, 15,90 Euro.
Keine Kommentare bisher