Am Ende ist es eigentlich ein trauriges Buch, das Daniela Herzberg hier „protokolliert“ hat. Denn erzählen lässt sie die Geschichte von A, D, Mo und den beiden Hunden Drago und Socke von Drago, dem Dackel, der sich am Anfang der Geschichte sein Rudel zusammensucht. Das können Dackel nämlich gut. Ihre Menschen merken das meist nur nicht und halten alles für Zufall. So kommt A zu Drago, nachdem sie den Jungspund beim Baden in leckerem Hirschgulasch gefunden und ins Herz geschlossen hat.

Und dann wird es sehr lustig, obwohl ja Daniela Herzberg, Slawistin, Anglistin, Radioexpertin, Übersetzerin und Hörspielautorin aus Hamburg, einen sehr erfolgreichen Kniff verwendet: Sie lässt die ganze Geschichte aus der Sicht ihres Hundes erzählen. Also so ein bisschen wie in Bulgakows „Hundeherz“. Nur anders. Denn an Drago wird nicht herumexperimentiert. Er kann sein Hundeleben ganz entspannt leben. Und es so trocken erzählen, wie das wohl nur ein tiefenentspannter Dackel kann.

Die emotionalen Achterbahnfahrten der Menschen sind ihm jedenfalls fremd. Und eigentlich auch unverständlich. Alles, was man wissen muss über die Welt, erzählt einem ja die eigene Hundenase. Mehr muss man gar nicht wissen. Und meistens ist es ja auch mehr, als es die drei Frauen so mitbekommen, die in dieser Geschichte im Kosmos von Drago eine Rolle spielen. Und ihn herzlich glücklich machen, weil sie ziemlich schnell begreifen, was man alles tun muss, um so ein Hundeherz zu gewinnen.

Was ist Liebe?

Das Wichtigste wohl: Den unausgesprochenen Wünschen nach leckeren Mahlzeiten am besten zuvorkommen. Was Mo am besten beherrscht, welche Drago quasi in Alleingang ins Rudel holt – auch weil sie so lecker nach allerlei Essbarem aus Fleisch duftet. Menschen, die nach Salami, Leberwurst und Frikadellen riechen, machen Drago glücklich. Nur D fällt da irgendwie aus der Reihe: „Geborgen rolle ich mich zusammen und bedaure wieder einmal, dass D Vegetarierin ist. Wenn man allein bedenkt, welche Düfte dadurch im Hause fehlen!“

Im Grunde ist das Buch auch eine einzige Hommage an Drago, wie Daniela Herzberg verrät. Andere Leute legen dicke Fotoalben mit den Bildern ihrer Lieblinge an. Aber wie sie tatsächlich zu ihrem vierbeinigen Lebensbegleiter standen und was sie in ihm sahen, erfährt man dadurch nicht wirklich. Liebe ist so ein Gummibegriff. Und hat auch in Dragos Welt nicht wirklich einen Platz. Dazu ist der Hund zu praktisch veranlagt und nimmt das Leben lieber wie es kommt, lässt sich Streicheleinheiten, essbare Bestechungen und gut gepolsterte Schlafgelegenheiten nur zu gern gefallen. Dazu ist das Leben ja da. Hunde wissen das.

Und nehmen das Leben sowieso von der eher dankbaren Seite. Denn wenn Dinge schiefgehen, ist das ja nicht ihr Bier. Und eigentlich haben sie zu diesen sorgenvollen Zweibeinern eher ein kollegiales Verhältnis. Letztlich auch zu Mo, die eigentlich vollauf damit beschäftigt ist, die Biografie des französischen Philosophen Denis Diderot zu schreiben. Die sie aber nicht beenden wird. Auch wenn sie noch im Krankenhaus versucht, die Lebensgeschichte von Diderot weiterzuerzählen. Im Grunde lebt sie mit ihm. Und sie beherrscht irgendwie zugleich die große Kunst, sich mit Drago ganz selbstverständlich auch über den Macher der großen Enzyklopädie unterhalten zu können.

Was Drago natürlich auf den Gedanken bringt, selbst eine eigene Enzyklopädie zu verfassen. Diesmal aus Hundesicht. Denn der Kosmos der Hunde ist ja viel größer als jener der Menschen. Und viel durchdachter, möchte man meinen. Deswegen fängt auch alles mit „A wie Alles“ an.

Und man erfährt, was Velonomie ist und was ein Dackel unter Autonomie versteht. Hundebesitzerinnen lernen das irgendwann. Denn das mindert natürlich Missverständnisse, die so zwischen Mensch und Hund für gewöhnlich auftreten. Missverständnisse, für die natürlich nur die Menschen verantwortlich sind, weil sie nicht verstehen, was ihre Hunde eigentlich brauchen und gerade erwarten.

Die Sache mit der Melancholie

So eine Beziehung kann schon ganz schön innig werden. Und wahrscheinlich sieht auch eine Menschin meist Dinge in ihren Hund hinein, die gar nicht darin stecken. Aber nicht grundlos sind ja die kläffenden Vierbeiner die treuesten Begleiter des Menschen – zumindest aus Sicht deren Sicht. Denn Typen wie Drago geht es ja nicht um Treue. Darüber muss einer gar nicht nachdenken, wenn er sein Rudel beisammen hat und weiß, wer einen mit richtigem Essen versorgt. Und darunter ist nicht das Hundefutter aus dem Baumarkt gemeint.

Man kann sich auch mit Krähen unterhalten, die aber meistens ziemlich fiese Zoten reißen über einen Vierbeiner, der mit ausgestellten Ohren gerade einmal 30 cm Flughöhe erreicht. Oder mit der Sonne oder dem Regen. Wobei die Konversation mit dem Regen größtenteils etwas einförmig wird.

Wobei sich Drago auch über Melancholie so seine Gedanken macht. Denn so ganz geht ihm das, was mit Mo passiert, doch nicht am Hundeschwanz vorbei. Schon deshalb nicht, weil es A völlig durcheinanderzubringen scheint.

Wie sieht das aus, was Menschen so treiben, wenn sie traurig sind und ihre Liebe in ein Haus stecken, auch wenn einem klugen Hund doch klar ist: „Manche sitzen unter einem Dach und haben vergessen, warum.“

Die ganze Aufregung, ein altes Haus wieder bewohnbar zu machen, zerstört irgendwie das, warum das zwei wie A und D eigentlich machen. Aber hinter „Schlussfolgerungen“ setzt Drago lieber drei Fragezeichen. Wer wird schon aus den Menschen schlau? Sie machen sich ihr Leben nur irgendwie sehr kompliziert und riskieren, am Ende nur noch Ärger mit sich zu haben.

Oder ist es doch die Autorin, die sich hier in die Rolle eines wissenden kleinen Dackels einfühlt? „Wie kann ein Haus Bestand haben, wenn es Elementarkräfte beherbergen soll? Wie kann die Liebe ein Zuhause finden, wenn exzessive Bautätigkeit sie gefährdet?“

Die Welt durch Hundeaugen

Und dann taucht Diderot sogar noch persönlich auf und riecht wie „jemand, der mehrere Jahrhunderte durchquert hat.“ Das ist der Vorteil, die Welt durch die Augen und die Nase eines Hundes zu betrachten, die ganzen menschlichen Bedenklichkeiten, die in deutschen Romanen oft ganze Kapitel füllen, fallen weg. Ein Hund nimmt die Dinge, wie sie kommen, und wundert sich eher, warum die Menschen nicht merken, dass hinter der Hütte gerade die Bache mit ihren fünf Jungen vorbeiläuft. So etwas merkt man doch. Als Hund.

Und weil Drago alles Mögliche bemerkt, ist seine Welt reich und lebendig. Voller Abenteuer und nur einer wirklichen Angst: der vor dem Pschikronal, dem wohl gefährlichsten Wesen auf der Welt. Es ist ja nicht nur der Dachs, vor dem man sich gewaltig in Acht nehmen muss.

Und das alles in einer Geschichte, in der es eigentlich die ganze Zeit um Liebe geht. Weil A D liebt und beide auch Mo. Und weil das Ganze so ungreifbar endet, wie das eben nun einmal endet, wenn die Ärzte nichts mehr machen können. Und dann nur noch Mos ganze Freunde da sind und Mos lebenslange Einsamkeit ein bisschen greifbar wird. „Aber sie war doch klug?“

Ja, war sie wohl. Manchmal begegnet man den Wesen, die einem tatsächlich zuhören, viel zu spät. Aber ganz leer ist Dragos Welt am Ende nicht. Denn jetzt tauchen auch noch Christel und Reinhard auf. Die Höhlenforscherin Christel, die in Drago ebenfalls einen Seelenverwandten entdeckt hat: „Das ist Reinhard, mein Mann. Das ist Drago, ein Dackel von großem Verstand.“

Vielleicht ist es ja wirklich so, dass die Hunde, wenn sie uns anschauen, uns viel besser verstehen, als wir selbst. Weil sie sich weniger aufregen und die Dinge so praktisch nehmen, wie sie sind. Essen ist zum Fressen da. Und wenn das Licht ausgeht, verschwinden manchmal die herrlichsten Leckereien. „Ich war’s nicht“, sind Dragos letzte Worte.

Zumindest in diesem Buch, das allein durch die Perspektive zu einer doppelten Erinnerung wird – die an eine kluge, in Diderot verliebte Frau, und an einen Dackel von großem Verstand.

Daniela Herzberg „A wie Alles“, Sol et Chant, Letschin 2022, 22 Euro.

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