Können Bäume böse sein? Nicht wirklich. Darauf kommt Markus Bennemann ganz zum Schluss zu sprechen, wenn er auf den berühmtesten Baum der Bibel zu sprechen kommt. Jenen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der im Paradies stand und dessen Früchte der alte Herr, dem der Garten gehörte, seinen Geschöpfen Adam und Eva verbot zu kosten. Doch Eva war neugierig und wollte es wissen. Und so wurden die Menschen in ihr moralisches Dilemma gestürzt, unterscheiden zu können zwischen Gut und Böse.

Und in 2.500 Jahre philosophische Nussknackerei, wie man das überhaupt entscheiden könne. Es ist das urmenschliche Dilemma. Wir können gar nicht anders. Denn das findige Gehirn in unserem Kopf zwingt uns permanent dazu zu entscheiden, ob das, was wir tun, gut oder böse ist.

Natürlich lagen da so einige Philosophen gründlich daneben, weil sie meinten, diese Kategorien aus der puren Logik herleiten zu können. „Hat Gott den Menschen mit dem Baum der Erkenntnis eine fiese Falle gestellt, ähnlich wie mir als Kind das Grünflächenamt?“, fragt Bennemann. „Hat er so – nämlich mit einem Baum! – nicht überhaupt erst das Böse in die Welt gebracht?“

Das ist eine von den nicht immer ganz ernst gemeinten Fragen, die Bennemann stellt. Natürlich ist es auch eine Quatschfrage. Denn das Böse an sich gibt es nicht. Es ist nur ein Teil unseres Problems, dass wir die Folgen unseres Tuns abschätzen können. Anders als die Tiere und Pflanzen. Und ein Wesen, das abschätzen kann, was es anrichtet mit seinem Handeln, hat natürlich mehr Kopfschmerzen, dabei dann die richtige Entscheidung zu treffen.

Und das wollen viele nicht, wie wir wissen. Sie wollen sich gar nicht entscheiden müssen. Schon gar nicht für das, was für die Zukunft unserer Gesellschaft gut ist.

Überlebensstrategien, oft Millionen Jahre alt

Aber wie ist das dann mit den Bäumen? Na ja: Manche von ihnen benehmen sich sehr rabiat. Das stimmt. Ihnen widmet Markus Bennemann in diesem Buch zwölf Kapitel – obwohl das zwölfte mit dem Baum der Erkenntnis eigentlich nicht zählt.

Denn selbst Theologen sehen heute zumeist das Positive in diesem Griff zur Frucht vom Baum der Erkenntnis, von der eigentlich niemand weiß, was es wirklich war. Ein Apfel jedenfalls war es nicht. Eine Feige könnte es sein, da wenig später ja auch das berühmte Feigenblatt auftaucht, das unsere Aufmerksamkeit völlig vom Thema ablenkt.

Denn eigentlich ging es ja gar nicht um Sex. Und dass Nacktheit heute so mit Scham belastet ist, daran ist nun einmal nicht die Erkenntnis von Gut und Böse schuld. Das haben eher grimmige Männer mit langen Bärten verzapft.

Tatsächlich ist Bennemanns Buch eine Einladung für alle, die für gewöhnlich die Bäume vor lauter Wald nicht sehen, sich doch einmal genauer mit diesen knorrigen Wesen zu beschäftigen. Mit ihren Überlebensstrategien und ihren teils ausgefeilten Methoden, die Überlebenschancen ihrer Art drastisch zu erhöhen.

Dabei baut er auf den Erkenntnissen der jüngeren Forschung auf und würdigt am Ende auch Peter Wohlleben, der mit dem Buch „Das Geheime Leben der Bäume“ im Bewusstsein der Zeitgenossen wohl mehr bewirkt hat, als die komplette Waldforschung der vergangenen Jahre.

Und natürlich ist er dabei vielen Försterkollegen gewaltig auf die Stiefel getreten, die bis heute nicht von ihrem Plantagendenken bei der Waldbewirtschaftung abrücken wollen.

Auch wenn sie wesentlich stiller geworden sind, seit ihre Forstplantagen in Hitzesommern vom Borkenkäfer gefressen werden. Denn das sind keine Wälder, sondern Monokulturen. Wälder aber sind vernetzte Lebenswelten, in denen die darin lebenden Pflanzen, Bakterien und Pilze in dichten Geflechten auch miteinander kommunizieren. Der Begriff „Wood Wide Web“ ist dafür mittlerweile fast schon Sprachgebrauch.

Brände, Gifte, Mythologie

Und auch wenn Bennemann mit Freude an der satirischen Zuspitzung etliche Bäume zu bösen Buben erklärt, weil sie des eigenen Konkurrenzvorteils wegen zu teils sehr brutalen Methoden greifen, erzählt seine Reise durch die Welt der „Bösen Bäume“ im Grunde von den in der Regel sehr erstaunlichen Lösungen, die einzelne Spezies entwickelt haben, um ihre Überlebens- und Fortpflanzungschancen zu erhöhen.

Dass sie dabei sogar regelrechte Waldbrände befeuern, erzählt Bennemann zum Beispiel anhand der australischen Eukalyptusbäume. Andere Berühmtheiten aus der Baumwelt, wie die Sandelbäume, bauen ihre ganze Existenz darauf auf, bei anderen Pflanzen über ihr Wurzelwerk zu schmarotzen. Wieder andere – wie die Walnuss – arbeiten regelrecht mit Giften, um rund um sich jegliche grüne Konkurrenz auszuschalten.

Wobei die amerikanische Variante deutlich aggressiver vorgeht als die europäische. Aber man staunt doch sehr, dass auch scheinbar friedliche Waldgenossen hierzulande zu sehr ausgeklügelten Mitteln greifen, um sich Konkurrenz vom Leib zu halten oder gar den Boden für andere Gewächse ungenießbar zu machen.

Manche schaffen sich den Vorteil dadurch, dass sie beim Wachstum alle anderen übertrumpfen. Denn wie wir alle im Biologie-Unterricht gelernt haben: Wer beim Weg zum Licht triumphiert, hält die anderen nieder. Sodass Mitteleuropa dereinst, als die Römer glaubten, hier die Germanen in ihren finsteren Wäldern besiegen zu können, von dichten Buchenwäldern beherrscht wurde.

Und sie würden auch heute dominieren, wären sie nicht von Menschen systematisch dezimiert worden und durch schnellwachsende Nadelbaumplantagen ersetzt worden.

Dass die Worte für Buch und Buchstabe wahrscheinlich etwas mit der Buche zu tun haben, verankert diesen Baum erst recht in der Mythologie. Wo er dann anderen Bäumen begegnet, die sich ihre Rolle als „böse Bäume“ hart erarbeiten mussten – so wie die Eibe, die Akazie oder die Mistel. Alle drei werden gewürdigt.

Und natürlich übertreibt Bennemann lustvoll – zumindest in der Wortwahl. Was aber natürlich allen gefallen wird, die bis jetzt bei Baum immer nur Baum verstanden und nicht wirklich verinnerlicht haben, wie verschieden all die hölzernen Gewächse in Wald, Park und Garten sind.

Gefährliche Exoten

Unter denen dann auch etliche aus exotischen Ländern eingeführte Bäume sind, von denen die Gärtner einst schwärmten, bis sie merkten, wie diese invasiven Arten sich nicht nur unkontrolliert ausbreiten, sondern auch massive Schäden an heimischen Biotopen anrichten.

Wofür sie ja nichts können. Was sie mitgebracht haben, sind ihre Überlebensstrategien aus zum Teil extremen Lebensräumen, wo sie unter härtesten Bedingungen das Überleben sicherten.

Kommen sie aber – wie der „Götterbaum“ oder die Tamariske – in neue Gegenden, wo sich ihre Wachstumsbedingungen drastisch verbessern, hat die nicht vorbereitete heimische Artenvielfalt kaum eine Chance.

Und siehe da: Natürlich war es mal wieder der Mensch, der nicht lange nachgedacht hat und die Pflanzen einfach mal importiert hat. Ohne Rücksicht auf die heimischen Artengemeinschaften. Und meist auch ohne größere Kenntnis über die nicht so offensichtlichen Eigenschaften der Pflanzen, die sich unter völlig anderen klimatischen Bedingungen herausgebildet haben.

Beispielhaft die Akazie. Aber eben auch der Eukalyptus, der aus Australien auch nach Kalifornien, Portugal und Spanien importiert wurde, wo er in den letzten Jahren immer mittendrin war, wenn es zu neuen, riesigen Waldbränden kam.

Bennemann geht recht ausführlich auf all die Strategien ein, mit denen die Bäume sich ihr Territorium, ihr Licht und ihre Nährstoffe sichern. Denn darum geht es ja letztendlich. Aber es ist eben nicht nur der von Neodarwinisten so oft falsch verstandene „struggle for life“, bei dem ganz im kapitalistisch verstandenen Sinn immer nur der „Stärkere“ überlebt.

Viele dieser Bäume gehen intensive Symbiosen ein – mal mit anderen Pflanzen, mal mit den Insekten und Tieren, die auf ihnen leben, ihre Früchte fressen und sogar ihre Bäume verteidigen.

Uralte Strategien

Dass das für unaufmerksame Forscher auch mal schmerzhaft werden kann, gehört dazu. Der Wald der Welt ist nun einmal kein Paradies. Und die Kategorien von Gut und Böse gibt es hier schlichtweg nicht. Jede Art ist so gut wie möglich an ihren Lebensraum und ihre Mitbewohner angepasst.

Manchmal zu gut, wie Bennemann auch feststellt, denn manche Früchte und Eigenschaften der beschriebenen Pflanzen ergeben nur Sinn, wenn man sich die dazugehörenden Tiere noch vorstellen kann, die einst zum Überlebenskomplex dieser Bäume gehörten. Nur sind diese oft schon lange ausgestorben – Saurier zum Beispiel, Riesenfaultiere oder die einstigen europäischen Wildpferde.

Tatsächlich eröffnet Bennemann mit seiner Reise in die Welt der bösen Bäume den Leser/-innen den Blick auf die oft eindrucksvollen und vielfältigen Abhängigkeiten, in denen auch Bäume leben und in denen sie ihre Strategien des Überlebens entwickelt haben.

Samt Giften in Blättern und Früchten oder mit Wurzeln, die unterirdisch weite Strecken zurücklegen können, um an Nährstoffe zu kommen oder neue Nachkommen hervorzubringen.

Dass auch heimische Gehölze dabei kaum Skrupel kennen, dürfte zumindest Lesern eine Überraschung sein, die ein reineweg paradiesisches Bild von der Welt und vom Wald haben. Oder Bäume für naive Einzelgänger halten, die so unvernetzt dastehen wie Topfpflanzen.

So sind Menschen eben mit Wäldern in den letzten Jahrtausenden meist umgegangen. Und viele Orte, an denen sich invasive Arten heute ungehindert ausbreiten und auch jeder Schlacht mit Hackebeil und Feuer widerstehen, sind zuvor vom Menschen verwüstete und artenarm gemachte Orte.

Und auch wenn der Eukalyptus in Zeiten der Hitzesommer immer öfter für riesige Flächenbrände verantwortlich ist, die er dann als Baum meistens ganz allein übersteht, um danach in fruchtbarer Asche neue Bäume auszuwerfen, ist ein ganz anderes Lebewesen für viel schlimmere Brände und die Verwüstung von Planet und Klima verantwortlich. Das merkt Bennemann im Kapitel zu den Eukalypusbäumen natürlich auch an.

Dumme Bäume?

Dass ihn die vielfältigen Strategien der Bäume, um ihr Überleben zu kämpfen, in Wirklichkeit faszinieren, kann man gar nicht überlesen. Auch wenn er so manchen Gärtner natürlich bedauert, der sich den falschen Baum in den Garten gesetzt hat, nur weil der im Baumarkt so schön aussah. Manches Erfolgsprodukt aus dem Gartencenter steht heute auf der Verbotsliste der EU.

Und so manch scheinbar nützlicher Baum, den die Förster vor 100 Jahren noch feierten, bringt heute Landschaftsschützer, Farmer und Wasserwirtschaftler zur Verzweiflung. Ein richtig schönes Buch also, das eben auch erzählt, dass wir über die meisten Bäume fast gar nichts wissen und sich eine ganze Welt auftut, wenn man wie Bennemann auch die modernen Forschungen aufmerksam verfolgt.

Und vor allem hinschaut und was lernen will. Und sei es nur über den Walnussbaum der Kindheit und den scheinbar völlig verbrannten Rasen darunter.

Im Grunde wieder ein Buch, das uns zeigt, was passiert, wenn unwissende Menschen ohne viel Rücksicht Bäume verpflanzen und von den vielfältigen Abhängigkeiten in natürlichen Biotopen nichts wissen. Vielleicht hilft es ja, das Wissen darum endlich zu stärken, dass Bäume eigentlich etwas anderes sind als anspruchslose Plantagenpflanzen und Holzlieferanten.

Oder von Fabeln umgebene Friedhofsgewächse wie die Eibe, von der man sich kaum noch vorstellen kann, dass sie mal in ganzen Wäldern in Europa wuchs – bis die Massenproduktion von mittelalterlichen Kriegswaffen, nämlich den aus Eibenholz gefertigten Langbögen, den Eiben in Europa (fast) den Garaus gemacht hat.

Wieder schaut man – wenn man mit Bennemann nur mal neugierig in den Wald schaut – ins eigene Spiegelbild. Wer ist hier also der Böse? Wer handelt hier eigentlich gedanken- und vernunftlos?

Logisch, dass auch Bennemann am Ende keine wirklich eindeutige Antwort geben kann auf die Frage, ob es tatsächlich böse Bäume gibt.

Markus Bennemann Böse Bäume Goldmann Verlag, München 2022, 18 Euro.

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