Wir alle könnten klimafreundlich leben. Jetzt gleich. Und trotzdem tun es die meisten von uns nicht. Auch dann nicht, wenn sie wissen, wie bedrohlich sich die Atmosphäre der Erde schon aufgeheizt hat und wir dringend die Kurve kriegen müssen. Aber auch klimafreundlichen Menschen geht es wie den Politikern bei der UN-Klimakonferenz in Scharm-el-Scheich: Sie können sich nicht überreden.
Denn alles ist Psychologie. Der promovierte Psychologe und Nachhaltigkeitsforscher Thomas Brudermann weiß es. Es ist sein Forschungsgebiet. Seit 2011 hält er dazu Vorlesungen an der Uni Graz – und sammelt Ausreden. Mit seinen Studierenden gemeinsam. Die ihm nicht nur immer neue Ausreden mitbringen, sondern ihm durch ihr Feedback auch helfen, die psychologischen Prozesse dahinter zu verstehen.
Denn die meisten Menschen sind keine bewussten Klimakiller, sie machen sich Sorgen (wenn auch nicht so viele, wie manche Umfrage festgestellt haben will), wissen sogar, was sie im persönlichen Verhalten ändern könnten. Tun es aber nicht. So, wie die meisten auch alle ihre Vorhaben fürs neue Jahr nie umsetzen. Denn das bedeutet in der Regel immer Abschied von alten, lieb gewordenen Verhaltensweisen. Und von Routinen.
Wie das Gehirn Energie spart
Wir haben an dieser Stelle schon mehrere profunde Bücher zur Hirnforschung besprochen. Dieses hier zum Beispiel. Und regelmäßig kommen die Autoren natürlich auf die Energieversorgung dieses unvergleichlichen Organs in unserem Kopf zu sprechen. Es ist das energiehungrigste Organ in unserem Körper. Und so verwundert es auch nicht, dass es im Lauf der Jahrtausende Strategien entwickelt hat, Energie zu sparen. Dazu gehört das Ausfiltern von Signalen genauso wie die Konzentration aufs Wesentliche, die Verdrängung von weniger drängenden Problemen und die Entwicklung nicht nur von Denkroutinen, sondern auch von Verhaltensroutinen und die Minimierung von Konflikten im direkten sozialen Umfeld.
All das taucht natürlich auf, wenn sich Thomas Brudermann in diesem Buch verständnisvoll und gut gelaunt durch die gebräuchlichsten 25 Ausreden arbeitet, mit denen Menschen erklären, warum sie auf klimaschädliches Verhalten nicht verzichten. Und das oft mit rationalen Argumenten. Auch der homo oeconomicus kommt drin vor, dieses fleisch- und herzlose Konstrukt der klassischen Ökonomen, das auch in den Köpfen vieler Politiker spukt und immer wieder als Begründung dafür herhalten muss, warum Märkte die besten Mittel sind, die Welt zu retten.
Was sie ja unübersehbar nicht sind. Nur merken das all die Ökonomen nicht, die mit ihren Hochrechnungen und Prognosen immer wieder saftig daneben liegen. Denn der Mensch an sich, mit all seinen Emotionen, Irrationalitäten und Bequemlichkeiten kommt in ihren Modellen gar nicht vor. Die Werber wissen zwar, wie sie die Leute mit ihren Wünschen, Sehnsüchten und Vorstellungen von einer heilen Welt ködern können. Aber sie haben null Ahnung von „Daumenregeln, Wahrnehmungsverzerrungen, Gewohnheiten, sozialen Einflüssen, externen Rahmenbedingungen, Weltbildern und kulturellen Prägungen“ usw. Also all dem Kram, der für uns Menschen das soziale Dasein ausmacht. Mit all seinen Irritationen, Verführungen und faulen Ausreden.
Die Angst vor Veränderung
Denn wir sind das, was wir routiniert tun. Unser Leben besteht aus lauter Routinen, die wir entweder gelernt oder uns irgendwann angewöhnt haben. Manchmal zwangsläufig, weil wir ohne diese Routinen gar nicht durch den Alltag kämen. Selbst wenn es schädliche Routinen sind. Raucher können ein Lied davon singen.
Das Gehirn hat diese Routinen gespeichert und muss gar nicht mal groß arbeiten, um sie jederzeit wieder abrufen zu können. Unser Alltag besteht haufenweise aus solchen „abgespeicherten“ Routinen, sei es der tägliche Weg zur Straßenbahn bei den einen oder der automatisierte Weg zum Auto bei den anderen. Auch Brudermann hat ein altes Auto, das in mehreren seiner Geschichten eine Rolle spielt, in denen er erklärt, warum wir so oft scheitern, wenn wir versuchen, unser Verhalten wirklich radikal zu ändern.
Das geht beim Preisvergleich los: Ist nun die 100 km lange Autofahrt billiger? Oder lohnt sich die Fahrt mit Bus oder Bahn? Oder gibt es gar noch ein Schnäppchen beim Kurzstreckenflug, sodass sich sogar das klimazerstörerische Fliegen lohnt? Von dem wir uns ja freikaufen können, indem wir den Flug – „kompensieren“.
Unser Gehirn mag es nicht, wenn Dinge komplizierter werden und Alternativen mehr Aufwand, Mühe und Hirnschmalz verlangen. Wir haben uns unsere Routinen ja nicht umsonst angewöhnt: Sie machen uns das Leben leichter. Die Energie brauchen wir für andere Dinge.
Lieber kaufen wir uns von unserem schlechten Gewissen los. Das ist einfacher, als sich zu sagen: Ok, auch ich trage mit meinem Lebensstil dazu bei, dass sich die Atmosphäre aufheizt und das Klima noch in diesem Jahrhundert so aus dem Takt gerät, dass es für die künftigen Generationen eine Katastrophe wird. Angebote, sich ein gutes Gewissen zu kaufen, gibt es genug. Hier ein „grünes“ Label, dort eine Energiesparlampe, mal ein paar Produkte aus dem Bioladen, aber das Auto bleibt. Und der Urlaubsflug. Und die Kreuzfahrt. Und der Grill. Hab ich doch alles bezahlt und sauer verdient.
Oder nicht?
Und sowieso: Am Großen und Ganzen kann unsereins doch nichts ändern. Auch das Argument kommt vor. Brudermann hat wirklich nichts Wesentliches weggelassen, obwohl es wahrscheinlich noch viel mehr Ausreden gibt.
Die Lust der Capybaras am Weltuntergang
Annechien Hoeben hat lauter lustige Capybaras gezeichnet, die sich wohlig in all den untersuchten Ausreden tummeln. Lustige Tierchen, die in all ihrer Nettigkeit zeigen, wie wir Menschen uns selbst einreden, alles sei nicht so schlimm, es gäbe sowieso andere Probleme, uns würde schon noch was einfallen oder auch, dass es schon viel zu spät ist und wir gar nichts mehr tun können.
Was auf das 1,5-Grad-Ziel natürlich zutrifft. Nur ist das 1,5-Grad-Ziel keine absolute Grenze. Bei 2 Grad Erwärmung wird es schon viel schlimmer, aber die Forscher hoffen, dass die Menschheit das vielleicht noch irgendwie bewältigen kann. Aber wir sind auch nicht auf dem 2-Grad-Ziel-Weg, sondern machen seit 30 Jahren, sei Rio, immer so weiter, blasen immer mehr CO₂ in die Atmosphäre, reden immer noch von ständigem Wachstum und gehen bei steigenden Preisen für Benzin an die Decke. Wie können die nur!
Die Gesellschaft, in der wir leben, funktioniert genau deshalb so, weil wir uns ihr angepasst haben. Und auch unser Denken angepasst haben. Es tut richtig weh, wenn man das, was man für das Normale gehalten hat, auf einmal völlig infrage stellt. Das ist selbst in Hirnscans sichtbar. Unser Gehirn protestiert regelrecht dagegen, aus den energiesparenden Schleifen herauszumüssen. Jeder Lehrer weiß das, auch wenn die meisten Lehrer nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.
Die meisten Menschen sowieso nicht. Auch nicht die mit den guten Absichten. Denn gute Absichten sind noch keine guten Lösungen. Selbst beim Lösungsuchen arbeitet unser Gehirn nicht wirklich rational, sondern sucht sich nur zu gern die naheliegende und möglichst unaufwändige Lösung. Was dann nicht nur bei UN-Klimakonferenzen zu vollmundigen Versprechungen führt, fetten Papieren und einer weiteren Periode des Nichtstuns, Aussitzens, Verschiebens. Oder des Fingerzeigens auf andere: Sollen die doch erst mal …
Ich kann ja doch nicht …
Auch das ist eine Ausrede: Dass man selbst ja hier und jetzt gar nichts machen könne. Oder doch schon genug täte. Auch unsere Selbsteinschätzung ist meistens ja ziemlich daneben. Wir halten uns schon für wackere Klimaschützer, wenn wir Geld für ein Bäumchen spenden und den Urlaubsflug freundlich „kompensieren“. Übrigens ein Argument, das auch Brudermann nicht so stehen lässt: Man kann klimaschädliches Verhalten nicht kompensieren. Es passiert nämlich trotzdem. Und die „Kompensation“ steht in der Regel in keinem Verhältnis zum angerichteten Schaden. Ganz zu schweigen davon, dass die meisten von uns von der Klimathematik völlig überfordert sind und Klima fleißig mit Wetter verwechseln.
Unsere Gehirne mögen keine Komplexität. Sie scheitern ja schon an Wahrscheinlichkeiten.
Aber das Schöne in Brudermanns Herangehensweise ist: Er versteht uns. Er hat vollstes Verständnis für all unsere Ausreden und falschen Vorstellungen. Er sieht ja, wie wir uns allesamt genau so verhalten. Und trotzdem glauben, was fürs Klima zu tun, gar die besten Klimaschützer auf Erden zu sein.
Doch die täglichen Staus auf den Autobahnen, die „Rekordzahlen“ von deutschen Flughäfen, der weiterhin enorme Ausstoß von CO₂-Emissionen auch in Deutschland erzählen eine andere Geschichte. Eine Geschichte von Bequemlichkeit und Selbstbetrug. Ungewollt. Oft auch eine Geschichte gefühlter Machtlosigkeit: „Ich kann ja sowieso nichts ändern.“
Aber dann werden Jugendliche, die sich aus Verzweiflung auf die Fahrbahn kleben, gleich mal zu Terroristen erklärt. Geht’s noch?
Wer hat hier eigentlich ein Brett vorm Kopf?
Unsere Zukunftssicht: beschränkt
So nebenbei wird in Brudermanns Reise durch 25 gar treffliche Ausreden auch deutlich, dass es die ganze Zeit um unsere Gesellschaft geht, unser Sozialverhalten und unser dringendes Bedürfnis, ja nicht anzuecken oder aufzufallen. Wir sind in einer klimaschädlichen Gesellschaft sozialisiert. Und wir verhalten uns nicht nur so. Wir denken auch so. Unser Gehirn ist ja nicht doof. Es weiß, wie es sich sozial gefällig verhält.
Und es weiß auch, wie viel Energie es aufwenden muss, wenn es gegne die Routinen und Erwartungen der Mehrheit anzuarbeiten hat.
Etwas sehr Typisches beschreibt Brudermann so: „Aufbauend auf dieser Logik können wir die perfekte Ausrede für all jene konstruieren, die uns ständig predigen: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Im Zweifelsfall riskieren wir lieber keine Wirtschaftskrise und bleiben bei unseren Konsum- und Mobilitätsgewohnheiten. Aus psychologischer Sicht haben wir es mit einer Mischung aus Status-quo-Bias und Risikoaversion zu tun, mit einer Brise marktliberaler Ideologie obendrauf.“
Dumm nur, dass sämtliche ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass ein Weiterso viel größere wirtschaftliche Schäden anrichtet, als wen wir jetzt tatsächlich rigoros in Klimaschutz investieren.
Aber irgendwie funktioniert Logik da nicht. Denn etliche der Ausreden sollen ja auch Angst machen, sollen den armen Capybaras das Gefühl geben, dass sie gar nichts machen können. Dazu sind sie viel zu klein und machtlos.
Sind sie das wirklich?
Wer kauft dann aber die ganzen SUVs? Wer bucht die ganzen Flüge? Wer kauft all die Riesenmengen an Fleisch? Und die billig in China hergestellen Konsumartikel? Usw.
Natürlich sind auch das wieder alles Fakeargumente. Die Trickser wissen schon, wie sie uns über den Löffel barbieren und uns einreden, dass wir gar nichts ändern können.
Doch.
Können wir.
Ein einziger guter Grund genügt
Denn alle Ausreden kann man umdrehen, was Brudermann am Ende des Buches auch tut. Er ist ja Psychologe und weiß, wie sich ein Gehirn programmiert. Und wie sogar kleine Veränderungen unser Gehirn daran gewöhnen können, die Dinge anders zu machen. Dann wird aus dem „Ich kann sowieso nichts tun“ ein erstes: Ich kann ja doch was machen. Und es ist sogar bereichernd.
Denn eine der größten Lügen in der ganzen Debatte ist ja, dass das Leben ärmer wird, wenn man sich klimafreundlich verhält. Was aber nicht stimmt. Nur verlieren dann all die energiefressenden Popanze einer kraftmeiernden Gesellschaft auf einmal ihre Auschließlichkeit. Aber davor sitzt ein fettes Wort, das gerade die Nutznießer der Weltzerstörung nur zu gern vorbringen, wenn mal wieder politische Weichenstellungen anstehen: Verlust.
Da wird an die Verlustangst der Menschen appelliert und ihnen eingeredet, ihr Leben würde armseliger, wenn sie auf all das Überflüssige und Aufgeblasene verzichten, was ihnen immerfort als Konsum aufgenötigt wird. Wir ersaufen in Zeug, das wir überhaupt nicht brauchen, rennen Terminen hinterher, die wir gar nicht nötig haben, versuchen ein Prestige zu erwerben, das uns nichts nützt. Und verlieren dabei die Aufmerksamkeit für das, was unser Leben tatsächlich reicher macht.
Auf einmal steht man mit Brudermann an der Kreuzung und merkt: All diese Ausreden sind nur genau das – Ausreden. Blöde Sprüche, die unser Gehirn sich ausgedacht hat, um sich die Mühe zu ersparen, alles einfach mal ein bisschen anders zu denken. Sich auf etwas Neues zu freuen und es sich wieder zuzutrauen. Und dann neue Routinen zu entwickeln, die man schon bald gar nicht mehr bemerkt, weil sie ohne großen Energieaufwand absolviert werden können.
Wenn Strukturen das Umsteigen erschweren
Dass manchmal die Strukturen nicht stimmen, das macht es schwerer. Stimmt. Wer zum Radfahrer und ÖPNV-Nutzer geworden ist, weiß, was für ein dämliches Konstrukt der motorisierte Individualverkehr ist und wie er das Vorankommen in einer Stadt überall verkompliziert und gefährlich macht.
Am Ende gibt Brudermann dem verlogenen homo oeconomicus noch einen richtigen Tritt in den Hintern, diesem rationalen Idioten, der uns immer als Max Mustermann eingeredet wird. „Wir Menschen sind keine Nutzenmaximierer, die eine Vielzahl von Kriterien gegeneinander aufwiegen und optimieren. Wenn wir für uns eine wichtige Entscheidung treffen, dann reichen sehr wenige gute Gründe aus.“ Und als Fazit: „Wenn man tatsächlich ein klimafreundlicheres Leben führen will, dann spielen Ausreden nur eine Nebenrolle.“
Wir brauchen nur einen guten Grund, es einfach zu tun.
Und dann ist auch unser Gehirn zufrieden, denn ein guter Grund reicht ihm völlig, die kleine Anstrengung zu akzeptieren, die alten bequemen Routinen zu ändern. Und fortan einfach so zu leben, als könnten wir hier in einer von Überfluss, Überdruss und Konsum besessenen Welt etwas ändern. Können wir.
Und wer sich genüsslich mit den 25 Ausreden in diesem Buch beschäftigt hat, weiß es. Manchmal stolpert man dann auch über die eigenen kleinen Schwindeleien. Aber wenn man es weiß, fällt es leicht, auch über sich selbst zu lachen. Und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie leicht sich unser Gehirn austricksen lässt, wenn man es nur mit genug falschen Argumenten füttert.
Dann geht natürlich nix.
Natürlich.
Thomas Brudermann „Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“, Oekom Verlag, München 2022, 22 Euro.
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