Der Buchtitel klingt, als könnte er direkt von einem jener Leute stammen, deren wilde Spekulationen Gisela Graichen und Harald Lesch hier näher unter die Lupe nehmen. Spekulationen, die von vielen Menschen nur zu gern geglaubt werden. Denn die Wissenschaften haben zwar einen gewaltigen Aufschwung genommen. Doch viele Menschen glauben lieber die wildesten Geschichten – an UFOs zum Beispiel oder Aliens, die den alten Ägyptern den Pyramidenbau beibrachten.
Und noch viele andere Dinge. „Jeder dritte Deutsche glaubt an Wunder, daran, dass himmlische Mächte in das Geschehen auf der Erde eingreifen, bei den 18–29-Jährigen sogar jeder Zweite, wie eine INSA-Umfrage ergab“, schreiben Graichen und Lesch gleich im Vorwort, in dem sie erklären, warum sie das Buch gemeinsam geschrieben haben.
Gisela Graichen ist bekannt als Fernsehautorin unter anderem der Serien „Schliemanns Erben“, „Humboldts Erben“ oder „Ungelöste Fälle der Archäologie“. Und den Astrophysiker Harald Lesch kennen Fernsehzuschauer aus seiner Reihe „Leschs Kosmos“, aber auch aus „Ungelöste Fälle der Archäologie“. Da haben sich zwei gefunden, die beide ein Faible fürs Rätsellösen haben.
Und die auch keine Angst davor haben, sich mit den viele Mythen zu beschäftigen, die sich um einige der spektakulärsten Funde der Archäologie gebildet haben – um die berühmten Nasca-Linien in der peruanischen Wüste etwa, die Darstellung vorzeitlicher „Astronauten“ auf Grabinschriften in Ägypten oder Mittelamerika oder 150.000 Jahre alte Eisenröhren aus einem Hügel in China.
Rätsel regen ja geradezu an, sich dazu Geschichten auszudenken. Das hat die Menschheit schon seit Jahrtausenden so gemacht. Davon leben uralte Mythen, Heldengeschichten und Religionen.
Was man sich nicht erklären kann, waren die Aliens …
Und es ist ja reizvoll, einfach im Kopf den Zirkelschluss zu wagen: Wenn man sich Dinge nicht erklären kann, dann muss ja irgendein höheres Wesen seine Finger im Spiel haben. Der Mensch hält es ganz schwer aus, sich Dinge nicht erklären zu können.
Nur gibt es auch noch eine andere Art, sich diesen Rätseln zu stellen – die wissenschaftliche, evidenzbasierte. Auch wenn die nicht so schnell ist und dann meistens die schönsten Geschichten einfach platzen lässt. Oder einen Haufen neuer Fragen mit sich bringt.
Bis hin zu der Frage, ob es da draußen unter den Milliarden Sternen tatsächlich noch andere Zivilisationen gibt, die so hoch entwickelt sind, dass sie vielleicht zu interstellaren Reisen fähig sind und damit möglicherweise mit der Menschheit in Kontakt treten könnten.
Eine Frage, die Lesch am Ende ziemlich trocken beantwortet: „Kurzum: Je mehr Erkenntnisse wir über die Bedingungen für hochentwickeltes Leben gewinnen, umso geringer wird die Wahrscheinlichkeit von hochentwickeltem außerirdischem Leben – bereits unsere Existenz muss uns ja völlig unmöglich erscheinen …“
Ganz unmöglich natürlich nicht. Denn wenn die unwahrscheinlichen Bedingungen für die Bildung hochkomplexen Lebens entstehen, dann wird es wohl auch entstehen. Aber das braucht den kosmisch einmaligen Zustand eines sehr, sehr lange stabilen Sonnensystems und entsprechend riesige Zeiträume, dass sich erst einmal einzelliges Leben entwickelt und dann nach Jahrmilliarden komplexere Lebensformen.
Ziemlich allein im Kosmos
Den meisten Menschen ist nicht einmal bewusst, um welche Zeiträume es hier geht und wie kurz die Zeit ist, in der es tatsächlich Menschen auf der Erde gibt. Ein Zeitraum, der trotzdem völlig genügt hat, dass sich dieses ach so intelligente Lebewesen erfolgreich daran machte, die eigenen Lebensgrundlagen rücksichtslos zu zerstörten.
Und damit alsbald wieder – samt einem riesigen Reichtum des Lebens – von der Erde zu verschwinden. Vielleicht eine dünne Schicht von Artefakten hinterlassend, die theoretisch von künftigen Archäologen gefunden werden könnten. Wobei die Frage ist, ob diese darin tatsächlich noch die Zeugnisse einer Zivilisation erkennen.
Und völlig offen die Frage, woher diese künftigen Archäologen komme sollen. Denn vor allen kosmischen Zivilisationen steht die Frage, wie sie eigentlich die riesigen Abstände zwischen den Sternen überwinden können. Denn hier geht es um gewaltige Energien, riesige Raumschiffe und so lange Flüge, dass solche Reisen in der Lebensspanne von Menschen nicht einmal vorstellbar sind. Das erläutert Lesch dann recht ausführlich, nachdem den Lesern in verschiedenen Kapiteln schon die Mythen um kosmische Besucher in grauer Vorzeit begegnet sind.
Mythen, die sich meist um archäologische Funde bilden, die nicht in den historischen Zusammenhang zu passen scheinen, in dem sie gefunden wurden. Sogenannte OOPArts, von denen einige im Kapitel „Perry Rhodan was here“ näher betrachtet werden.
Manchmal finden Archäologen ja tatsächlich keine schlüssige Erklärung, wie bei der Sabu-Scheibe, manchmal steckt aber auch tatsächlich der Kosmos dahinter, wie bei dem eisernen Dolch aus dem Sarkophag des Tutenchamun. Manchmal ist die Chance auf eine Lösung des Rätsels völlig genommen, weil Diebe das Artefakt – hier die sogenannte „Bagdad-Batterie“ aus dem Irakischen Nationalmuseum – bei den Plünderungen 2003 gestohlen haben.
Der Glanz falscher Heldengeschichten
Natürlich hält sich gerade Gisela Graichen nicht zurück mit Kritik an Grabräubern, Schatzgräbern und Raubgräbern. Denn sie lassen nicht nur wertvolle Fundstücke in dunklen Kanälen verschwinden, sie zerstören auch die für die Forschung so wichtigen Zusammenhänge an der Fundstelle.
Oder lassen – wie im Irak-Krieg passiert – an wertvollen Grabungsstellen nur noch ein durchlöchertes und geplündertes Gelände zurück. Hier wird also nie wieder jemand die komplette Geschichte eines historisch einmaligen Ortes erzählen können. Und in den Sammlungen eitler Sammler und zusammengekaufter Museen stehen die wertvollen Funde dann völlig beziehungslos da, können örtlich und zeitlich nicht mehr konkretisiert werden.
Und das betrifft nicht nur anonyme Grabräuber, sondern auch berühmte Ausgräber wie Howard Carter, der ja mit der Freilegung des Grabs des Tutenchamun zu Ruhm gelangte, aber augenscheinlich selbst zum Grabräuber wurde.
Ihm und seinen dubiosen Praktiken ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Darin wird auch sichtbar, wie selbst die einstigen Heldengeschichten der Archäologie zur archäologischen Spurensuche animieren. Da könnte man fast schon sagen: Traut keiner Geschichte, die ihr nicht selbst überprüft habt. Eigentlich ein ganz simpler wissenschaftlicher Grundsatz. Aber den vergessen auch Medien nur zu gern, wenn es nur eine tolle Geschichte zu erzählen gibt.
Gern mit Magie und Außerirdischen drin. Doch die haben weder in den eisernen Röhren Platz, die im Kapitel „Gab es eine Menschheit vor der Menschheit?“ thematisiert werden, noch spielen sie für das verblüffende astronomische Wissen der Dogon eine Rolle, das im Kapitel ‚Das „Sirius‘-Rätsel der Dogon“ genauer untersucht wird.
Hier wird ein blinder Fleck genauer untersucht, der so manchen Forscher der Vergangenheit auf falsche Fährten gebracht hat, weil er sich schlicht der Tatsache nicht bewusst war, dass jeder Forscher voreingenommen ist.
„Man sieht nur, was man weiß“, lautet diese Scheuklappe. Diese Erkenntnis ignorierend haben so manche Forscher gar nicht gemerkt, dass sie sich tatsächlich genauso verhalten haben wie die vielen heutigen Anhänger der Parawissenschaften: Sie interpretierten jahrtausendealte Bilder oder auch die Erzählungen eines scheinbar isoliert lebenden Stammes aus dem Wissenstand ihrer Gegenwart heraus.
Und finden dann auf einmal überall Astronauten und Raumschiffe, die aber seltsamerweise alle so aussehen wie die menschliche Raumfahrttechnik der 1960er Jahre. Oder staunen über das uralte Wissen von Eingeborenen, ohne zu merken, dass sich darin das Auftreten der Europäer selbst spiegelt. Berühmt geworden sind die diversen Cargo-Kulte, die im Kapitel „Waren ‚sie‘ da?“ behandelt werden.
Die Astronomie der alten Ägypter
Dass sich gleich mehrere Kapitel mit den Pyramiden der Ägypter beschäftigen, hat natürlich seinen Grund darin, dass sich die Archäologen bis heute streiten darüber, wie diese gewaltigen Bauwerke entstanden sind und woher das nötige Wissen zum Bau dieser gigantischen Steinwerke stammt.
Welches Sternenwissen in den Pyramiden von Gizeh steckt, behandelt als Gastautor Peter Prestel in „Pyramiden, Tempel und der Weltraum“. Eine Gelegenheit, bei der man auch erfährt, dass der Polarstern der alten Ägypter nicht unser heutiger Polarstern war.
Manchmal sind archäologische Fundstätten nur deshalb mysteriös, weil es schlicht keine schriftlichen Aufzeichnungen zu ihnen gibt und sie scheinbar völlig zusammenhanglos mitten in einer Gegend stehen, wo heute nur noch der Steppenwind pfeift – wie im russischen Arkaim, wo es vor 4.000 Jahren eine hochentwickelte bronzezeitliche Kultur mit mehreren „Spiralstädten“ gab, weitab von den Zentren der damaligen Hochkulturen.
Aber mit Magie, wie es heutige Esoteriker interpretieren, hatte das Ganze wohl eher nichts zu tun. Dafür mit den wertvollsten Metallen der Zeit, wie man in „Arkaim – der Nabel der Welt“ erfahren kann.
Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist viel reicher, als es die meisten Geschichtsbücher erzählen. Und sie ist voller untergegangener Zivilisationen, meist mit Gewalt untergegangen, weil sich die klimatischen Verhältnisse dramatisch veränderten oder die Kultur ihre eigenen ökologischen Grundlagen zerstörte.
Das Klima hat ganz offensichtlich bei den vielen germanischen „Völkerwanderungen“ eine Rolle gespielt, auf die das Römische Reich mit dem Bau des Limes reagierte, der in „Vorstoß in die dritte Dimension – der römische Limes“ im Zentrum steht.
Weniger als kolossales Bauwerk, dafür als Untersuchungsobjekt für moderne Hightech, die in der Arbeit der Archäologen immer öfter eine Rolle spielt. Denn heute müssen sie nicht mehr überall graben, um die unter der Erdoberfläche verborgenen alten Baustrukturen zu erkennen.
Flugzeuge mit modernen Laserscannern an Bord können sogar unter dicht belaubten Wäldern die Reste uralter Zivilisationen finden, den Verlauf des Limes in Deutschland genauso wie einstige Römerlager am Euphrat oder die im Dschungel verschwundenen Städte der Maya.
Gab es eine Menschheit vor der Menschheit?
Die Frage, die Graichen und Lesch zu Recht stellen – „Unterschätzen wir das Können unserer Vor-Vorfahren?“ –wird in diesem Buch im Grunde mit „Ja“ beantwortet, auch wenn beide sich hüten mit absoluten Urteilen, wohl wissend, dass neue Entdeckungen neue Fragen aufwerfen und die Interpretation archäologischer Funde immer vom schon erreichten Kenntnisstand der Forschung und der Voreingenommenheit der Forscher abhängt.
Weshalb gute Forschung sich auch nicht davon abschrecken lässt, wenn andere Thesen und Interpretationen ins Spiel kommen. Dann wird auch das untersucht und als Fragestellung berücksichtigt.
Sogar die scheinbar sensationelle These, es hätte schon einmal eine menschliche Zivilisation gegeben, deren Spuren tief in den Erdschichten verborgen sind.
Also „Gab es eine Menschheit vor der Menschheit?“ Eine Frage, mit der sich durchaus ernsthafte Wissenschaftler beschäftigen, denn sie hat auch mit der Diskussion zu tun, ob man das aktuelle geologische Zeitalter tatsächlich als Anthropozän bezeichnen sollte, weil der Mensch mittlerweile so umfassend selbst in geologische Prozesse eingreift, dass diese Spuren noch in Jahrmillionen zu finden sein werden.
Was also könnte nach vielen Millionen Jahren von einer hochtechnisierten Zivilisation zu finden sein, die sich in ihrer völligen Enthemmung die eigenen Existenzgrundlagen zerstört hat und dann sang- und klanglos verschwunden ist?
Gab es also schon einen völlig bekloppten Vorläufer für die heutige Menschheit? Und könnten wir was draus lernen?
Dabei müssen wir gar nicht ins Zeitalter der Dinosaurier abtauchen, um die Reste untergegangener Zivilisationen zu finden. Die findet man auch schon in jüngeren Fundschichten. Und so manche Zivilisation hat ihre eigene ökologische Katastrophe produziert.
Auch da kann man was lernen aus der Archäologie. Wenn man was draus lernen will und nicht einfach nur an Außerirdische glauben möchte, weil man den Menschen der Vergangenheit einfach nicht zutraut, dass sie durchaus zu genialen Schöpfungen in der Lage waren.
Keine rettenden Aliens
Aber vielleicht steckt ja auch der irrige Glaube dahinter, dass hochentwickelte Zivilisationen nicht untergehen und wir wie durch ein Wunder unseren selbst produzierten Schlamassel doch noch überleben. Aber genau dem widersprechen die Geschichten einstiger Hochkulturen: Auch die mächtigsten Reiche können untergehen, wenn sie ihre eigenen ökologischen Grundlagen verlieren oder zerstören.
Einfache Märchen über Außerirdische, die dann hilfreich aufgetaucht sein sollen, helfen da ganz bestimmt nicht. Oder mit den Worten von Graichen:
„Verschwörungstheorien üben eine gefährliche Faszination aus, nicht nur in der Archäologie. Es geht um nicht weniger als die einzig wahre Wahrheit – die eigene. Die Welt ist voller unerklärlicher Dinge, für die die Wissenschaft erst im Lauf der Zeit Erklärungen liefern konnte, Erklärungen, die eine Generation später im Lichte neuer Erkenntnisse schon wieder revidiert werden mussten. Unser jetziger Wissensstand ist nicht die letzte Erkenntnis – ein fruchtbarer Boden für Verschwörungstheorien.“
Und für Kurzschlüsse, muss man hinzufügen. Denn die Erkenntnisse vorhergehender Forschungen verschwinden ja nicht. Sie werden nur um neue Erkenntnisse angereichert, müssen neu einsortiert werden, bilden aber wieder die Basis, auf der weitergeforscht wird.
Während all die Aliens- und UFO-Geschichten immer nur dasselbe Suchschema anlegen: Sind Raumschiffe und Astronauten zu finden? Dann findet man, was man finden will. Der Fundzusammenhang oder gar die Inschriften an der Wand interessieren dann nicht weiter.
Dann werden Götterreisen zu Alienbesuchen und Millionen Menschen verschlingen die immer neuen Geschichten über geheime Geheimnisse.
Dabei zeigt gerade die Geschichte der Archäologie, wie tatsächlich das Bild der menschlichen Geschichte immer reicher und faszinierender wird. Genug Grund zum Staunen und zur Verblüffung, wenn moderne Techniken den Archäologen dabei helfen, uralte Rätsel zu lösen.
Gisela Graichen; Harald Lesch Liegt die Antwort in den Sternen? Propyläen, Berlin 2022, 32 Euro.
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