Ist es wirklich so, dass immer mehr Menschen „etwas mehr Entspannung im oftmals stressigen Alltag“ suchen? Dass sie Glotze und Handy ausmachen und sich ein ruhiges Fleckchen in der Wohnung suchen, um bei einer schönen Handarbeit wieder zu sich selbst zu finden? Dann wäre das eine gute Nachricht. Eine sehr gute. Zumindest die Beliebtheit von Do-it-yourself-Büchern spräche dafür. Auch das hier ist eins.
Es ist das zweite, das die Leipzigerin Janina Woyach mit der Frauschaft des Buchverlags für die Frau gemeinsam auf die Beine gestellt hat. Das erste war 2021 ihr „Ferien-Bastelbuch“, das Eltern kleiner Kinder richtig viele Tipps gibt, was sie mit den kleinen Weltentdeckern in Ferien und Urlaub alles anstellen können, mit Materialien, die oft einfach so herumliegen am Strand oder im Wald. Ein Reservoir für Eltern, die verzweifelt nach Wegen suchen, ihre Kleinen vom ewigen Starren auf irgendwelche Bildschirme wegzubringen und ihnen die Faszination der realen Welt nahezubringen.
Einfach mal abschalten
Das neue Buch ist hingegen wirklich eher etwas für gestresste große Leute, die so langsam gemerkt haben, wie es sie verrückt macht, wenn sie auch noch nach Dienstschluss immerfort auf ihr Handy starren, in der nicht zu bändigenden Erwartung, dass gleich doch noch eine ganz brandwichtige Nachricht reinkommt. Oder die ihre Abende vor einem ebenso aus den Fugen geratenen Fernsehprogramm satthaben. Was tun?
Abschalten natürlich.
Es ist eine Illusion, dass es irgendeinen Sinn ergibt, immerfort die neuesten Tragödien und Kriegsnachrichten aus aller Welt aufzunehmen. Man kann daran sowieso nichts ändern. Und was wirklich wichtig ist, das ist auch am nächsten Morgen noch auf den großen Nachrichtenseiten zu sehen. Es verschwindet ja nicht. Nur wirkt es nicht mehr so überwältigend und permanent bedrohlich. Anders als das ständige Starren auf den Bildschirm in der Hand.
Was braucht man nun? Einen ebenen Tisch, möglichst in einer ruhigen Ecke, eine Unterlage, die man ruhig bekleckern kann, Acrylfarben, Schablonen, Punktstäbchen. Letztere gibt es längst in professioneller Ausführung zu kaufen. Die Industrie hat längst herausgefunden, dass eine Menge Leute nur zu gern farbige Punkte auf alles Mögliche tupfen.
Und dazu auch gern professionelles Gerät verwenden, obgleich es Bleistiftenden, Pinsel, Ohrstäbchen, Zahnstocher oder Schaschlikspieße auch tun. Man darf ruhig kreativ sein. Und manchmal bietet der eigene Haushalt alles, was man braucht. Selbst die Schablone kann man sich selbst basteln.
Die Schablone braucht man dafür, dass die Muster dann auch wirklich symmetrisch werden. Denn Symmetrie gehört zur Faszination vieler Punkt-Malereien. Und nichts anderes heißt ja Dot Painting: Es geht um Symmetrie und verschieden große Punkte, die zusammen ein oft farbenfrohes Muster ergeben.
Es geht doch
Die wesentlichen Übungsschritte gibt es gleich zu Anfang. Wer diese Grundtechniken, Punkte von vornherein systematisch zu setzen, beherrscht, kann sich dann in die im Buch geschilderten Projekte stürzen. Oder besser: begeben. Denn hier muss niemand stürzen und eilen.
Die Technik hat nämlich auch etwas Meditatives. Wenn das Grundmuster erst einmal steht, wird einfach ein Punkt nach dem anderen gesetzt, kann man Dosen und Flaschen verzieren und in kleine Kunstwerke verwandeln, sogar kleine Traumlandschaften kann man damit schaffen.
So einfach, dass so manche und so mancher, die in der Schule gelitten haben, weil das Malwerk einfach nicht gelingen wollte, hier merken: Es geht doch. Unsere Welt besteht aus Farben. Und wenn man die nur ruhig und konzentriert auf die dunkle Oberfläche setzt, entsteht ganz von allein ein Bild, das es mit den Meisterwerken der großen Künstler aufnehmen kann. Zumindest wenn es einfach um das Gefühl geht: Ach, ist das schön.
Mehr will man ja im Leben oft gar nicht.
Und wenn man dann auch noch die Technik drauf hat und lernt, wie sich die im Buch angegebenen Muster zusammensetzen, dann dürfte es für manche eh kein Halten geben, farblose Blumentöpfchen in wirklich hübsche Gefäße zu verwandeln, für die Liebsten geradezu in Farben leuchtende Notizbüchlein herzustellen, leuchtende Lesezeichen oder auch mal eine spritzige Schallplattenuhr.
Wozu man freilich nicht Papas liebste Opernmusik-Sammlung plündern, sondern lieber nach defekten Schallplatten im Plattenladen oder auf Flohmärkten fragen sollte. Denn das steckt ja auch in der Dot-Painting-Idee: Dinge wieder schön und nutzbar zu machen, die sonst im Abfall gelandet wären.
Farbe ins Leben
Allein die bunte Punkte-Farbenpracht verwandelt die Dinge, macht aus trister Farblosigkeit einen freudigen Anblick. Einige Ideen, so verrät die Autorin, haben auch ihre Kinder beigesteuert. Denn natürlich kann man mit der Gestaltungsmethode auch kleine Geschenke erschaffen, die dann zum Geburtstag oder zum Weihnachtsfest tatsächlich eine ganz persönliche Botschaft sind.
Freudeneffekt mit eingeschlossen. Denn wer die Muster mit Geduld tatsächlich zu Ende bringt, bekommt immer ein eindrucksvolles Resultat. Ob für Glücksteine oder Geschenkanhänger oder sogar richtig farbenfrohe Holzuntersetzer.
Sogar selbst gestaltete Tassen sind im Angebot. Man muss erst einmal draufkommen. Und genau das stupsen ja die diversen DIY-Bücher aus dem Buchverlag für die Frau an: das Auf-Gedanken-Kommen. Denn wenn man erst mal weiß, wie es geht, ist die Schwelle, sich dann tatsächlich was zuzutrauen, gleich viel niedriger. Auch dann, wenn es anfangs noch kleckert oder verrutscht oder die Geduld noch nicht da ist. Der Autorin muss es anfangs ganz ähnlich gegangen sein.
Aber auch hier gilt: Jeder fängt mal an. Keiner ist als Meister vom Himmel gefallen. Nicht mal die Meister, deren Kunstwerke wir im Museum bewundern und deren Lehrlingsstücke wir in der Regel alle nicht kennen. Wer aber nicht anfängt und übt, der wird auch den Moment nicht erleben, der dann eintritt, wenn man zum ersten Mal ein Muster tatsächlich vollendet hat. Dann gibt es Glückshormone quasi frei Haus.
Und wenn man sich dann auch noch an den Polka Dots versucht, wird es sowieso richtig lebendig auf dem Arbeitstisch. „Polka Dots sind wie kleine Lichter, die in der Dunkelheit leuchten, und zaubern dem Betrachter sofort ein Lächeln ins Gesicht“, schreibt Janina Woyach. Darum geht es letztlich. Um die Freude und das Lächeln. Und das findet man nun mal nicht im Lärm der Zeit, sondern in der Stille.
Manchmal muss man sich davon erst einmal überzeugen, weil ja heute scheinbar alle völlig außer sich sind. Aber es ist so. Und Bücher wie dieses zeigen, wie man sich Stille und Lächeln zurückholen kann.
Janina Woyach „Dot Painting. Punktmalerei“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 16,95 Euro.
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